Niederländer sagen Nein zu Ukraine-Abkommen

Premierminister Mark Rutte bei der Stimmabgabe
Das Votum gegen das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine ist laut Hochrechnungen gültig. Tusk will jetzt mit Rutte reden.

Die Niederländer haben in einer Volksabstimmung das EU-Abkommen mit der Ukraine abgelehnt. 61 Prozent stimmten laut Hochrechnungen dagegen. Nach Auszählung von rund 80 Prozent aller Stimmen lag die Wahlbeteiligung bei rund 32 Prozent. Damit wurde die gesetzlich vorgeschriebene 30-Prozentmarke erreicht.

Berücksichtigung des Ergebnisses

Zwei EU-skeptische Initiativen hatten mit 470.000 Unterschriften das Referendum erzwungen. Ministerpräsident Mark Rutte kündigte an, die Ratifizierung erneut zu überdenken. „Wenn das Referendum gültig ist, dann können wir den Vertrag nicht einfach so ratifizieren“, sagte Rutte im niederländischen Fernsehen. Das EU-Assoziierungsabkommen soll zu einer engeren wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit mit der Ukraine führen und wurde bereits von den übrigen 27 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert. Das Ergebnis des Referendums ist für die Regierung zwar nicht bindend, aber sie hatte angekündigt, es zu „berücksichtigen“. Die EU fürchtete eine Stärkung EU-feindlicher Kräfte in Europa und einen Aufwind für Russlands Präsidenten Putin gegen die EU durch das Referendum.

Die Ukraine will an EU-Annäherung festhalten

Die Ukraine will auch nach dem Votum der Niederländer gegen ein EU-Handelsabkommen an ihrem Annäherungskurs an die Europäische Union festhalten. Sein Land werde sich weiter in Richtung EU bewegen, sagte Präsident Petro Poroschenko am Donnerstag in Tokio. Er verwies zudem darauf, dass das Referendum für die niederländische Regierung nicht rechtlich bindend sei.

„Das EU-Ukraine-Abkommen wird weiter vorläufig angewendet werden“, teilte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag in einer ersten Reaktion mit. Er wies dabei darauf hin, dass abgesehen von den Niederlanden bereits alle anderen 27 EU-Mitgliedstaaten das Abkommen ratifiziert haben.

Tusk will jetzt mit Rutte reden

Zum weiteren Vorgehen erklärte Tusk, er werde nun Gespräche mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte führen. „Ich muss von ihm hören, welche Schlussfolgerungen er und seine Regierung aus diesem Referendum ziehen, und was seine Absichten sind.“

Die EU-Kommission sieht nun die Regierung in Den Haag in der Pflicht, ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Es liege an der niederländischen Regierung, die Situation zu analysieren und Entscheidungen zu treffen, sagte ein Sprecher der Brüsseler Behörde am Donnerstag. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sei "traurig" wegen des Ausgangs des Referendums.

In der EU ist es übliche Praxis, dass Abkommen für vorläufig anwendbar erklärt werden, bevor sie mit ihrer Ratifizierung voll und ganz in Kraft treten können. Nur diejenigen Teile von Abkommen, die in nationaler Zuständigkeit liegen, werden dann erst nach Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten umgesetzt.

Der Sprecher der EU-Kommission sagte zudem, dass seines Wissens nach das Endergebnis des Referendums in den Niederlanden erst am 12. April vorliegen soll.

Griechenland, Flüchtlingskrise, Brexit und jetzt auch noch das „Nee“ der Niederländer zu einer engeren politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Ukraine. Die Europäische Union rutscht mit dem klaren Votum der Niederländer – mehr als 60 Prozent stimmten gegen das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, die Wahlbeteiligung lag bei 32 Prozent – noch tiefer in die Krise.

Das Ergebnis gilt als Spiegel für die Unzufriedenheit und Skepsis der Bürger mit der EU. Das Resultat zeigt, dass es den EU-Gegnern gelungen ist, die Ukraine-Abstimmung zu benützen, um der EU und auch den Niederlande eine schallende Ohrfeige für die Flüchtlingspolitik einen Denkzettel zu verpassen. Rechtspopulist Geert Wilders hatte die Niederländer aufgefordert, mit „Nein“ zu stimmen: „Ich glaube, viele Niederländer haben die Nase voll von der Europäischen Union und diesem Abkommen mit der Ukraine, das nicht im Interesse der niederländischen Bevölkerung ist.“

Die Regierung hat es verabsäumt, die Bürger zu informieren, was das Abkommen mit der Ukraine bringt, nämlich große Handelsvorteile.
Viele der Nein-Werber haben auch eine deutliche Sympathie mit Russland und Wladimir Putin gezeigt und argumentiert, das Ukraine-Abkommen würde den Konflikt der EU mit Russland weiter anheizen.

Für Europa kommt das Votum zur Unzeit: Am 23. Juni stimmen die Briten über einen Verbleib in der EU ab. Die Brexit-Befürworter jubeln über das niederländische Ergebnis.

Was die EU aus dem Beispiel der Niederlande lernen wird, ist offen. Mehr auf die Bürger hören? Mehr Erklären? Den Kopf einziehen – und nichts mehr tun? Wir werden es sehen.

Eines steht aber eindeutig fest: Die EU-Gegner fühlen sich gestärkt und nationalistische Tendenzen nehmen zu.

Das Assoziierungsabkommen soll die Ukraine stärker an die EU binden. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen sollen gestärkt und die ehemalige Sowjetrepublik allmählich in den internen EU-Markt integriert werden. Das bereits in Kraft getretene Abkommen enthält auch eine Reformagenda für die Ukraine, die ihre Gesetzgebung an die EU-Normen angleichen soll.

Außerdem sieht es Reformen zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor sowie zum Schutz der Menschenrechte und zur Korruptionsbekämpfung.

Das Abkommen gilt als Auslöser der politischen Krise in der Ukraine im November 2013 und des Konflikts mit Moskau. Nach den pro-europäischen Protesten auf dem Maidan im Zentrum der Hauptstadt Kiew fiel am Ende die Regierung des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Russland hatte gegen die Annäherung der Ukraine an die EU protestiert.

Zu dem Vertrag gehört ein Freihandelsabkommen. Die Vereinbarung sieht einen fast 100-prozentigen Verzicht beider Seiten auf Zölle vor. Die Ukraine passt dabei ihre Vorschriften an die der EU an, um den Handel zu vereinfachen. Auch die Niederlassung von Unternehmen wird erleichtert und der freie Kapitalverkehr garantiert.

Für Unternehmen aus der EU wird der Zugang zu einem Absatzmarkt mit rund 45 Millionen Konsumenten deutlich einfacher. Durch den Wegfall von Zöllen können sie nach Berechnungen der EU-Kommission zudem jedes Jahr Kosten in dreistelliger Millionenhöhe einsparen.

Moskau befürchtet Nachteile für die heimische Wirtschaft, weil zollfreie Importe aus dem Westen über die Ukraine auch nach Russland gelangen könnten.

Schon viele EU-Projekte sind an Volkes Wille gescheitert. Oft hatte das "Nein" der Bevölkerung aber auch nur aufschiebende Wirkung. Und manchmal noch nicht mal das, wie etwa das griechische Referendum über die Bedingungen der Gläubiger im vergangenen Sommer.

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