Vater einer österreichischen Hamas-Geisel: "Alle Albträume der Welt wurden wahr"
Gilad Korngold ist überzeugt, dass sein Sohn Tal Shoam lebt und mit seiner Familie im Gazastreifen als Geisel gehalten wird. Er setzt seine Hoffnungen auf Österreich.
Samstagvormittag, etwa 10:30 Uhr. "Vater, ich habe eine Pistole, schütze die Bunkertüre und passe auf, dass niemand hineinkommt.“
Das war das letzte Mal, dass Gilad Korngold Kontakt mit seinem Sohn Tal Shoam (38) hatte, einem israelisch-österreichischen Staatsbürger, der eigentlich mit seiner Familie im Norden Israels lebt. "Es sollte ein schönes Wochenende werden. Mein Sohn, meine Schwiegertochter, deren Eltern und meine Enkelkinder - Nave ist acht und Yhahel drei Jahre alt - waren in meinem Kibbuz zu Besuch, viereinhalb Kilometer vom Gazastreifen", sagt Korngold im KURIER-Gespräch. "Ich war gegen sechs Uhr früh mit dem Hund spazieren, als ich die ersten Raketeneinschläge hörte und sah."
Grundsätzlich sei das nichts Ungewöhnliches. "Dafür haben wir ein eingeübtes Verfahren, gehen in die Bunker in unseren Häusern, wo wir vor Raketenbeschuss sicher sind“, sagt Korngold. Doch dieses Mal war es anders. Mehr als 1.000 Raketen haben die Terroristen in der ersten Stunde abgefeuert. Der Wachtrupp des Kibbuz Beeri - ausgebildet, um mit einer Handvoll Angreifer fertig zu werden - wurde von den Hunderten Hamas-Angreifern rasch getötet. Seine Mitglieder zählen zu den 120 Leichen, die später in Beeri geborgen wurden.
"Ich habe sofort meinen Sohn angerufen, seine Frau, deren Mutter. Niemand hat abgehoben“, sagt Korngold. Auch das sei grundsätzlich nichts Außergewöhnliches. "Wenn sich Terroristen in der Nähe aufhalten, ist es wichtig, stumm zu bleiben, zu schauen, dass die Kinder nicht weinen. Oder Israel hat Strom und Internet abgeschaltet, um eine Kommunikation der Terroristen unmöglich zu machen". Wenig später kam Tals Nachricht.
"Alle Albträume wurden wahr"
"Da begann ich langsam zu realisieren, wie ernst die Situation ist. Tausend Terroristen, schwere Waffen, Fahrzeuge. Menschen schrieben an die Armee, flehten um Beistand. Aber die Soldaten kamen zu spät. Und wir wussten immer noch nicht genau, was gerade passiert“, sagt Korngold. "Alle Albträume der Welt wurden wahr".
Später kam eine Spezialeinheit, um den Kibbuz zu räumen. "Sie mussten langsam, von Haus zu Haus vorgehen. Die Terroristen haben die meisten Häuser - auch meines - niedergebrannt, um die Menschen aus den Bunkern zu vertreiben“. Manche der Fliehenden ermordeten sie, andere verschleppten sie.
Auch zu diesem Zeitpunkt wusste Korngold noch nicht, was mit seiner Familie passierte. "In dieser Situation fragt man sich: Was ist besser? Dass sie tot sind, oder dass sie Geiseln der Hamas sind? Ich bin mir nicht sicher“, sagt Korngold.
Im Haus selbst waren die Leichen nicht. "Am selben Tag hat ein Freund angerufen. Er sagte, am Telefon des Vaters meiner Schwiegertochter habe ein Araber abgehoben und gesagt: 'Gilad Shalid al Gaza'. Ein Zeichen, dass er lebt!“, sagt Korngold mit Hoffnung in der Stimme. Gilad Shalid, das war ein israelischer Soldat, der jahrelang als Geisel in Gaza festgehalten und später freigelassen worden war und dessen Name als Code für Geiselnahmen steht.
In den Kofferraum geworfen
Am Montag dann ein weiteres Zeichen. "Ein Bekannter hat mich angerufen, er wurde von den Terroristen mit seiner Frau und seiner Tochter in einem Auto entführt“, erzählt Korngold. "Sie nahmen auch meinen Sohn, warfen ihn in den Kofferraum des Fahrzeugs. So weiß ich, dass auch Tal lebt - und nicht verbrannt ist oder ermordet wurde.“
Sie seien am Weg zur Grenze gewesen, erzählte der Bekannte. "Plötzlich stoppten die Terroristen, weil israelische Panzer kamen. Er öffnete die Türe, lief mit seiner Frau und seiner Tochter weg. Seine Frau starb, er und seine Tochter überlebten.“
"Wir schreien, wir weinen“
Korngold ist sich sicher, dass zumindest sein Sohn und dessen Schwiegervater in Gaza sind. Nach wie vor wartet er auf die Identifizierung der 120 Leichen, die im Kibbuz Beeri gefunden wurden. "Diese Zeit ist schrecklich! Wir schreien, wir weinen, man wird verrückt! Aber wir müssen warten“, sagt er.
Sollten die anderen Familienmitglieder nicht unter den Leichen sein, ist für ihn klar, dass sie alle im Gazastreifen und am Leben sind. "Und vor allem Frauen und Kinder sollten doch bald freigelassen werden. Das hoffe ich zumindest. Ich will meinen Sohn wieder sehen, meine Enkel, meine Schwiegertochter und ihre Verwandten.“
Kein Vertrauen in Netanjahu
Zu seiner Regierung hat Korngold kein Vertrauen mehr. "Die glauben, die können das Land nach diesem Desaster weiterhin führen. Aber die Menschen wachen auf. Niemand weiß, was mit seinen Verwandten passiert ist. Die Armee übernimmt all die Aufgaben, die eigentlich die Regierung übernehmen sollte. Ich kann mich nur auf Österreich und Deutschland verlassen, dass meine Familie wieder freigelassen wird“, sagt Korngold.
Sollte alles ein gutes Ende nehmen, will der 62-Jährige mit seiner Familie über Weihnachten Wien besuchen. "Eine wunderschöne Stadt mit traumhaften Weihnachtsmärkten“, schwärmt er.
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