ÖVP: Kern-Aussage zu Erdogan "klingt fast wie eine Einladung"
Die ÖVP hat die Aussagen von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) zu einem möglichen Wahlkampfauftritt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Österreich heftig kritisiert. "Das klingt fast wie eine Einladung", hieß es in einer Aussendung von ÖVP-Generalsekretär Werner Amon vom Mittwoch. Kerns "Zurückhaltung" sei "völlig unverständlich".
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hatte am Wochenende eine Debatte über einen möglichen Wahlkampfauftritt Erdogans in Österreich losgetreten, wie sie auch bereits in Deutschland geführt wird. Er hatte in einer Aussendung einen möglichen Auftritt Erdogans hierzulande als "unerwünscht" bezeichnet. Bisher ist allerdings unbekannt, ob der türkische Präsident im Zuge der Kampagne um die Volksabstimmung vom 16. April über die Einführung eines Präsidialsystems überhaupt beabsichtigt, nach Österreich zu kommen.
"Überhaupt keine Freude damit, wenn ausländische Regierungen ihren Wahlkampf nach Österreich tragen"
Bundeskanzler Kern hatte am Dienstag zu dem Thema in seinem Facebook-Videochat gesagt: "Ich werde mich mit der Frage dann auseinandersetzen, wenn es ein entsprechendes Begehren gibt." Es mache "keinen Sinn, hier Drohungen auszustoßen". Es sei aber klar, "dass wir überhaupt keine Freude damit haben, wenn ausländische Regierungen ihren Wahlkampf nach Österreich tragen", unterstrich der Kanzler.
"Höchst irritierend"
Amon schrieb dazu, es sei "höchst irritierend, wenn der SPÖ-Vorsitzende Kern wegen seiner am Dienstag geäußerten zurückhaltenden Position in den türkischen Medien auch noch gelobt" werde.
Erdogan schon 2014 in Wien aufgetreten
Mitte Februar hatte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim bei einer Großveranstaltung in Deutschland für eine Verfassungsreform in der Türkei geworben, die Erdogans Macht stärken würde. Yildirim hatte angekündigt, auch der Staatschef wolle nach Europa kommen, um für das Präsidialsystem zu werben. In welchem Land das sein könnte, sagte er aber nicht. Erdogan war wenige Wochen vor der Präsidentenwahl im Jahr 2014 in Wien vor 13.500 Anhängern aufgetreten. Kurz hatte schon damals Kritik geübt und diese Erdogan auch persönlich mitgeteilt.
Mehr als 116.000 türkische Staatsbürger in Österreich
Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP versucht angesichts eines sich abzeichnenden knappen Ausgangs des Referendums am 16. April, die rund 2,9 Millionen Auslandstürken zu mobilisieren. Laut der "Medien-Servicestelle Neue ÖsterreicherInnen" leben über 116.000 türkische Staatsbürger in Österreich. Mehr als 160.000 hier residierende Personen wurden in der Türkei geboren. Schätzungen gehen von rund 300.000 in Österreich ansässigen Menschen mit türkischen Wurzeln aus. Die Einbürgerungen ehemaliger türkischer Staatsangehöriger ist in den vergangenen zehn Jahren stark gesunken und war 2014 am niedrigsten Stand.
Der für Österreich zuständige AKP-Politiker Mahmut Koc ging Medienberichten zufolge auch mit der Warnung auf Stimmenfang, in der Türkei würde ein Bürgerkrieg ausbrechen, "wenn es ein schlechtes Ergebnis beim Referendum gibt". Am 16. April werden die Türken gebeten, über eine Verfassungsreform abzustimmen, die alle Exekutivgewalt an den Präsidenten überträgt. Laut den Behörden ist die Reform notwendig, die Stabilität des Landes zu gewährleisten. Gegner argumentieren, sie würde Erdogan zu viel Macht geben. Dem türkischen Präsidenten werden autoritäre Tendenzen vorgeworfen, vor allem seit einem gescheiterten Putschversuch im Juli.
Kurz hatte seine Ablehnung eines Auftritts Erdogans mit der Befürchtung, dass dieser die Polarisierung verstärke und damit ein Hindernis für Integration darstelle, begründet. "Damit wird die Eigenverantwortung komplett ausgeblendet", betonte Günay. Hindernisse für die Integration Türkischstämmiger in Österreich gebe es zahlreiche - "und die hängen auch mit dem fast rassistischen Diskurs, der hierzulande fast Mainstream geworden ist, zusammen", nicht nur mit Verbindungen zum Herkunftsland.
Türkischstämmige in Österreich würden sich ohnedies von der Regierung vernachlässigt fühlen und mit der jetzigen Diskussion könnte sich dies erneut verstärken. Erdogan hingegen spreche das Gefühl der Zusammengehörigkeit an und punkte mit seiner Rhetorik, erklärte Günay.
Zwar kann Günay, wissenschaftlicher Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip), die grundsätzlichen Bedenken Kurz' nachvollziehen. Dass die in der Türkei existierende Polarisierung "nicht nach Österreich getragen" werden solle, dass man mögliche Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker, die für die Einführung eines autoritären Systems werben, nicht gutheiße, und auch eventuelle mögliche Sicherheitsbedenken seien verständlich. Allerdings habe der Außenminister die Aussagen getätigt, ohne überhaupt eine offizielle Besuchsanfrage seitens Erdogans erhalten zu haben.
Die Reaktionen in Österreich zeigten nach Günays Worten, dass das Thema Türkei "mehr Innenpolitik ist als irgendein außenpolitisches Thema". "In dem man stark gegen Erdogan und die Türkei generell auftritt, signalisiert man Stärke", so der Politologe. Damit und mit der Integrationsfrage könne man in der Wählerschaft "relativ leicht punkten", und das gelte für Politiker aller Parteien.
Das Gespräch führte Christina Schwaha/APA
In der Türkei hat die Kampagne der Regierungspartei AKP für ein Ja beim Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems begonnen. Das neue System werde den Terrorismus zerstören, versprach Ministerpräsident Binali Yildirim am Samstag beim offiziellen Wahlkampfstart in einem Sportstadion in Ankara.
Terrorgruppen würden für ein Nein werben, sagte Yildirim in seiner mehr als einstündigen Rede, die von türkischen Sendern live übertragen wurde. Am 16. April sollen die Türken über den Entwurf abstimmen, der Staatschef Recep Tayyip Erdogan deutlich mehr Macht verleihen und zugleich das Parlament schwächen würde. Die islamisch-konservative AKP wirbt seit Monaten für das Präsidialsystem.
Die AKP hatte die Verfassungsreform Ende Jänner im Parlament durchgesetzt. Unterstützt wurde sie von Teilen der nationalistischen MHP. Gegner der umstrittenen Reform sind die Mitte-Links-Partei CHP und die pro-kurdische HDP. Im Präsidialsystem wäre der Präsident zugleich Staats- und Regierungschef und könnte weitgehend per Dekret regieren. Stimmt das Volk zu, soll die schrittweise Umsetzung der Reform mit einer für November 2019 geplanten Wahl von Präsident und Parlament abgeschlossen werden.
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