2023 war das schlimmste Jahr: So viele Helfer getötet wie nie zuvor

Humanitäre Hilfe für ankommende Migranten in Italien
Weltweit nehmen die Krisen zu. Vier Hilfsorganisationen schlagen Alarm und rufen die heimische Regierung "zum Anpacken" auf.

 von Florian Mühleder

“2023 war das tödlichste Jahr für humanitäre Helfer in der Geschichte. In 33 Ländern sind 280 humanitäre Helfer zu Tode gekommen. Ich wage zu behaupten, 2024 wird noch schlimmer”, sagt der Generalsekretär des Roten Kreuzes Österreich Michael Opriesnig. 

Ein großer Teil der im Vorjahr umgekommen humanitären Helfer wurde im Gaza-Streifen registriert.

In den letzten Jahren gab es einen massiven Anstieg von Krisen. Während es vor 25 Jahren weltweit rund 20 Konflikte gab, seien heute 120 Konflikte im Gange, bilanziert Opriesnig. 

“Krisen kosten Geld, aber noch viel gravierender ist, dass sie Menschenleben und viele Kinder ihre Zukunft kosten.” Jeden Tag riskieren unsere Kollegen in der Ukraine, in Gaza, im Sudan ihr Leben, um Mitmenschen zu helfen", so der Generalsekretär des Roten Kreuzes Österreich.

Für die Hilfsorganisationen gebe es im Bezug auf die politischen Konflikte keine gute oder schlechte Seite - nur Menschen in Not. Knapp 300 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Gemeinsamer Appell an Regierung

Am Montag, dem Welttag der humanitären Hilfe, stellten die Hilfsorganisationen CARE, Caritas, das Rote Kreuz und die Arbeitsgemeinschaft Globale Verantwortung deswegen weitreichende Forderungen an die nächste Regierung. 

Unter dem Motto “Österreich packt an” appellieren die NGOs, den Auslandskatastrophenfonds (AKF) finanziell abzusichern und qualitativ aufzuwerten. 

Planbarkeit ist zentral für alle Beteiligten. Frühzeitige Information zu Ausschreibungen des AKF muss zur Norm werden“, so Lukas Wank, Geschäftsführer der AG Globale Verantwortung, einem Dachverband von 36 österreichischen NGOs im Bereich Entwicklung und humanitärer Hilfe.

Gemeinsam mit CARE, Caritas, dem Roten Kreuz fordert man, so Wank, eine jährliche Erhöhung des AKF auf 200 Millionen Euro bis 2030.

Darüber hinaus solle die nächste Regierung das humanitäre Völkerrecht stärken und weiterentwickeln. 

Von der aktuellen Regierung fordert man, verbliebene Mittel für 2024 auszuschütten und die Strategie der humanitären Hilfe Österreichs sowie das Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2025 bis 2027, das in der „Schublade des Außenministers" liegt, zu beschließen.

Opriesnig betont auch die Relevanz von völkerrechtlicher Verantwortung der österreichischen Regierung: “Auch im Krieg gelten Regeln. Keine Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Keine Angriffe auf Krankenhäuser und Helfer. Keine unmenschliche Behandlung und sichere Fluchtrouten für Zivilisten."

Diese Regeln seien ein Versuch, selbst in den schlimmsten Zeiten einen gewissen Grad an Menschlichkeit zu haben, Leben zu retten und Leid zu verhindern. Trotz des Abschlusses der Genfer Konvention vor 75 Jahren werden diese völkerrechtlichen Regeln andauernd gebrochen, so Opriesnig.

2023 war das schlimmste Jahr: So viele Helfer getötet wie nie zuvor

Hilfskräfte im Einsatz nach dem folgenschweren Erdbeben im Februar des vergangen Jahres

Naher Osten als Krisenherd

Generell ist der Nahe Osten Schauplatz vieler aktueller Krisen. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen der Hisbollah mit Israel kosteten im Libanon bereits 400 Menschen das Leben. 100.000 Menschen flüchteten aus dem Land.

“Der Libanon befindet sich in einer der gravierendsten Wirtschaftskrisen überhaupt, und man darf nicht vergessen, dass auch Armut tödlich sein kann”, sagt die Delegierte des Roten Kreuzes im Libanon Simona Mencinger. Die Landwirtschaft ist als einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes massiv beeinträchtigt.

Dazu verzeichnet der Libanon große Flüchtlingsströme aus dem vom Bürgerkrieg geplagten Nachbarland Syrien. Das Österreichische Rote Kreuz unterstützt dabei mit Wasser- und Sanitärversorgung, Bargeldhilfen und Blutspenden

In Syrien verschlechtert sich die Situation immer weiter, so Mencinger. “Die Menschen können sich das Überleben kaum noch leisten und die Kampfhandlungen sind alles andere als vorbei." 

Im Gazastreifen ist die Situation noch angespannter: “Fast die gesamte Bevölkerung leidet unter Lebensmittelmangel. Eine halbe Million Menschen sind von der Hungersnot betroffen.”

In diesem Zusammenhang fordert Mencinger einen sicheren Zugang für Hilfsgüter, die zwar genügend zur Verfügung stünden, allerdings nicht in das Gebiet gelassen würden. “Die Schließung der Grenzen bedeutet auch ein Todesurteil für sehr viele Menschen.”

Die Anspannung in der Region nimmt nicht ab, im Gegenteil: “Wir bereiten uns auf eine weitere Eskalation vor. Und auch schon auf eine Zeit nach dem Konflikt."

"Lost Generation" befürchtet

Der Caritas-Auslandshilfe-Chef Andreas Knapp lenkt den Fokus auf die jüngere Generation in den Krisenherden. Millionen von Kindern könnten zu einer "Lost Generation“ gemacht werden. 

Die Auswirkungen der Klimakrise treffen die junge Generation besonders. “Dürren, wie beispielsweise in Kenia, waren bisher alle fünf bis zehn Jahre eine Realität, so sind sie heute jährliche Ereignisse”. 

Man finde sich in der Situation wieder, dass nun immer mehr Menschen akute Hilfe benötigen, so Knapp.

Frühe Abklärung über finanziellen Mittel

Die Auslandskatastrophenfonds sollen deshalb an die veränderten Verhältnisse angepasst werden und planbarer und zukunftssicherer gestaltet werden. “Konkret braucht es mehr Geld, verlässlichere Werkzeuge und Prozesse.” 

Dabei sei für eine wirksame Hilfe vor allem eine frühe Abklärung der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel wesentlich, so der Caritas-Auslandshilfe-Chef. 

Auch CARE-Österreich-Geschäftsführerin Andrea Barschdorf-Hager plädiert für eine “vorausschauende humanitäre Hilfe”. In der Vorbereitung auf Naturkatastrophen könnte sie von großer Bedeutung sein. 

Gerade auch bei chronischen Krisen sei es allerdings wichtig, durch Werkzeuge proaktiv zu handeln und frühzeitig Hilfe bereitzustellen. Risikoanalysen und flexible Finanzierungsmethoden seien hier von großer Relevanz.

Eine rechtzeitige Hilfe durch Frühwarnsysteme sei siebenmal effektiver und dazu günstiger. Vor allem würden sie aber viel menschliches Leid vermeiden, so Barschdorf-Hager.

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