Ostdeutschland: Grenzen zwischen Protest und Hass verschwimmen
Broiler, Feinfrostgemüse und Roster: Im Deutschen Historischen Museum in Berlin sind Besucher derzeit dazu aufgerufen, ihre Ost-West-Festigkeit unter Beweis zu stellen. Auf kleinen Kärtchen sollen die größten Unterschiede zwischen DDR und BRD aufgeschrieben werden. Eine Fingerübung für die meisten Deutschen. Natürlich ist hier von Hühnchen, Tiefkühlgemüse und Bratwurst die Rede.
Auch 26 Jahre nach der "Deutschen Einheit" sind die alten Ländergrenzen klar zu erkennen. Die sprachlichen sind dabei aber das kleinste Problem.
Noch immer liegen die fünf "neuen Bundesländer" in allen Wirtschaftsparametern zurück. Noch immer liegt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf deutlich unter jenem im Westen (im Vergleich zur alten BRD von 42,8 Prozent 1991 auf 72,5 Prozent 2015). Noch immer liegt hier die Arbeitslosenquote (9,2 Prozent) deutlich über dem Bundesschnitt (im Westen liegt sie sogar nur bei 5,7 Prozent).
Osten hinkt hinterher
Und noch immer ist das Gefühl, gegenüber dem alten Westen benachteiligt zu sein, weit verbreitet. Sichtbar ist das am besten an den Renten, die zwar längst angeglichen sein sollten, aber noch immer deutlich unter Westniveau liegen. Auch die meisten Branchenmindestlöhne zwischen Ost und West sind noch immer unterschiedlich hoch. Ganze Landstriche verwaisen, weil die Jungen zum Arbeiten in die "alten Bundesländer" gehen.
Und noch immer hat der Osten ein Problem mit Rechtsextremismus - und zwar ein gravierendes. Auch wenn die NPD zuletzt in Mecklenburg-Vorpommern aus ihrem letzten Landtag flog, nimmt die Zahl der rechtsextremen und fremdenfeindlichen Übergriffe gleichzeitig stark zu. Das geht aus dem neuen "Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit" hervor, den Iris Gleicke, die Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, am Mittwoch vorstellte.
Und das ist nach Gleicke denn auch der größte Riss, der durch die "Deutsche Einheit" geht: Dass der wachsende Fremdenhass im Hinterland von AfD und Pegida den "gesellschaftlichen Frieden in Ostdeutschland gefährdet", wie auch Gleicke sagt.
Grenzen verschwimmen
"Neben unzähligen Angriffen auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte sind gewalttätige Ausschreitungen wie in Heidenau und Freital zu Symbolen eines sich verfestigenden Fremdenhasses geworden", heißt es in dem Bericht. Dabei sei auch deutlich geworden, dass die Grenzen zwischen bürgerlichen Protesten und rechtsextremistischen Agitationsformen zunehmend verschwimmen.
Statistiken belegen für Ostdeutschland seit vielen Jahren eine besondere Häufung fremdenfeindlicher Übergriffe im Vergleich zur Einwohnerzahl - eine neue Dimension scheint sich jedoch in der Einordnung der Demonstrationen aufzutun, vor allem bei den Protesten gegen den Zuzug von Flüchtlingen.
Gesellschaftlicher Frieden auf dem Spiel
Die Regierung in Berlin spricht deshalb von "besorgniserregenden Entwicklungen", die das Potenzial hätten, den "gesellschaftlichen Frieden zu gefährden". Auch negative Konsequenzen für die Wirtschaft werden nicht ausgeschlossen, zumal dies potenzielle Investoren abschreckt. Das ist mitunter auch ein Grund, warum sich die rechten Ideen so ausbreiten können: Mit Abwanderung und Strukturschwäche wächst auch der Frust der Bevölkerung, und das macht sie anfälliger für rechte oder zumindest rechtspopulistische Parolen. Gleicke führt als Beispiel die schon viel zu lange dauernde Debatte über die Ostrenten an: "Noch mehr politisches Taktikeren" würde zu "noch mehr Politikverdrossenheit führen", sagt sie - und das eröffne Spielräume für jene am äußersten Ende des politischen Spektrums.
"Der Rechtsextremismus in all seinen Spielarten stellt eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar", sagte sie bei der Präsentation des Berichts am Mittwoch. Natürlich sei große Mehrheit der Ostdeutschen nicht fremdenfeindlich oder rechtsextrem, so Gleicke; die SPD-Politikerin kommt selbst aus dem thüringischen Schleusingen. Das Problem sei vielmehr die schweigende Mitte: "Ich würde mir schon wünschen, dass diese Mehrheit noch lauter und deutlicher Stellung bezieht."
Wie angespannt die Lage in Ostdeutschland mitunter ist, zeigte sich zuletzt in sächsischen Bautzen, wo es zu massiven Zusammenstößen zwischen Flüchtlingen und rechten Demonstranten kam.
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