Franziskus: Offen und konservativ zugleich

Papst Franziskus sucht die Nähe zu den Menschen.
Die Vatikanexpertin Giansoldati über die Widersprüche in zwei Jahren Pontifikat Franziskus.

Mit "Buonasera" hatte Papst Franziskus vor zwei Jahren am Tag seiner Wahl (13. März 2013) die wartenden Gläubigen auf dem Petersplatz begrüßt. Von Beginn an schlugen dem Argentinier, der "vom anderen Ende der Welt" kam und für "eine Kirche der Armen eintritt", viele Sympathien entgegen. Er geht offen auf Menschen zu und setzt sich für Obdachlose und Arme ein. Seine erste Reise führte ihn aus Solidarität mit Flüchtlingen auf die Insel Lampedusa. Er ist der erste Pontifex, der nicht im prunkvollen Apostolischen Palast lebt. Er zieht sein Zwei-Zimmer-Apartment im vatikanischen Gästehaus vor.

Wer sich allerdings von Franziskus einen liberaleren Kurs bei moralischen Fragen erwartet hat, wurde bisher enttäuscht. Bei wiederverheirateten Geschiedenen, Zölibat, Homosexuellen oder Zulassung von Frauen zum Priesteramt sind keine gravierenden Änderungen zu erwarten.

Die Vatikanexpertin der römischen Tageszeitung Il Messaggero, Franca Giansoldati, traf Franziskus im Sommer 2014 als erste Frau im Gästehaus Santa Marta zu einem Vier-Augen-Gespräch. Mit dem KURIER zog sie Bilanz über das zweijährige Pontifikat von Jorge Mario Bergoglio.

KURIER: Sie konnten in den vergangenen 24 Monaten den Papst bei Audienzen und Reisen aus nächster Nähe beobachten. Welchen Eindruck gewannen Sie?

Franca Giansoldati: Papst Franziskus hat das Image der Kirche auf den Kopf gestellt. Unter Papst Benedikt erschien die Kirche voll Schwierigkeiten und auf dem Abstellgleis. Franziskus lässt die Kirche nach wie vor traditionsverbunden – aber offener, dialogbereiter und nah bei den Menschen erscheinen. Auch wenn der Papst, was die Kirchenlehre betrifft, konservativ und linientreu ist.

In letzter Zeit hat Franziskus mit Ansagen wie "Gute Katholiken müssen sich nicht wie die Karnickel vermehren" oder "Schlagen von Kindern ist in Ordnung, wenn die Würde nicht verletzt wird" für Verwirrung gesorgt.

Das waren Scherze, manchmal auch unglücklich und fehl am Platz. Die Sprüche wurden aus dem Kontext gerissen. Mit dem Karnickel-Spruch wollte er nicht kinderreiche Familien beleidigen. Erst letzte Woche hat der Papst kinderreiche Familien im Vatikan empfangen. Im speziellen Fall vom "Schlagen" hat der Papst eine Rede über väterliche Autorität gehalten. Der Satz, der viele Diskussionen ausgelöst hat, fiel in dem Zusammenhang, dass Eltern unter bestimmten Umständen auf die Launen ihrer Kinder mit einem Klaps auf den Hintern reagieren können. Der Papst hat nie einen Einsatz von Gewaltsystemen unterstützt.

Kritiker werfen dem Papst vor, dass er zwar im Auftreten viel verändert hat, aber bei Reformen wenig bewegt hat. Woran liegt das?

Die Kurie (Verwaltung des Kirchenstaats, Anm.) ist ein komplexes System, das sich mit Veränderungen sehr schwer tut. Der Widerstand gegen Franziskus war vor allem zu Beginn groß. Aber Reformen brauchen Zeit, und zwölf Dikasterien (Behörden, Anm.) lassen sich nicht von heute auf morgen umkrempeln.

Welche konkreten Veränderungen konnte er durchsetzen?

Der Papst hat im Kampf gegen Pädophilie eine Kommission zum Schutz von Minderjährigen einberufen. Dies und die strengere Bestrafung bei Missbrauch ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Auch im Finanzbereich hat Franziskus für größere Transparenz gesorgt. Das Ende des Bankgeheimnisses, das noch vor Ostern fallen soll, gleicht im Vatikan einer Revolution.

Wo sehen Sie Schwachstellen?

Was die Rolle der Frau betrifft, bin ich enttäuscht. Da mangelt es trotz schöner Worte an konkreten Taten. Man könnte eine Synode über Frauen abhalten, eine Vatikan-Sprecherin nominieren, eine Direktorin an die Spitze der Vatikanbank setzen, kurzum Machtpositionen mit Frauen besetzen.

Was erwarten Sie sich von der Familiensynode im Herbst 2015?

Man konnte bisher sehen, dass zwei Welten – konservative und progressive – unter den Bischöfen aufeinanderprallen. Ich rechne mit keinen revolutionären Änderungen. Vielleicht gibt es eine Öffnung bei wiederverheirateten Geschiedenen.

Sie haben den Papst persönlich interviewt und eineinhalb Stunden lang ein Vier-Augen-Gespräch geführt.

Er ist ein großes Kommunikationstalent. Eine Person, die keine Angst davor hat, die Wahrheit zu sagen. Er konnte sich die Euphorie eines Kindes bewahren und verfügt über große Empathie. Ursprünglich war ein Interview über die Stadt Rom geplant – er hat mir aber gleich zu Beginn des Gesprächs eröffnet, dass er die Stadt kaum kennt und etwa noch nie in den Vatikanischen Museen war.

Kommentare