Österreicher-Protest am Bosporus

Die Zeitung Cumhuriyet geriet wie viele andere Medien ins Visier der Mächtigen
Fünf Nationalratsabgeordnete traten vor einem türkischen Gefängnis gegen die Verhaftungswelle auf und besuchten eine regierungskritischer Zeitungsredaktion.

Wie eine Insel erhebt sich die Haftanstalt von Silivri bei Istanbul über die kahlen Felder weit im Westen der Millionenmetropole. Die gesamte Siedlung ist mitten im Nichts entstanden und besteht aus einer Reihe hässlicher Hochhäuser, in denen die Mitarbeiter des Gefängnisses wohnen, einer in der Sonne weiß glänzenden Moschee und einem Hochsicherheitstrakt.

Davor hat sich der österreichische Parlamentsabgeordnete Peter Pilz (Die Grünen) auf der staubigen Straße aufgebaut. Zusammen mit einer Delegation des Österreichischen Nationalrats bestehend aus VP-Klubobmann Reinhold Lopatka, den SP-Abgeordneten Hannes Weninger und Harald Troch sowie Hubert Fuchs (FPÖ) ist er zur Parlamentarischen Versammlung der NATO in die Türkei gereist.

Polizei beendet Aktion

Doch man hat sich entschieden, vor dem offiziellen Programmpunkt den Abstecher zum Gefängnis zu unternehmen. "Man muss den Veranstaltern der Konferenz und der türkischen Regierung klarmachen, dass man nicht heile Welt spielen kann und gleichzeitig Parlamentarier einsperren", sagte Pilz, bevor er von einer Gruppe schwer bewaffneter Gendarmeriesoldaten unmissverständlich dazu aufgefordert wird, das Gelände zu verlassen.

Die Zustände in der Türkei sind alarmierend. Immer wieder kommt es zu Verhaftungswellen. Seit dem Putschversuch vom 15. Juli wurden mindestens 35.000 Menschen eingesperrt, darunter 144 Journalisten und zehn Mandatsträger der prokurdischen "Demokratischen Partei der Völker" (HDP), deren Immunität bereits im Mai aufgehoben worden war. Auch in Silivri sitzen derzeit fünf Abgeordnete dieser Partei ein. "Diese Menschen sind aufgrund von Verbaldelikten in Haft", betont Pilz und fügt hinzu, dass letztendlich genau das die Aufgabe eines Parlamentariers sei – Meinungen zu äußern und die Interessen der Wähler zu vertreten.

Für die türkische Regierung unter Präsident Tayyip Erdoğan allerdings gilt mittlerweile fast schon als Terrorist, wer offen eine oppositionelle Haltung gegenüber dem Hardliner-Kurs der Regierung einnimmt. Die wachsende Kritik der EU sorgt zudem für eisige Stimmung am Bosporus. Während man dort darüber nachdenkt, die Todesstrafe wieder einzuführen und unverdrossen weiter Oppositionelle inhaftiert, formuliert man gleichzeitig harte Vorwürfe gegen den Westen: Man würde Terrororganisationen, die der Türkei schaden möchten, unterstützen.

Ruf nach Sanktionen

Vom abgelegenen Silivri aus führte das Programm die Delegation am frühen Abend in die belebte Innenstadt Istanbuls, in die Redaktion der regierungskritischen Tageszeitung Cumhuriyet – neun Redaktionsmitglieder dieser Zeitung befinden sich derzeit in Haft. Pilz hofft, dass diese geschlossene solidarische Haltung des österreichischen Nationalrats zu den politischen Verfolgten in der Türkei als Beispiel für andere europäische Parlamente dienen könnte. Denn in der Delegation ist man nach dem ersten Tag in der Türkei davon überzeugt, dass ein Einfrieren der Beitrittsverhandlungen, wofür das Europaparlament kommende Woche stimmen dürfte, nicht ausreichend sein wird, um die türkische Regierung zurück auf einen demokratischen Kurs zu bewegen. Stattdessen brauche es Wirtschaftssanktionen.

Von Veronika Hartmann, Istanbul

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