Weltpolizist Obama will Putin stoppen
Seit Monaten werfen Kritiker Barack Obama zu große außenpolitische Zurückhaltung vor – jetzt, am vorläufigen Höhepunkt der Ukraine-Krise und der Mordserien islamistischer Milizen im Nahen Osten ist er wieder da: Bei seinem demonstrativen Besuch in Estland sagte der US-Präsident den drei baltischen NATO-Partnern Estland, Lettland und Litauen den unerschütterlichen Beistand der USA zu: „Er ist unzerbrechlich, er ist felsenfest, und er ist ewig.“
Der dreiste Angriff auf die Unversehrtheit der Ukraine“ gehe von Russland aus, das die prorussischen Separatisten ermutige, finanziere, ausgerüstet und bewaffnet habe, sagte Obama in seiner Rede im Konzertsaal Norden in Tallinn, „dies sind Fakten“. Russlands Rückgriff auf die „Tage der Zaren“ sei kein Weg, um im 21. Jahrhundert „verlorene“ Gebiete zurückzubekommen.
Obama nahm in Estland auch zur Ermordung des US-Journalisten Steven Sotloff durch die Milizen des „Islamischen Staates“ (IS) Stellung: Der „entsetzliche Gewaltakt“ werde nicht ungesühnt bleiben, „wir werden für Gerechtigkeit sorgen. Unsere Reichweite ist groß“. Noch in der Nacht auf Mittwoch nach Auftauchen des Enthauptungsvideos hatte Obama eine diplomatische Initiative angekündigt, ein Bündnis zur Bekämpfung des IS zu schmieden.
Soldaten ins Baltikum
Obamas Besuch im Baltikum vor dem NATO-Gipfel in Wales war als symbolische Unterstützung gedacht. Die baltischen Staaten hätten schon einmal ihre Unabhängigkeit verloren, mit der NATO würde das nicht mehr passieren, sagte der Präsident. Er sprach sich für den Ausbau der schnellen NATO-Eingreiftruppe aus und kündigte die Entsendung weiterer Soldaten der US-Luftwaffe und von Flugzeugen ins Baltikum an. Diese sollen zu Übungszwecken auf dem estnischen Militärstützpunkt Ämari stationiert werden. Von den 600 Soldaten, die das Pentagon im April nach Polen und ins Baltikum beorderte, sind bereits 150 in Estland stationiert.
Russische Militärkreise reagierten scharf: Das erneute Heranrücken von NATO-Einheiten an die russische Grenze sei ein aggressiver Akt, sagte der ehemalige Oberbefehlshaber der Luftstreitkräfte, Pjotr Dejneki, am Mittwoch der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Bei einem Konflikt würden solche Stützpunkte als erste ins Visier genommen.
Obama traf in Tallinn neben Gastgeber Toomas Hendrik Ilves auch die Staatschefs Lettlands und Litauens, Andris Berzins und Dalia Grybauskaite. Ilves betonte die veränderte Sicherheitslage in der Region durch das russische Vorgehen (die baltischen Staaten fürchten angesichts der russischen Minderheiten auf ihrem Territorium künftige russische Begehrlichkeiten). Und er stellte die geltenden Verträge der NATO mit Russland infrage, die Beschränkungen bei der dauerhaften Stationierung von Truppen in Osteuropa festlegt. Das dürfte auch eine der Streitfragen beim Gipfel in Wales werden.
Der russische Präsident Wladimir Putin hält eine Vereinbarung zwischen der ukrainischen Regierung und den Separatisten im Osten des Landes noch in dieser Woche für möglich. Ein Abkommen zur Lösung der Krise könnte bis Freitag gefunden werden, sagte Putin am Mittwoch gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti.
In Form eines Sieben-Punkte-Plans soll die Einigung herbeigeführt werden. Dafür nannte das russische Staatsoberhaupt eine Reihe von Bedingungen, so müsse etwa die ukrainische Militäroperation im Osten des Landes gestoppt und internationale Beobachter entsandt werden. Zudem sei ein Austausch von Gefangenen sowie die Errichtung humanitärer Korridore für Flüchtlinge und Hilfslieferungen Voraussetzung für eine Einigung, erklärte Putin. Seine Ansichten und die des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko dazu lägen nahe beieinander.
Die Aufständischen reagierten positiv auf Putins Erklärung. Die "Volkswehr" sei bereit, die Kämpfe einzustellen, wenn sich die Regierungseinheiten zurückziehen würden, sagte Separatistenführer Miroslaw Rudenko in Donezk. Ein möglicher Gefangenenaustausch könne beim nächsten Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe besprochen werden.
Mangott: "Ernst zu nehmender Plan"
Für den Russland-Experten Gerhard Mangott sind die vom russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgelegten sieben Punkte zur Lösung des Ukraine-Konflikts "ein ernst zu nehmender Plan". In der Zeit im Bild 2 am Mittwochabend räumte Mangott allerdings ein, es bestehe auch die Möglichkeit, dass Putin den Konflikt lediglich "einfrieren" wolle
Verwirrung um Waffenruhe
Kurz davor wurde noch über eine mögliche Waffenruhe im Osten des Landes gestritten. Der russische Präsident hat nach Kremlangaben keinen Waffenstillstand mit dem ukrainischen Staatschef Petro Poroschenko im Konfliktgebiet Donbass vereinbart. Russland könne solche Vereinbarungen nicht treffen, weil es keine Konfliktpartei sei, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Staatsagentur Ria Nowosti am Mittwoch.
Die ukrainische Präsidialverwaltung hatte zuvor von einer vereinbarten Waffenruhe gesprochen. Ruderte anschließend aber zurück: Die Behörde strich den Zusatz "dauerhaft" und informierte nur noch von einem vereinbarten "Regime der Feuerpause", wie am Mittwoch auf der Internetseite des Präsidentenamtes zu sehen war. Sollte Putin tatsächlich mit Poroschenko eine Waffenruhe vereinbart haben, wäre dies das erste offizielle Eingeständnis einer russischen Beteiligung an dem Konflikt.
Die EU-Kommission hat trotz der Annäherung zwischen Poroschenko und Putin den Mitgliedsstaaten einen Vorschlag für verschärfte Russland-Sanktionen vorgelegt.
Obama empfängt Poroschenko
Ungeachtete dessen zeigten sich die Separatisten in der Konfliktregion Donbass am Mittwoch zu Gesprächen über eine politische Lösung der Auseinandersetzung bereit. Die Separatisten meldeten zudem, ukrainische Soldaten würden sich schon aus Donbass zurückziehen. Bereits in der Nacht hätten sie bedeutende Truppenbewegungen beobachtet, teilten die Aufständischen mit.
US-Präsident Barack Obama hat sich in einer ersten Reaktion zurückhaltend zu Berichten über eine mögliche Waffenruhe in der Ostukraine geäußert. Es sei für eine eingehende Bewertung noch zu früh, sagte Obama am Mittwoch bei einem Besuch in Estland (siehe unten). Eine Einigung sei ohnehin nicht möglich, solange Russland weiter als Separatisten getarnte Soldaten in die Ostukraine schicke.
Er verkündete aber später, dass er den ukrainischen Staatschef Petro Poroschenko noch dieses Monat im Weißen Haus empfangen wolle. Zugleich betonte er, dass der "dreiste Angriff auf die Unversehrtheit der Ukraine" von Russland ausgehe. Die Rechte der Ukrainer könnten ihnen nicht einfach mit roher Gewalt genommen werden.
Mauer an Grenze geplant
Die ukrainische Regierung plant indes entlang der rund 2.000 Kilometer langen Staatsgrenze zu Russland den Bau einer Mauer. "Wir wollen einen echten Schutz", sagte Ministerpräsident Arseni Jazenjuk am Mittwoch in Kiew. Denkbar sei auch ein Elektrozaun mit Minen und Stacheldraht. Das Projekt soll etwa 100 Millionen Euro kosten. In ihrem Kampf gegen prorussische Separatisten hat die Regierung in Kiew derzeit die Kontrolle über einen Teil der Grenze in der Ostukraine verloren. Die prowestliche Führung wirft Moskau vor, hier Nachschub für die Aufständischen einzuschleusen.
In Minsk kein Durchbruch
Ein Treffen Putins mit Poroschenko in der weißrussischen Hauptstadt Minsk in der vergangenen Woche hatte zunächst keinen Durchbruch in dem Konflikt gebracht.
Dieser hatte sich in den vergangenen Tagen sogar noch zugespitzt. Insbesondere wirft die ukrainische Regierung Moskau vor, immer mehr Soldaten in die Region zu schicken, um die prorussischen Separatisten im Kampf gegen die Regierungstruppen zu unterstützen. Moskau weist die Vorwürfe zurück.
Die Märkte reagierten international erleichtert auf die Meldungen über eine Waffenruhe. Die Indizes Dax und EuroStoxx50 verdoppelten ihre Kursgewinne auf jeweils mehr als ein Prozent. Der Euro stieg binnen Minuten auf 1,3150 Dollar von 1,3125 Dollar. Der Moskauer Aktienindex RTS gewann 4,1 Prozent und der Micex 2,8 Prozent.
Russisches Großmanöver
Ungeachtet der offenbaren Annäherung kündigte das russische Verteidigungsministerium für September ein Großmanöver an. Wie die Nachrichtenagentur RIA am Mittwoch meldete, sollen daran Streitkräfte teilnehmen, die für das nukleare Langstreckenraketen-Arsenal Russlands zuständig sind. Im Gespräch sind demnach mehr als 4.000 Soldaten und etwa 400 technische Einheiten.
Zur Lösung des blutigen Konflikts in der Ostukraine hat Kremlchef Wladimir Putin einen Plan in sieben Punkten vorgelegt. Er stellte die Vorschläge am Mittwoch vor Journalisten auf einer Mongolei-Reise vor. Die Deutsche Presse-Agentur dokumentiert das vom Kreml in Moskau veröffentlichte Papier:
"Für das Ziel, das Blutvergießen zu beenden und die Lage im Südosten der Ukraine zu stabilisieren, denke ich, dass die gegnerischen Seiten umgehend die folgenden Handlungen vereinbaren und koordiniert umsetzen sollten:
1. Beendigung der aktiven Angriffsoperationen der bewaffneten Kräfte, bewaffneter Formationen sowie der Aufständischen im Südosten der Ukraine in den Gebieten Donezk und Lugansk
2. Rückzug der bewaffneten Einheiten der Regierungstruppen der Ukraine auf eine Entfernung, von der aus ein möglicher Beschuss bewohnter Punkte durch Artillerie und alle Arten systematischer Feuersalven auszuschließen ist
3. Eine vollwertige und objektive internationale Kontrolle über die Beachtung der Bedingungen der Feuerpause und ein Monitoring der Lage in einer eigens geschaffenen Sicherheitszone
4. Kein Einsatz der Luftstreitkräfte gegen Zivilisten und Orte in der Konfliktzone
5. Ein Austausch der gewaltsam festgehaltenen Personen nach dem Prinzip "alle gegen alle" ohne Vorbedingungen
6. Eine Öffnung von humanitären Korridoren für Flüchtlinge und für die Lieferung von Hilfsgütern in Städte und Orte des Donbass, des Donezker und des Lugansker Gebiets
7. Reparaturbrigaden für die betroffenen Orte des Donbass, um zerstörte Objekte der sozialen und lebensnotwendigen Infrastrukturen wiederherzustellen und Hilfe bei der Vorbereitung auf den Winter zu gewährleisten."
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