Panzer unter russischer Flagge fahren auf
Ob es russische Panzer sind oder jene von ukrainischen Überläufern, die von pro-russischen Separatisten gelenkt werden, ist noch unklar - fest steht aber, dass in der Ostukraine erstmals Panzer unter russischer Flagge rollen: Unter dem Jubel der Menschen dort wurden etwa sechs Radpanzer nahe Slanwjansk gsichtet; jener Stadt, die seit geraumer Zeit schwer umkämpft ist. Auf den Fahrzeugen des Typs BTR - der sowohl in Russland als auch in der Ukraine zu hunderten in Verwendung steht - saßen rund 15 Bewaffnete in Uniformen mit unterschiedlichen Tarnmustern und winkten den Menschen zu.
Die Separatisten dort haben die "Unabhängige Volksrepublik Donbass" ausgerufen - und sie sind nicht alleine: Auch in anderen Städten gab es Berichte von bewaffneten Auseinandersetzungen. So lieferten sich Armee und prorussische Separatisten heftige Gefechte um den Flughafen der Stadt Kramatorsk – das russische Staatsfernsehen berichtete von vier Toten. Der Flughafen sei unter ukrainischer Kontrolle, sagte Präsident Turtschinow am Dienstag. Auf einem Video (siehe unten) ist allerdings zu sehen, wie ukrainische Soldaten ihre gepanzerten Fahrzeuge aufgeben, zudem rufen Menschen auf der Straße ihnen zu: "Die Armee soll mit dem Volk sein!"
In Donezk übernahmen am Mittwoch wiederum Separatisten das Rathaus. Mindestens 20 Bewaffnete seien in das Gebäude eingedrungen, sie hätten jedoch bisher keine Forderungen gestellt, so die Sprecherin.
Sympathie für die Russen
Überall in der Stadt Slawjansk ist NTV-Reporter Dirk Emmerich auf offene Sympathie für die pro-russischen Aktivisten gestoßen. "Die Stimmung, auch unter den normalen Passanten, ist total pro-russisch", erzählt er dem KURIER: "Die Leute fühlen sich von Kiew im Stich gelassen, wollen Unabhängigkeit." Kiew aber hat nicht vor, diese Unabhängigkeit zuzulassen (mehr dazu hier).
Am Dienstag verkündete Interimspräsident Alexander Turtschinow, dass der seit Tagen angekündigte Militäreinsatz im Osten des Landes angelaufen sei – und das erste Ziel dieser Operation ist offenbar Slawjansk. Begleitet von einem Dutzend Kampfpanzern und gepanzerten Fahrzeugen näherten sich Einheiten der ukrainischen Armee der Stadt, über der Kampfhubschrauber patrouillierten.
Putin warnt vor "Bürgerkrieg"
Die USA haben das militärische Eingreifen der Ukraine verteidigt. "Die ukrainische Regierung hat die Verantwortung, Recht und Ordnung herzustellen", sagte Regierungssprecher Jay Carney in Washington. Die "Provokationen" prorussischer Kräfte "schaffen eine Situation, in der die Regierung handeln muss". Ein Versuch von US-Präsident Barack Obama, Putin für ein gemeinsames Vorgehen zu gewinnen, war Montagnacht gescheitert. Putin bestritt jede Unterstützung für die Milizen. Sein Land sei am Erhalt der Ukraine interessiert, mische sich nicht ein.
Das aber passt nicht zu dem Eindruck, den westliche Reporter wie Dirk Emmerich vor Ort gewinnen. In Slawjansk und anderen Städten der Region sei er auf Einheiten von Bewaffneten gestoßen, die hoch professionell agierten: "Das sind gut ausgebildete Militärs, die genau wissen, wie man vorgeht." Ob es sich aber um Russen handle oder um Ex-Angehörige ukrainischer Sicherheitskräfte, die gegen die Regierung in Kiew kämpften, ließe sich nicht genau sagen. Auch normale Polizeieinheiten würden zu den pro-russischen Kämpfern überlaufen.
In der Ostukraine überschlagen sich die Ereignisse. Vier Dinge, die man über diesen Konflikt wissen sollte:
Wer sind die Leute, die Regierungsgebäude und Polizeistationen im Osten der Ukraine in ihrer Gewalt haben?
Nach dem zu urteilen, wie die Bewaffneten vorgegangen sind und wie sie sich verhalten, dürfte es sich zumindest bei einem Teil um Personen mit erheblicher militärischer Ausbildung handeln. Die Auswahl der Orte lässt zudem mehr auf eine minutiös geplante Aktion als auf einen spontanen Volksaufstand schließen. So wurden gezielt Verkehrsknotenpunkte und auch ein Ort mit einer Landebahn besetzt. Zudem sind die jetzt umkämpften Städte und Dörfer nicht unbedingt jene Orte, in denen es in der Vergangenheit große Proteste gab. Für Spekulationen sogt die Ausrüstung der Kämpfer: Sie sind in Besitz identischer moderner AK-100-Sturmgewehre, wie sie russische Spezialeinheiten benutzen.
Wie stark sind die pro-russischen Bestrebungen in der Ostukraine?
Laut Umfragen will nur eine Minderheit von knapp 30 Prozent den Anschluss an Russland. Eine überwiegende Mehrheit ist für den Verbleib bei der Ukraine. Eine Föderalisierung mit mehr regionaler Selbstbestimmung und direkt gewählten Regionalregierungen findet – wie im ganzen Land – weite Zustimmung und war an sich schon vor der Eskalation geplant. Klar ist: Einen echten Massenaufstand hat es in der Ostukraine bisher nicht gegeben. Demos in der Millionenstadt Donezk erreichten gerade einmal eine Größe von 10.000 Menschen.
Was genau sind die Forderungen der pro-russischen Bewegungen?
Die Bewegung ist intern zerstritten. Die Ziele reichen von der Forderung nach mehr Autonomie innerhalb des ukrainischen Staates über die Ausrufung der Unabhängigkeit von Kiew bis zu einem Anschluss des Gebiets an Russland.
Ist die Reaktion Kiews Zeichen von Schwäche oder von Überlegtheit?
Im Fall der Krim dürften sich den Einheiten der ukrainischen Armee die Frage nicht gestellt haben, ob sich Widerstand auszahlt. Vor allem ihrem passiven Verhalten ist es letztlich zu verdanken, dass die Sache glimpflich ausging. In der derzeitigen Lage sieht sich die ukrainische Führung aber gezwungen, zu reagieren. Das Problem: Der Rückhalt der gegenwärtigen Führung vor allem bei den Einheiten des Innenministeriums ist gering. Die Sondereinheit Berkut wurde aufgelöst, gegen die Spezialtruppe Alfa des Geheimdienstes SBU wird ermittelt. Die Armee aber ist in einem miserablen Zustand, und ihr Einsatz im Inland birgt verfassungsmäßige Probleme. In den Osten wurden jetzt auch Einheiten der neu geschaffenen Nationalgarde beordert, die sich überwiegend aus Kämpfern der Maidan-Bewegung rekrutiert.
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Der Donbass, das ist das Gebiet vor allem eines Mannes: Rinat Achmetow. Ihm gehören das völlig überdimensionierte beste Hotel Donezks, in dem geheizte Marmorböden kalten Füßen schmeicheln, der Fußballclub Shakhtar (Grubenmann) Donezk, Stahlwerke, TV-Sender und vieles mehr. Lokale Politiker haben bisher nicht widersprochen, wenn er etwas einforderte. Kiew war bisher sehr weit weg – und vor allem loyal. Ebenso wie mit der lokalen Politik verhielt es sich mit der lokalen Polizei oder Staatsanwaltschaft. Achmetow – so quasi die Dreifaltigkeit der Staatsgewalten in Personalunion.
Es sind Leute wie er, die die Übergangsregierung in Anbetracht der Krise in der Ukraine zu Oblast-Gouverneuren, also zu Regionalverwaltern, gemacht hat. Die Idee hinter dem kontroversiellen Schritt, der alles andere als einen Elitewechsel verdeutlicht: Regionalkaiser, die ein Interesse daran haben, ihre Region und damit auch ihr Business zu schützen, sollen die Lage ruhig halten. Nur: Achmetow wurde nicht Gouverneur des Donbass. Diesen Posten bekam Sergej Taruta, Unternehmer, Besitzer des Fußballclubs Metallurg (Hüttenarbeiter) Donezk und Nummer 16 auf der Liste der reichsten Ukrainer. Achmetow steht auf dieser Liste an ganz oberster Stelle.
Er wolle nicht persönlich in die Politik gehen, hatte Achmetow nach der Ernennung Tarutas wissen lassen und diesem seine volle Unterstützung zugesichert. Dabei aber ist der Milliardär aus Donezk einer der politisch einflussreichsten Männer der Ukraine. Jahrelang war er Hintermann der Partei der Regionen und sozusagen Macher von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch. Damit ist er aber auch aus der Sicht der neuen Herren in Kiew eher ein Täter als ein Mitläufer.
Genug Macht
Den Einfluss Achmetows in Betracht gezogen, wachsen angesichts der Unruhen im Donbass nun die Zweifel an Achmetows Kooperationswillen. "Er tut alles, um König seines Gebiets zu bleiben", so ein Journalist der Zeitung Tyzhden mit Sitz in Kiew, der die Meinung vertritt, dass Achmetow derzeit alles lieber ist, als eine enge Bindung der Region an Kiew – schon aus Angst, er könne ins Visier der Justiz geraten. Der Beobachter spricht von einer möglichen Loslösung der Region von der Ukraine oder einer weitreichenden Autonomie, die Achmetow anscheinend anstrebe.
Der Punkt ist, wie viele Beobachter in der Ukraine meinen: Dass Achmetow nicht die Mittel und vor allem die Macht hätte, die jetzige Lage zu beruhigen, ist eher zu bezweifeln. Denn das vorrangige Problem der ukrainischen Regierung im Donbass ist vor allem die örtliche Polizei, deren Loyalität weniger Kiew gilt als Achmetow.
Dass Oligarchen beträchtlichen Einfluss auf die Lage in einer Region haben können, hat dabei das Beispiel Dnepropetrowsk vorgezeigt. Dort wurde der Bank-Besitzer, Luftfahrtunternehmer und Medienmogul Igor Kolomojski als Regionalverwalter eingesetzt. Auch er rangiert in den oberen Rängen auf der Liste der reichsten Ukrainer – gegenüber Achmetow jedoch ist er ein kleiner Fisch. In Folge der Revolution in Kiew hatte es in Dnepropetrowsk massive pro-russische Auseinandersetzungen gegeben. Mit der Einsetzung Kolomojskis hatten diese praktisch von einem Tag auf den anderen geendet. "Auch Kolomojski ist kein Engel", so der Tyzhden-Journalist, aber er habe ein großes Interesse an Ruhe in seiner Einfluss-Sphäre und an guten Beziehungen zu Kiew.
StrafverfolgungFür Achmetow hingegen birgt die derzeitige Führung in Kiew gewisse Risiken. Angesichts seiner Rolle als Hintermann der Partei der Regionen und Janukowitschs sind mögliche Ängste seinerseits vor einer Strafverfolgung nicht unbegründet.
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