"Niemand da, der in Italien Hoffnung macht"
Beim letzten Gespräch, als es um organisierte Kriminalität ging, rief er: „Laufen Sie mit Scheuklappen rum?“ Veit Heinichen ist – nicht immer, aber immer öfter – ein zorniger, in eigenen Worten ein „entsetzter“ Mann. Er wollte zum Ausdruck bringen, dass jeder, wirklich jeder wissen müsste – und es ist ja auch in seinen Kriminalromanen zu lesen–, dass wir uns „in einer ausgemachten Krise aus Korruption und zielgruppengerecht geschmiedeten Gesetzen befinden, die das Gros der Bevölkerung tragen muss, ohne davon zu profitieren.“
Der Deutsche lebt seit 25 Jahren in Triest (und mit Starköchin Ami Scabar zusammen), wo sein Commissario Laurenti zum achten Mal gegen mafiöse Geschäfte kämpft, „die der Demokratie den Rücken brechen.“ Für viele Leser ist Veit Heinichen zum „Stammitaliener“ geworden.
Am Sonntag ist der 55-Jährige auf Kurzbesuch in Wien; und nach den italienischen Wahlen auch nicht unbedingt bestens gelaunt ...
KURIER: Tut es Ihnen leid, dass Sie als Deutscher in Triest nicht wählen durften?
Veit Heinichen: Diesmal war es leicht. Die Kandidaten haben mir die Entscheidung abgenommen. Ich gebe zu, ich war im Urlaub und fernab der Urnen ...
„Urnen“ ist ein schönes Wort.
Es erinnert an Einäscherung, und so kam’s dann auch. Italien ist, trotz aller Unkenrufe, ein zutiefst demokratisches Land mit einer traditionell hohen Wahlbeteiligung, die in Europa einzigartig ist. Sie sank trotz des weitverbreiteten Überdrusses lediglich um sieben Prozent auf immer noch 75 %. Ein Viertel der Stimmen für Beppe Grillo lese ich als die in anderen Ländern übliche Wahlenthaltung. Grillo hat Proteststimmen von links bis rechts gleichermaßen kassiert.
Resignation?
Ja, denn die Wähler haben niemanden, der Hoffnung macht, das Land wieder aufzurichten. Allein die Tatsache, dass keines der großen Lager die eklatante Jugendarbeitslosigkeit von 39 Prozent zum Thema machte, spricht Bände. Und Bersanis Mitte-links-Lager weigert sich hartnäckig, die Realität anzuerkennen, die Art des Auftretens weniger arrogant zu halten, sich zu erneuern und vor allem die eigenen potenziellen Wähler zu respektieren. Er würde mit dem deutschen Steinbrück ein Traumpaar an Wählerverachtung abgeben.
Umberto Eco sagt, die Wiederkehr Berlusconis erinnert ihn an einen Horrorfilm. Haben Sie gegen diesen Vergleich etwas einzuwenden?
Er ist Blödsinn. Es ist ein Naturgesetz, dessen Logik im Versagen des Gegenlagers liegt. Da hilft keine Moralpredigt von Eco und anderen älteren Herren, die ihrem Kandidaten nicht auf die Sprünge helfen.
Wahlzuckerln versprechen doch andere auch. Wieso kommt Berlusconi so an? Vor allem bei Frauen? Was sagt denn Ihre Frau dazu?
Wer sagt denn, dass Berlusconi bei den Frauen so gut ankommt? Das ist Propaganda. Manche Damen ließen sich ködern. Und Berlusconi hat – wie in Frankreich Sarkozy – immerhin einen Akt begonnen, der früher ja mal von den Linken propagiert worden war: Den Anteil der Frauen in
Regierung und Partei zu erhöhen. Chapeau! Aber glauben Sie bitte nicht, dass die Frauen dümmer sind als die männlichen Wähler. Gegenwind hat Berlusconi im Wahlkampf und im Alltag vor allem von Frauen bekommen.
Wer macht ihn so stark?
Bersanis Mitte-links-Lager hat das auf dem Gewissen. Es ist letztlich Teil des Systems. Die Angst vor der Zivilgesellschaft hat es dazu gebracht, sich abzukapseln und einst ein Wahlgesetz zusammen mit dem politischen Gegner zu verabschieden, das für den jetzigen politischen Stillstand verantwortlich ist und von seinem Schöpfer, der Mitte-rechts-Regierung, selbst als „Schweinerei“ bezeichnet wird.
Und Grillo - ist er ein Spaßvogel, der schnell verschwinden wird? Oder doch einer, der frischen Wind in ein völlig verkrustetes System bringt?
Grillo ist kein Spaßvogel, er macht ernst. Hat links und rechts erfolgreich abgefischt. Jetzt muss er beweisen, dass er nicht nur hohle Sprüche von sich gibt, und von Fall zu Fall ein sauberes Abstimmungsverhalten zeigen. Damit könnte vielleicht gelingen, dass manche dringenden Gesetze, wie die Änderung des Wahlverfahrens, gegen die härtesten Gegner durchgesetzt werden. Danach könnte es gerne zu Neuwahlen kommen.
Und was soll das bringen?
Man kann die Situation in Italien nicht so sehen wie jemand, der sich am Vorabend einen Vollrausch angesoffen hat, den er mit einem langen Schlaf wieder abbauen kann. Das System gleicht eher einer langen Drogensucht, die eine intensive und erschütternde Kur benötigt. Die Pleite, die das Mitte-links-Bündnis eingefahren hat, wird sich nur dann nicht wiederholen, wenn es sich erneuert. Die wichtigste Säule in einer Demokratie ist immer noch eine starke Opposition, die ihren Kontrollauftrag wahrnimmt. Und auch wenn Bersani im Abgeordnetenhaus die Mehrheit hat, ist er dennoch im gesamten in der Minderheit. Neuwahlen sind absehbar, sollte er in der Lage sein, eine Regierung zu bilden, dann hält die keine 24 Monate ...
Werden die Grillini doch noch Verantwortung übernehmen?
Grillo hat seine Verantwortung anerkannt, indem er keine Koalition eingehen, sondern je nach Gesetzesvorlage abstimmen wird. Das wäre wirklich demokratisch. Mal sehen, wie treu seine Mandatsträger sein werden. Die Versuchung der Macht ist bekanntlich riesig.
Wie sehen Ihre italienischen Freunde das Chaos?
Wir sind alle gleichermaßen bedient und kaum überrascht. Aber auch nicht so empört und besorgt, wie das nördlich der Alpen gerne aufgeplustert wird. Italien ist politische Turbulenzen gewohnt und trotzdem der dritte Nettobeitragszahler der EU mit einer Menge an Vorzeigeunternehmen – und einem eklatanten Riss im eigenen Land.
Muss sich Europa auf demokratiepolitisch stürmische Zeiten einstellen?
Da bin ich ganz gelassen. Und wenn die Beteiligung der europäischen Bürger an den Entscheidungen größer wird, das heißt, wenn die Politik aus ihrer Notlage heraus, ihre Bürger stärker zu respektieren beginnt, anstatt immer nur von oben herunter zu verordnen, dann ist das kein Fehler. Gewiss, es ist komplexer und langwieriger, doch wer sagt, dass die Geschwindigkeit hilfreich ist? In Sachen Finanzkrise hat sich auch noch niemand der Verantwortlichen beeilt!
Berlusconi hat ein völlig desolates Kulturland Italien hinterlassen, unter dem Sparkurs von Mario Monti wurde es nicht besser. Welche Perspektive bleibt den Kulturschaffenden?
Der einzige Verdienst Montis war, dass er einen seriöseren Ton in die Politik gebracht hatte. Seine Gesetzgebung hat die Abgabenlast aber aufs Unerträgliche erhöht und damit den Mittelstand stranguliert. Kulturpolitik ist ein Fremdwort geworden im Land mit dem weltweit größten Reichtum an Kulturgütern. Der einzelne zeitgenössische Kulturschaffende wird deswegen aber seine Aktivität nicht abbrechen.
Haben die korrupten Typen, über die Sie schreiben, die bessere Perspektive?
Wir können doch schon in der Bibel nachlesen, dass manche mit ihrem Treiben durchkommen, andere nicht. Solche Systeme schaffen sich nur durch Implosion ab. Was in Kärnten jetzt passiert ist, ist doch in Wirklichkeit dem alten korrupten System zu verdanken, das an sich selbst erstickt ist. Aber nur weil’s in Kärnten passiert ist, heißt das ja nicht, dass ganz Österreich von solchen Tendenzen geheilt ist.
Und damit’s rascher implodiert, hilft – Empörung?
Demokratie verlangt die Teilnahme der Bürger, das haben wir oft vergessen. Vorschlagen und kontrollieren ist gefragt – anstatt immer nur mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, die an allem schuld sein sollen. Nein, so lange wir fett und satt unser eigenes, sich ewig wiederholendes Gejammer nicht leid sind und – wie es der demokratische Auftrag vorsieht – unseren Unwillen nicht zum Ausdruck bringen, so lange geht das immer so weiter. Grillos Erfolg ist ein Zeichen, ob man ihn erträglich findet oder nicht, ist eine andere Frage.
Mit Commissario Laurenti in Wien
Termine Den ersten Termin hat der studierte Betriebswirt heute, Sonntag, um elf Uhr im „Radio Wien“-Literatursalon Im Stadtsaal (1060 Wien, Mariahilfer Straße 81), wo Veit Heinichen über Triest erzählen wird. Der Eintritt ist frei – ebenso wie um 16 Uhr in der Thalia-Buchhandlung Landstraßer Hauptstraße 2a/2b: Dort wird er sein neues Buch „Im eigenen Schatten“ (Zsolnay, 20,50 Euro) signieren.
Neues Buch „Im eigenenSchatten“ hat Commissario Laurenti seinen besten Auftritt seit Langem. Mit hoher Geschwindigkeit zieht der Krimi durch die Sümpfe, die diesmal auch in Südtirol liegen: Ein Flugzeug explodiert mitsamt dem Ex-Politiker Franz Xaver Spechtenhauser, von dem es beim Begräbnis heißt: Warmherzig sei er gewesen, hilfsbereit, bescheiden. Ein ganz übler Verbrecher war er!
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