Londoner Parlament reißt Theresa May das Ruder aus der Hand

Der Mittwoch gehört den Abgeordneten in London: Sie suchen eine Alternative zu Mays Brexit-Deal
Die britischen Abgeordneten haben das Brexit-Chaos satt. Sie suchen eine Alternative zu Mays EU-Deal.

Die Mehrheit der britischen Abgeordneten hat vom Brexit-Kurs der Premierministerin die Nase gestrichen voll. Kurz vor Ablauf der Frist für den Ausstieg Großbritanniens aus der EU rissen sie Theresa May am späten Montagabend das Ruder aus der Hand: Per Mehrheitsbeschluss „kaperten“ sie vorerst einmal den Ablauf des heutigen Mittwochs. Wofür? Was hat das zu bedeuten? Der KURIER hat die britische Politologin Melanie Sully gebeten, das Rätsel zu entwirren.

  • Was passiert an diesem Mittwoch im Parlament?

Geplant sind sogenannte „indicative votes“, also richtungsweisende Abstimmungen, mit denen ausgelotet wird, ob und für welche Alternative zu Mays Brexit-Plan es eine Mehrheit im Parlament gibt. Worüber sie genau abstimmen, war vorerst noch nicht bekannt. Mögliche Optionen sind verschiedene Varianten einer engeren Anbindung an die EU nach einem EU-Austritt; ein zweites Referendum oder sogar überhaupt kein Brexit. In London wird schon spekuliert, dass sich die Abgeordneten dafür weitere Parlamentstage sichern könnten.

  • Muss sich May an das Ergebnis halten?

„Die Abstimmungen am Mittwoch, die parteiübergreifend vorbereitet werden, sind noch nicht bindend“, erklärt Sully. „Aber wenn es eine stabile, belastbare Mehrheit für einen Vorschlag gibt, können die Abgeordneten einen Gesetzesentwurf einbringen. Und geht der durch, dann ist er bindend.“

  • Gab es das schon einmal?

Testabstimmungen schon. „2003 gab es sie über die Reform des Oberhauses. Aber das Unterhaus war sich in der Frage so uneinig, dass es kein Gesetz zustande brachte“, sagt Sully. „Darauf hofft May jetzt in der Brexit-Frage auch.“ Sollte das Parlament gegen die Regierung ein eigenes Gesetz durchbringen, wäre das eine Sensation. „Das gab es seit mehr als 300 Jahren nicht, seit Oliver Cromwell. Es würde eine massive Verfassungskrise auslösen – mit Auswirkungen bis hin zur Queen.“

  • Müsste die Queen im Brexit-Streit entscheiden?

Es könnte so weit kommen, obwohl die britische Politik das Königshaus von politischen Entscheidungen prinzipiell fernhalten will. Denn nach dem Unterhaus müsste das Gesetz der Parlamentarier vom Oberhaus angenommen und am Schluss von der Queen unterschrieben werden – wie immer, doch in diesem Fall ist es delikat: „Folgt sie dem Parlament oder der Regierung? Die Krise wäre so oder so massiv.“

Londoner Parlament reißt Theresa May das Ruder aus der Hand

Melanie Sully: May hofft noch immer auf Zustimmung zur ihrem Brexit-Deal

  • Wie realistisch ist das?

Das lässt sich nicht abschätzten. Im Hintergrund laufen längst parteiübergreifende Kooperationen; auch an entsprechenden Gesetzesentwürfen wird längst gearbeitet, ist sich die Politologin sicher.

  • Kann May das Match um ihren EU-Deal gewinnen?

Zwei Mal hat sie die Abstimmung schon verloren. Und doch könnte sie es im dritten Anlauf schaffen. Denn selbst einer der profiliertesten Brexit-Hardliner unter den Tories, Jacob Rees-Mogg, schließt offenbar einen Austritt aus der EU ohne Vertrag aus. Gar keinen Brexit als Alternative, das wollen die meisten „Brexiteers“ nicht riskieren.

  • Welchen Preis muss May dafür zahlen?

Für Sully ist das glasklar: „Sie muss ihren Rücktritt erklären – und zwar vor der dritten und entscheidenden Abstimmung über ihren Deal.“ Nur dann könne sie die Stimmen ihrer internen Kritiker erhalten. Denn „Brexiteers“ wie Rees-Mogg oder Ex-Außenminister Boris Johnson trauen ihr nicht. Sie wollten sichergehen, dass sie es sind, die nach dem Brexit die Fäden bei den weiteren Vertragsverhandlungen mit der EU in der Hand haben. „Das Problem dabei: May traut ihnen auch nicht. Sie ist wohl bereit zurückzutreten, aber erst nachdem ihr Deal durch ist.“

  • Wie viel Zeit bleibt noch?

Am Donnerstag könnte May ihren Deal im Unterhaus zur Wahl stellen. Wird er angenommen, verlässt das Königreich mit 22. Mai die EU; fliegt er durch und gibt es auch keinen anderen Plan, dem auch die EU zustimmt, gilt als Brexit-Datum der 12. April.

Brexit: Abstimmung über Alternativen

Kommentare