Marine Le Pen vorläufig politisch tot: Verurteilung und Ausschluss von Wahlen

Marine Le Pen stand einfach auf und verließ den Gerichtssaal. Sie wartete nicht einmal das Ende der detailreichen Begründung der Urteile durch die Vorsitzende Richterin Bénédicte de Perthuis ab.
Sie hatte wohl genug gehört – nämlich dass sie wegen der Veruntreuung von EU-Geldern über ein System an Scheinjobs für schuldig gesprochen und unter anderem mit dem sofortigen Entzug des passiven Wahlrechts bestraft wurde. Das bedeutet, dass die französische Rechtsextreme in den nächsten fünf Jahren nicht für ein politisches Amt kandidieren darf, auch nicht bei der kommenden Präsidentschaftswahl 2027. Eine mögliche Berufung hätte keine aufschiebende Wirkung.
Die 56-Jährige ließ sich noch vor Prozessende am Montag zum Sitz ihrer Partei Rassemblement National (RN) fahren, den sie mit angespannter Miene und ohne Kommentar betrat. Tatsächlich handelt es sich um nicht weniger als das zumindest vorläufige Ende ihrer politischen Karriere, auch wenn sie ihr Amt als RN-Fraktionsvorsitzende behalten darf.
Freiheitsstrafe Verurteilt wurde Marine Le Pen außerdem zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, davon zwei auf Bewährung, die sie vermutlich mit einer elektronischen Fußfessel zu Hause absitzen darf, und einer Geldbuße in Höhe von 100.000 Euro.
Die Richter sahen es als erwiesen an, dass sie sich „im Herzen“ eines betrügerischen Systems befand, über das ihre Partei einen beträchtlichen Teil ihrer Personalausgaben aus der Kasse des EU-Parlaments bezahlen ließ. Eingeführt hatte es ihr Vater Jean-Marie Le Pen, der im Jänner im Alter von 96 Jahren gestorben ist. Allerdings, so der Vorwurf, hatte seine Tochter das System noch wesentlich erweitert.
Von Vater Le Pen übernahm sie im Jahr 2011 den Vorsitz des damaligen Front National, den sie einige Jahre später in Rassemblement National umbenannte. Insgesamt wurden zwischen 2004 und 2016 eine Reihe von Mitarbeitern der Partei, darunter der Leibwächter von Vater und Tochter Le Pen senior und Marine Le Pens Pariser Büroleiterin, als Assistenten von EU-Parlamentariern deklariert und bezahlt, ohne für diese tätig gewesen zu sein.
Laut Gericht beläuft sich der entstandene Schaden auf 4,1 Millionen Euro. Insgesamt 25 aktuelle oder ehemalige Führungskräfte, EU-Abgeordnete oder Mitarbeiter sowie die Partei selbst waren wegen der Hinterziehung öffentlicher Gelder angeklagt.
Alle schuldig
Alle wurden schuldig gesprochen, darunter auch Marine Le Pens ehemaliger Lebenspartner, Parteivize Louis Aliot, sowie Schwester Yann Le Pen. Die Verteidigung hatte argumentiert, dass eine Trennung zwischen der Arbeit für die Partei und für einen EU-Abgeordneten nicht möglich sei. Demgegenüber verwies die Anklage auf die klaren Regeln des EU-Parlaments diesbezüglich, die dem widersprechen.
2024 waren Politiker der Zentrumspartei MoDem wegen desselben Vorwurfs, wenn auch mit deutlich geringerem Ausmaß, verurteilt worden. Parteichef François Bayrou, der aktuelle Premierminister, wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Das hohe Strafmaß rechtfertigte die Richterin de Perthuis mit der Tatsache, dass die Angeklagten im Laufe des zweimonatigen Prozesses „kein Bewusstsein über die Schwere der Vorwürfe“ gezeigt hätten und somit das Risiko einer Wiederholungstat bestehe.
Tatsächlich schüttelte Marine Le Pen während der Verkündung des Urteils unablässig den Kopf. „Es ist mein politischer Tod, der gefordert wird mit vorläufiger Vollstreckung, und das ist, glaube ich, von Anfang an das Ziel dieser Operation“, hatte Le Pen auf die Forderung der Anklage reagiert, ihre Unwählbarkeit für politische Ämter vorläufig und sofort vor Rechtskraft des Urteils umzusetzen.
Sie hat stets ihre Unschuld beteuert und dürfte sich nun als Opfer einer politisch gesteuerten Justiz darstellen. Etliche ihrer Parteifreunde zeigten in den sozialen Medien ihre Solidarität unter dem Hashtag #ichunterstützeMarine. Zurufe kamen gestern auch von Europas Rechts-Populisten, allen voran von Ungarns Premier: „Ich bin Marine“; schrie er auf X. Der gleiche Tonfall in Rom: „Lassen wir uns nicht einschüchtern, halten wir nicht inne: Volle Kraft voraus, meine Freundin!“, reagierte der Führer der Lega und Vize-Premier Matteo Salvini.
Erst am Sonntag hatte die rechtsgerichtete Sonntagszeitung Le Journal du dimanche eine Meinungsumfrage veröffentlicht, die Le Pen auf einem Popularitätshoch zeigte: Demnach gaben 37 Prozent der Franzosen an, bei der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl für sie stimmen zu wollen. Das wird zumindest im Jahr 2027 nicht mehr möglich sein.
Der langjährige Schatzmeister der Partei Wallerand de Saint-Just zeigte sich schockiert und kündigte „Widerstand“ an. Er wolle Berufung einlegen. Von Le Pen gab es zunächst keine Reaktion; es hatte geheißen, sie habe im Vorfeld „aus Aberglaube“ jede Vorbereitung auf ein schweres Urteil abgelehnt.
Parteichef Jordan Bardella klagte, die französische Demokratie sei „hingerichtet“ worden. Doch nicht nur ihre Anhänger, auch einige ihrer politischen Gegner hatten die Möglichkeit einer Strafe der Unwählbarkeit kritisiert. So sprach sich auch Justizminister Gérald Darmanin dafür aus, Le Pen „an der Wahlurne zu bekämpfen“.
Passives Wahlrecht
Tatsächlich folgte das Gericht aber einem Gesetz von 2016, das in Folge des spektakulären Steuerbetrugsskandals um den ehemaligen Budgetminister Jérome Cahuzac beschlossen wurde. Es sieht vor, dass Politikerinnen und Politiker im Fall einer Verurteilung wegen Korruption mit dem Entzug des passiven Wahlrechts bestraft werden, was der Nichtwählbarkeit gleichkommt. Marine Le Pen hatte nie Kritik an dem Gesetz geäußert – bis es sie nun selbst traf.
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