Israel: Es wird eng für Benjamin Netanjahu

Israels Premier Netanyahu
Die Likud-Partei des Premierministers liegt laut Exit Polls auf Platz eins. Doch das dürfte nicht reichen.

Benjamin Netanyahu war Berichten zufolge schon auf dem Weg zu einer Rede vor Anhängern - als er abrupt stoppte. Grund war demnach eine neue Prognose, nach der eine Wiederwahl des Regierungschefs in weitere Ferne rückte. Der 71-Jährige verschob seinen Auftritt und sah letztlich von einer klassischen Siegesrede ab. Netanyahus Chancen auf eine weitere Amtszeit schwanden zuletzt immer mehr - trotz rasanter Corona-Impfkampagne, auf die der 71-Jährige im Wahlkampf so sehr setzte.

Es wurde am Mittwoch klar: Das Land bleibt nach der Wahl, die einem Referendum über den in einem Korruptionsprozess angeklagten Netanyahu gleich kam, tief gespalten. Ein Ausweg aus dem Patt, der politischen Krise ist vorerst nicht in Sicht. Seit 2019 ist etwa kein Budget mehr verabschiedet worden.

Der rechtskonservative Likud von Netanyahu blieb nach Auszählung von rund 90 Prozent der Stimmen mit 30 Mandaten trotz Verlusten stärkste Kraft. Er will eine weitere Wahl vermeiden und rief noch in der Nacht zur Bildung einer stabilen Regierung auf. Für sein angestrebtes Bündnis aus rechten und religiösen Parteien reicht es jedoch nicht zu einer Mehrheit im Parlament, der Knesset. Er ist auf weitere Unterstützung angewiesen, wie etwa durch seinen ultrarechten Rivalen Naftali Bennett von der Yamina-Partei - auch wenn dieser bisher die Ablösung Netanyahus als Ziel ausgegeben hat. Netanyahus Problem ist, dass die Bildung einer stramm rechten Regierung bei der neuen, liberalen Regierung in den USA nicht gut ankommen dürfte.

Profitieren könnte der 71-Jährige davon, dass er in einer Kehrtwende zu seiner bisherigen Politik im Wahlkampf die arabischen Israelis umgarnte. Denn zum Zünglein an der Waage könnte die junge Raam-Partei werden. Sie scheint den Einzug in die Knesset mit fünf Mandaten zu schaffen. Eine Koalition, in der sowohl Raam als auch die radikal-rechte religiös-zionistische Partei sitzen, wäre allerdings äußerst problematisch. Zu diesen gehören Anhänger des ermordeten, extremistischen Rabbi Meir Kahane, der gegen Palästinenser gehetzt und eine jüdische Theokratie gefordert hatte. In den 1980er Jahren war dessen Kach-Partei verboten worden.

Im Anti-Netanjahu-Block gibt es ähnliche Schwierigkeiten. Der Zweitplatzierte der Wahl, der bisherige Oppositionsführer Yair Lapid von der Zukunftspartei (18 Mandate), müsste ebenfalls versuchen, Bennett auf seine Seite zu ziehen. Doch dessen siedlerfreundliche Yamina hat unter anderem Differenzen mit den Parteien der arabischen Israelis, die Lapid ebenfalls ins Boot holen müsste. Eine Koalition mit Netanyahu lehnt Lapid bisher ab.

Viel dürfte in den kommenden Wochen also von Bennett abhängen. In die Karten schauen ließ er sich bislang nicht. Mit dem Schreckgespenst einer fünften Wahl in weniger als zweieinhalb Jahren könnte massiver Druck auf ihn ausgeübt werden. Fraglich ist, ob er die mögliche Rolle des Sündenbocks hinnehmen würde.

In der Knesset wären nach Stand vom Mittwoch mehr als ein Dutzend Parteien oder Listen vertreten. Die Bildung einer Koalition ist nur unter Einbindung einer Vielzahl von ihnen möglich. Ein Regierungschef müsste also Rücksicht auf viele Partikularinteressen nehmen, wäre also auch leicht unter Druck zu setzen.

Mehr Klarheit könnte sich nach der Auszählung aller Stimmen ergeben. Damit wurde allerdings nicht vor Freitag gerechnet. Das offizielle Endergebnis wird acht Tage nach der Wahl veröffentlicht. Präsident Reuven Rivlin hat anschließend sieben Tage Zeit, einen Politiker mit dem Versuch der Regierungsbildung zu beauftragen.

Netanyahu ist seit 2009 durchgängig Ministerpräsident und der am längsten amtierende Regierungschef des Landes. Aus Sicht mancher Israelis ist es Zeit für einen Wandel. Die vielen Abstimmungen in den vergangenen Jahren bewirkten Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit. Die Wahlbeteiligung lag nach vorläufigen Zahlen nur bei 67,2 Prozent. Niedriger war sie zuletzt 2009. Viele Menschen haben zudem Versäumnisse der Regierung im Verlauf der Corona-Pandemie nicht vergessen, daher konnte Netanyahu auch nicht stärker mit der Impfkampagne punkten. Der Konflikt mit den Palästinensern spielte im Wahlkampf so gut wie keine Rolle.

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