EU gegen Putins Eurasien
Mehr Stärke nach außen und mehr Behutsamkeit nach innen" – das sei die Aufgabenstellung an die EU dieser Tage, sagte Herman Van Rompuy am Donnerstag in Aachen. Dort wurde der erste ständige Ratspräsident der EU mit dem renommierten Karlspreis ausgezeichnet. Mit "außen" ist seit Zuspitzung der Krise in der Ukraine, wo gestern schwere Gefechte und der Abschuss eines Armeehubschraubers hohen Blutzoll forderten, stets Russland gemeint. Van Rompuy übte denn auch Kritik an Moskau: "Destabilisierung durch unseren gemeinsamen Nachbarn Russland ist nicht akzeptabel." Europa sei besorgt über die Lage in der Ukraine, aber auch in Georgien und Moldau. Und deren Regierungschefs waren demonstrativ nach Aachen geladen worden, um ihnen vonseiten Europas den Rücken zu stärken.
Es geht um die Existenz
Moldaus Ministerpräsident Jurie Leanca erinnerte daran, dass sein Land seit seiner Unabhängigkeit 20 Jahre lang Niedergang und Stagnation erlebt hat. "Die europäische Integration ist nichts weniger als eine Existenzfrage", sagte Leanca und betonte: "In diesen Tagen sehen wir im Osten unseres gemeinsamen Kontinents ein sich entwickelndes geopolitisches Ringen – etwas, das wir in Europa nie wieder zu erleben müssen glaubten."
Tatsächlich hob Kreml-Chef Wladimir Putin zeitgleich in Astana, der Hauptstadt von Kasachstan, offiziell sein neues "Kind" aus der Taufe: die Eurasische Union. Gründungsmitglieder des wirtschaftspolitischen Bündnisses: Russland, Kasachstan und Weißrussland. Die Union soll ein Gegengewicht zur EU bilden, die sich aus Sicht Moskaus schon viel zu weit gen Osten ausgebreitet hat. Nicht zuletzt unter diesem Aspekt ist Russlands Politik in der Ukraine, das als Kernland der Eurasischen Union erachtet wird, zu verstehen.
In der OSZE-Zentrale in Wien bangt man um vier in der Ostukraine verschleppte OSZE-Beobachter. Sie werden laut prorussischen Aufständischen im Raum Slawjansk festgehalten. Die Separatistenhochburg wurde gestern von Artillerie und Kampfjets angegriffen.
Mit der Eurasischen Union wollen frühere Sowjetrepubliken ein Gegengewicht zur EU schaffen, die weit nach Osten hin expandiert ist. Der russische Präsident Wladimir Putin und Kasachstans Staatschef Nursultan Nasarbajew entwickelten das Konzept eines eigenen ökonomischen und politischen Blocks nach EU-Vorbild zwischen Westeuropa und China.
Als erster Schritt in diese Richtung wurde 2007 die Zollunion von Russland, Weißrussland und Kasachstan vereinbart. 2012 wurde ein einheitlicher Wirtschaftsraum geschaffen, der einen freien Austausch von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften garantieren soll. Eine gemeinsame Wirtschaftskommission mit Sitz in Moskau koordiniert die Zusammenarbeit.
Wegfall der Grenzkontrollen
Die in diesen Tagen vereinbarte politische Eurasische Union soll von Jänner 2015 an in Kraft sein. Den Gründungsmitgliedern Russland, Weißrussland und Kasachstan sollen die mittelasiatischen Republiken Armenien und Kirgistan folgen. Ein Ziel der Eurasischen Union ist neben der Wegfall der Grenzkontrollen eine gemeinsame Währung. Putin hat den Vorwurf zurückgewiesen, er wolle mit dem Bund die 1991 zerfallene Sowjetunion wiederauferstehen lassen.
Die drei Gründungsstaaten der Eurasischen Wirtschaftsunion haben zusammen eine Bevölkerung von 170 Millionen, grob etwa halb so viele wie die USA oder die EU. Die gemeinsame Wirtschaftsleistung beträgt rund 2,7 Billionen Dollar, während die bestehenden beiden Blöcke um die 16 Billionen Dollar vorweisen. Russland und Kasachstan sind wichtige Ölproduzenten. Vorausgegangen war eine 2010 gegründete Zollunion.
Estland, Lettland und Litauen sind jedoch bereits EU-Mitglieder. Auch andere Ex-Teilrepubliken der Sowjetunion wie die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien streben eine engere Zusammenarbeit mit Brüssel an.
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