Offensive in Aleppo provoziert Massenflucht
In Syrien überschlagen sich dieser Tage und Stunden die Ereignisse. Während in Genf über ein Ende des Krieges gesprochen werden sollte, ging die syrische Armee in Allianz mit der libanesischen Hisbollah-Miliz und iranischen Einheiten sowie mit russischer Luftunterstützung im Norden und Süden des Landes in die Offensive. Eine Großoffensive, wie sich zeigt. Und eine, die die Dynamiken im syrischen Bürgerkrieg vor allem im Norden des Landes durcheinanderwirbelt.
Bereits 30.000 an türkischer Grenze
Es ist aber vor allem auch eine Offensive, die erst einmal für die Türkei in der Folge aber vor allem auch für Europa weitreichende Folgen haben wird: Zehntausende Menschen haben sich auf die Flucht an die Grenze zur Türkei gemacht. Unterschiedlichen Quellen zufolge ist erst einmal von 15.000 bis 70.000 Personen die Rede. Denn gekämpft – und in bisher kaum dagewesener Weise auch bombardiert – wird in Regionen, die zuletzt vor allem eines waren: mehr oder weniger sicherer Zufluchtsort für intern Vertriebene (IDPs).
In der Nähe der geschlossenen Grenze am Übergang Bab al-Salam sowie in der Stadt Azaz harrten am Freitag bis zu 30.000 Flüchtlinge aus, wie die UNO am Freitag mitteilte.
Mehr Flüchtlinge
Während die Armee auch im Süden Geländegewinne macht, ist in Sachen IDPs vor allem der Großraum Aleppo relevant. Denn dort hatten sich in den vergangenen Jahren Menschen aus allen Landesteilen niedergelassen. Jetzt, da der Ring um die zwischen Rebellen und Armee geteilte Großstadt Aleppo gezogen wird, ist es mit dieser relativen Sicherheit dahin. Und sollte die Stadt selbst fallen, rechnen türkische Behörden mit mehr als einer Million zusätzlicher Flüchtlinge.
Bereits jetzt beherbergt die Türkei 2,5 Millionen. Es ist also wenig überraschend, dass in der Türkei die Alarmglocken schrillen. Präsident Erdogan forderte einen sofortigen Stopp der russischen Luftangriffe. Die Polizei und Armee in dem betreffenden Grenzabschnitt wurde in Alarmbereitschaft versetzt. Bisher blieb die Grenze aber geschlossen. Ein Lager für die Registrierung der Flüchtlinge wurde errichtet.
Während die EU noch mühevoll die gegenwärtige Flüchtlingskrise verdaut, tut sich mit der militärischen Eskalation aber ein Szenario auf, das angesichts der gegenwärtigen Uneinigkeit in der EU in der Frage existenzbedrohend anmutet. Kritik kommt einstweilen einmal von der NATO, die Russland die Schuld am Scheitern der Genfer Gespräche anlastet. Die Luftangriffe würden die Bemühungen um eine friedliche Beilegung des Konfliktes untergraben. Ähnlich äußerten sich die USA und Frankreich. Damit einher geht der Vorwurf, man wolle anstatt eines Abschlusses von Friedensgesprächen viel eher militärische Fakten schaffen.
Hinzu kommt aber, dass Europas Straucheln in der Flüchtlingskrise Moskau nur in die Hände spielt. Zwar wird immer wieder betont, wie gerne man ein "starkes Europa" hätte. Auf der anderen Seite machen sich russische Staatsmedien wenig dezent über Europas Handhabe der Krise lustig.
Moskau weist alle Anschuldigungen zurück: Man setze sich beständig für eine "friedliche und politische Lösung der Situation in Syrien ein", so Kremlsprecher Peskow am Freitag. Zugleich unterstrich er aber den Willen Russlands, "die rechtmäßige Führung" Syriens weiter zu unterstützen.
Mehr Bodentruppen
Und wäre das nicht genug, kommt noch eine militärische Option ins Spiel. Saudi-Arabien will Bodentruppen nach Syrien zu schicken, um den "Islamischen Staat" zu bekämpfen, sollte die US-geführte Koalition einen Bodeneinsatz planen. Aus den USA gab es dazu unerwartet rasch Antwort: Verteidigungsminister Ashton Carter begrüßte das Angebot, sagte, damit würde es der Koalition leichter gemacht, ihren Kampf gegen den IS zu beschleunigen, und kündigte an, mit seinem saudischen Kollegen kommende Woche darüber beraten zu wollen.
Am 11. Februar wollen dann Staaten der Syrien-Kontaktgruppe in München im Vorfeld der Sicherheitskonferenz beraten. Deklariertes Ziel des Treffens: Die Genf-Gespräche wieder in Gang bringen. Angesichts der Faktenlage in Syrien sieht es aber nicht so aus, als hätten Gespräche auf internationalem Parkett derzeit Priorität.
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