Warum die NATO die Ukraine lobt, aber nicht mehr von "Sieg" spricht

Ukrainische Soldaten an der Front bereiten Granaten zum Abschuss vor
Große Worte sind das eine – Taten das andere: Und so mangelte es beim zweitägigen Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel gestern nicht an inbrünstigen Versprechen, „die Ukraine so lange zu unterstützen, wie es nötig ist“.
„Wir müssen und wir werden es tun“, versicherte der amerikanische Außenminister Antony Blinken und nahm dabei für sich in Anspruch, für alle 31 Mitgliedsstaaten des Militärbündnisses zu sprechen.
Doch abseits der emotionsgeladenen Rhetorik fielen die praktischen Zusagen an die Ukraine dürr aus: Eine Million Artilleriegranaten, die die ukrainische Armee dringend für ihre Verteidigung braucht, hatte die EU versprochen. Geliefert wurden aber bisher erst 300.000 Stück, klagte Ukraines Außenminister Kuleba.
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Und er drängte: Um Russland besiegen zu können, müsse gesichert sein, dass die ukrainischen Streitkräfte die erforderlichen Mittel erhielten.
Keine neuen Zusagen
Neue militärische Lieferzusagen von der NATO aber gab es nicht. Auch keine Versprechen, die Ukraine in die NATO zu holen. Und auch die von den USA geplanten 61 Milliarden Dollar (55,6 Mrd. Euro) für die Ukraine hängen in der Luft.
Das republikanisch dominierte Repräsentantenhaus verweigerte bisher seine Zustimmung.
Dass US-Präsident Joe Biden die Summe loseisen kann, gilt als immer unwahrscheinlicher – zumal sich auch in den USA die Stimmen mehren, die fordern:
Die USA müssten ihre Strategie der bedingungslosen Unterstützung für die Ukraine überdenken. „Wir brauchen Exit-Kriterien“, heißt es immer öfter in Leitartikeln seriöser US-Medien – und: „Wir müssen formulieren, was eigentlich unser Ziel in der Ukraine ist.“
Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 haben die USA umgerechnet knapp 70 Milliarden Euro an die Ukraine überwiesen – der Großteil davon waren Waffen und militärische Mittel.
Alle weiteren Hilfen an die Ukraine, so die Sicht der Republikaner, wären im Grunde für die USA sinnlos verlorene Milliarden.
Von einem Sieg der Ukraine über Russland sprach beim NATO-Treffen nun niemand mehr. Die Lage ist düster: Die mit großen Erwartungen gestartete ukrainische Gegenoffensive brachte heuer nicht den erhofften Erfolg.
Abnützungskrieg
Die Ukraine und Russland befänden sich nun in einem Abnutzungskrieg, und daran werde sich auch so schnell nichts ändern, hatte der ukrainische Oberbefehlshaber, General Saluschnyi, in einem Interview mit dem economist bittere Bilanz gezogen. Doch je ernüchternder die militärische Gemengelage, umso überschwänglichere Lobeshymnen wurden beim NATO-Treffen plötzlich auf die „heldenhaften“ und „tapferen“ Ukrainer angestimmt.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
Immerhin habe die Ukraine in den vergangenen 21 Monaten wichtige Schlachten gewonnen, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Vor allem aber habe die Ukraine als „souveränes, unabhängiges Land überlebt. Das ist eine wichtige Errungenschaft – ein großer Gewinn.“ Und auch das Halten der Front – das allein sei schon ein Erfolg.
Militärisch habe Russland einen erheblichen Teil seiner konventionellen Streitkräfte verloren, fügte Stoltenberg hinzu. „Dazu gehören Hunderte Flugzeuge und Tausende Panzer.“ Die Zahl der in der Ukraine verletzten oder getöteten russischen Soldaten schätzt die NATO auf rund 300.000 Mann.
Zu den ukrainischen Verlusten gibt es keine Zahl.
Und so zählten die Zusagen der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock noch zum Konkretesten, was das NATO-Treffen dieses Mal zu bieten hatte:
"Winterschutzschirm"
Deutschland stelle der Ukraine Patriot-Flugabwehrsysteme und Generatoren zur Verfügung. Ein gemeinsamer „Winterschutzschirm“ müsse für die Ukraine gespannt werden, forderte sie. Russland greife wieder gezielt die ukrainische Infrastruktur an, um die Menschen von Strom und warmem Wasser abzuschneiden.
Zum zweiten Mal geht es für die Ukraine zunächst einmal darum, den Winter zu überleben.
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