"Official Secrets": Wie Frau Gun die Irak-Lügen der USA aufdeckte
Nein, Katherine Gun darf auch heute, 15 Jahre danach, noch nicht darüber sprechen: Über ihre Arbeit im britischen Geheimdienst, über Lauschangriffe, Agentenarbeit bei der UNO, illegal beschaffte diplomatische Dokumente. „Ich bin ein Leben lang zur Geheimhaltung verpflichtet, auch wenn ich längst nicht mehr dort arbeite. Wenn ich dagegen verstoße, komme ich immer noch vor Gericht.“
E-Mail aus Washington
„Official secrets act“ heißt das einst von Premierministerin Margaret Thatcher erlassene Gesetz. Katherine Gun hat es einmal gebrochen, 2003, kurz vor dem Ausbruch des Irakkrieges. Sie ist dafür vor Gericht gestellt worden, musste den Geheimdienst verlassen.
Darüber und nur darüber darf sie heute sprechen. Über jenen Tag, als plötzlich ein E-Mail des US-Geheimdienstes NSA auf ihrem Rechner aufpoppte. Darin eine Aufforderung an die Briten zur Mithilfe. Washington brauchte die Unterstützung von einem halben Dutzend Staaten, um sich im UN-Sicherheitsrat den Krieg gegen Saddam Hussein absegnen zu lassen. Und weil diese Staaten nicht mitmachen wollten, sollten sie erpresst werden: Mit belastenden Informationen, die der britische Geheimdienst aufstöbern sollte – mit allen Mitteln, auch illegalen.
„Iraker in Hintern treten“
„Ich habe aus Instinkt gehandelt“, erzählt die heute 44-Jährige über ihre damalige Entscheidung, das E-Mail an die Öffentlichkeit zu bringen: „Ich habe keine Sekunde über die Konsequenzen nachgedacht.“ Sie druckte das E-Mail aus, schmuggelte es aus der Geheimdienstzentrale und übermittelte es an eine Freundin aus der Protestbewegung gegen den Krieg.
Katherine Gun war selbst gegen den Krieg, „obwohl ich eigentlich lange nicht besonders politisch war“. Ein Besuch auf einem US-Flugzeugträger im Rahmen einer Dienstreise im Herbst 2002 sollte das ändern. Die Geheimdienst-Mitarbeiterin traf dort auf eine Gruppe von US-Kampfpiloten, die sich schon auf ihren Einsatz im Persischen Golf vorbereiteten. „Wir werden die Iraker in den Hintern treten“, prahlte einer vor ihr: „Dann war mir klar, dass dieser Krieg längst geplant ist.“
Von da an verfolgte sie jede Nachrichtensendung und jeden Bericht zum Thema Irak. Als das E-Mail bei ihr eintraf, wusste sie sofort, was es bedeutete – und sie wusste sofort, was zu tun war.
Ein paar Tage später landete das Mail in einem Briefkuvert auf dem Schreibtisch von Martin Bright, Journalist bei der britischen Zeitung The Observer. „Es war unglaublich aufregend, weil mir sofort klar war, was das für eine Riesengeschichte ist“, erinnert sich Bright im Gespräch mit dem KURIER: „Dann aber fingen die Probleme an. Ich hatte nichts als ein Stück Papier mit ein paar Worten darauf, keinen Absender, keinen einzigen Beweis, dass das keine Fälschung war.“
Bright also ging es wie vielen Reportern, denen eine derartige Information zugespielt wird: „Am Anfang war ich der Einzige, der davon überzeugt war.“ Dazu kam, dass seine Zeitung damals entschlossen für den Krieg trommelte. Man stand der Regierung des damaligen Premierministers Tony Blair politisch nahe. Entsprechend verlässlich wurde die Chefredaktion mit geheimen Informationen aus Downing Street 10 und damit auch aus Washington gefüttert: Informationen, die vor allem eines beinhalteten: Gründe für den Krieg.
„Instinkt gegen Einfluss“
Schritt für Schritt arbeiteten sich Bright und ein paar Kollegen vorwärts, bis sie genügend Beweise für die Echtheit des Schreibens zu haben glaubten: „Wir waren uns zu 99 Prozent sicher.“ Die Entscheidung aber, aus dieser Story eine Schlagzeile und sie damit zu einem politischen Riesenskandal zu machen, fällten Brights Chefredakteure. Diese Entscheidung ringt dem Reporter auch heute noch Respekt ab: „Zuletzt hat sich ihr journalistischer Instinkt gegen den politischen Einfluss durchgesetzt, dem sie ausgesetzt waren.“
Für Katherine Gun aber, die Whistleblowerin, begannen damit erst die Probleme. „ Als die Zeitung erschien, begann im Geheimdienst die Suche nach dem Verräter. Jetzt packte mich die Angst.“ Sie hielt dem Druck nicht lange stand, gestand beim Verhör durch die internen Ermittler, „auch weil ich meinen Kollegen die Hexenjagd ersparen wollte“. Danach fühlte sie sich regelrecht erleichtert. Bei der Vernehmung leistete sich noch einmal einen moralischen Triumph. Als sie der Ermittler auf ihre Pflichten als Angestellte der britischen Regierung hinwies, antwortete sie: „Ich arbeite für das britische Volk. Ich sammle keine Informationen, nur damit die Regierung die Menschen belügen kann.“
Die UN-Resolution kam nach dem Skandal nicht mehr zustande, den Irak-Krieg aber konnten die beiden nicht aufhalten. Auch persönlich profitiert von der Aufdeckung hat keiner der beiden. Martin Bright hat den Journalismus verlassen, engagiert sich heute für Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen. Katherine Gun lebt in der Türkei, verdient Geld mit Zimmervermietung.
Bright ist überzeugt, dass der Job des investigativen Reporters heute wichtiger ist denn je, allerdings auch schwieriger: „Für Politiker damals war es entscheidend, wenn wir es schafften, sie zur Verantwortung zu ziehen. Heute kümmert das viele gar nicht mehr. Sie machen einfach mit dem Lügen weiter.“
Auch Gun hat ihre Tat nie bereut. Die Frage, ob sie es wieder tun würde, beantwortet sie mit entwaffnender Ehrlichkeit: „Wenn ich die Konsequenzen vorher kennen würde, sicher nicht. Wenn ich sie aber nicht erlebt hätte, würde ich es wieder tun. Als Heldin habe ich mich ja nie gefühlt.“
Filmtipp: „Official Secrets“ mit Keira Knightley (Katherine Gun), Matt Smith (Martin Bright), Ralph Fiennes, Regie: Gavin Hood. Filmstart in Österreich: 22. November.
Saddams Atomwaffen
Nach der Intervention in Afghanistan 2001 nimmt US-Präsident George Bush den Irak ins Visier. Er erklärt Diktator Saddam Hussein zur wichtigsten Schaltstelle des islamistischen Terrors und unterstellt ihm, an Massenvernichtungswaffen zu basteln. Obwohl beide Behauptungen unwahr sind, eröffnet die Bush-Regierung eine Propaganda-Offensive, um eine Invasion im Irak zu rechtfertigen und ein Mandat des UN-Sicherheitsrates für den Krieg zu bekommen.
Fälschungen
Der damalige Außenminister Colin Powell präsentiert vor der UNO scheinbare Beweise, die er Jahre später selbst als Fälschungen bezeichnen wird. Die Resolution kommt nicht zustande. Der Krieg gegen den Irak kann das nicht aufhalten. Er beginnt im März 2003.
Festnahme
Am 13. Dezember 2003 wird Saddam festgenommen und am 5. November 2006 zum Tod verurteilt. Am 30. Dezember wird das Urteil vollstreckt.
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