Niedriger Ölpreis: Goldgräberstimmung bei US-"Frackern" ist vorbei
Lois Zabrocky hat in ihrer Karriere auf hoher See schon viel gesehen. Aber als Boss von International Seaways, einem der größten Tankerunternehmen weltweit mit Sitz in New York, waren für sie die letzten Monate ein Abenteuer der anderen Art. Als der Ölpreis am 20. April wegen der Pandemie ins Bodenlose fiel, war klar, dass damit kein Geschäft zu machen ist. In den USA mussten Öl-Verkäufer sogar noch draufzahlen, damit ihnen jemand den Rohstoff abnimmt. Der Preis für die US-Ölsorte WTI fiel von 18 Dollar zu Börsenbeginn innerhalb kürzester Zeit auf zehn, fünf und zu Handelsende sogar auf historische Minus 37 Dollar.
Während viele Öllager fast übergingen, konnte Lois auf ihren Tankern noch immer Öl lagern: Zwei Millionen Fass pro Schiff. Und sie konnte dafür fast jeden Preis verlangen. Statt 40.000 blätterten die Kunden plötzlich 150.000 Dollar hin – pro Schiff und Tag. Die Wallstreet applaudierte dem börsennotierten Unternehmen.
Die USA sind mithilfe von Fracking in den letzten Jahren weltweit zum größten Ölförderland aufgestiegen. Und sie haben neue Wettbewerbsstrukturen auf dem globalen Ölmarkt geschaffen. Doch vielen „Frackern“ ist das Lachen in der Zwischenzeit gründlich vergangen. Bei dieser (umstrittenen) Fördertechnik wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in ölhaltiges Schiefergestein gepresst, zunächst vertikal und dann horizontal. Das Gestein wird dabei aufgesprengt und das Öl oder Gas anschließend abgepumpt. Ob und wann Ölfirmen profitabel sind, hängt auch von der Gegend, vom Grund ab: „Es kommt auf die Tiefe des Reservoirs an, auf die Gesteinsformation selbst, wie hoch die Kosten für die Bohranlage, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, oder die lokalen Gehälter sind. Da spielen einige Faktoren eine Rolle,“ erklärt Magdalena Klemun.
Die gebürtige Österreicherin forscht am Massachusetts Institute of Technology. Der „break-even“ liege im Schnitt bei 40-50 Dollar pro Fass für Neubohrungen. Die Förderung in bereits existierende Anlagen könne aber schon ab ca. 30 Dollar profitabel sein, so Klemun. Seit dem Absturz haben sich die Preise wieder erholt, das US-Leichtöl WTI kostet wieder etwas mehr als 40 Dollar pro Fass. Und die Öl-Tanker können auch nicht mehr jeden Preis verlangen. Aber viele Fracking-Firmen konnten aufgrund ihrer Turmhohen Schuldenberge nicht so lange warten. Und der Preis ist immer noch ein Drittel unter dem Wert von Jänner mit 63 Dollar.
„Wir haben im zweiten Quartal einen Anstieg von Konkursverfahren nach Chapter 11 gesehen, wie seit 2016 nicht mehr,“ so Alexandre Ramos-Peon, Analyst für Schieferöl bei Rystad Energy. Während eines Chapter-11-Verfahrens kann ein Unternehmen seine Geschäfte unter temporärem Gerichtsschutz vor den Gläubigern weiter führen, sich reorganisieren und sanieren. Von den bisher 19 Fällen haben acht Unternehmen mehr als eine Milliarden Dollar Schulden, so Ramos-Peon. Zu den größten „Frackern“, die heuer schon um Gläubigerschutz angesucht haben gehört der Pionier Chesapeake Energy. Das Unternehmen aus Oklahoma City hat den USA dazu verholfen, zu einem globalen „Powerhouse“ aufzusteigen, häufte aber gewaltige Schulden in der Höhe von 9 Milliarden Dollar an. Unter den größten Pleiten sind auch Ultra Petroleum (5,5) und Whiting Petroleum (3,6).
Manche standen schon 2016 am Abgrund und sind in den letzten Jahren nur knapp an einer Pleite vorbeigeschrammt, andere haben durch den Einbruch der Ölnachfrage erst heuer Probleme bekommen.
„Die Finanzierung der Unternehmen wird auch weiterhin eine Herausforderung sein,“ so Ramos-Peon. „Der Enthusiasmus der Investoren ist verglüht.“ Im Gegensatz dazu würden manche Unternehmen jetzt zuschlagen und schwächere Unternehmen zum Discountpreis kaufen, so der Ölanalyst und verweist auf die Übernahme von Noble Energy durch Chevron.
Ölschwemme
Bis 2015/2016 herrschte in den USA Goldgräber-Stimmung. Doch sie versiegte, als die OPEC unter Führung Saudi Arabiens mit einer Ölschwemme und fallenden Preise antwortete. Mehr als 40 Prozent der Mitarbeiter der Schiefer-Energieunternehmen sind laut Rystad damals entlassen worden. Die Mehrheit der Unternehmen hatte gerade erst angefangen, wieder Geld zu verdienen.
Neben den börsennotierten Ölunternehmen gibt es in den USA Tausende und Abertausende kleine Ölfirmen, Familienunternehmen mit wenigen Bohrlöchern, vor allem in Oklahoma, sozusagen hinten im Garten. „Es werden sicher auch regionale Banken, vor allem in Texas in den Strudel mit hineingezogen,“ so Professor Willi Semmler, Ökonom an der New School in New York. „Die kleinen und mittleren Unternehmen werden besonders betroffen sein. Die großen haben auch andere Einnahmequellen, die werden dann wieder gewinnen, wie in der letzten Krise. Präsident Trump hat angekündigt, sie vor der Insolvenz zu retten.“
Ob die USA ihre Top-Position halten, hänge auch davon ab, ob Trump bei der Wahl gewinnt oder nicht. Er werde sicher viele neue Quellen, Fördergebiete erlauben, um die nationale Energieversorgung zu sichern und die Stellung zu halten. „Die Demokraten würden das sicher bald umschalten auf mehr erneuerbare Energie und die ganzen unbeschränkten Abbaurechte wieder zurücknehmen.“
US-Präsident Donald Trump ist ein Mann des Öls, die Industrie erwartet Unterstützung in der aktuellen Krise. Aber sie bringt auch Wählerstimmen. Allein die unabhängigen Ölproduzenten beschäftigen laut der Independent Petroleum Association of America direkt rund eine Million Mitarbeiter. Ob die USA Nummer 1 bleiben, das wird auch von der Dauer der Krise abhängen und was Russland und Saudi Arabien machen, so Klemun vom MIT.
Kommentare