Nach Demos: Türkei will umstrittenes Sexualstraftäter-Gesetz überarbeiten

Kritik und Empfehlungen müssten berücksichtigt werden, sagt der türkische Präsident. Mit einem neuen Notstandsdekret wurden indes wieder tausende Staatsbedienstete entlassen.

Nach heftiger öffentlicher Kritik hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Überprüfung eines umstrittenen Gesetzentwurfs zum Sexualstrafrecht angekündigt. Der Entwurf sah bisher vor, dass der Täter bei sexueller Gewalt gegen Minderjährige unter Umständen ohne Strafe davonkommt, wenn er das Opfer später heiratet.

Dieser Vorschlag habe "zahlreiche Reaktionen, kritische Stellungnahmen und Empfehlungen hervorgerufen", sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montagabend laut Nachrichtenagentur Anadolu. Erdogan rief die Regierung auf, "diese Probleme in einem Geist des breiten Konsens zu lösen und dabei die Kritik und die Empfehlungen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft zu berücksichtigen". Es war das erste Mal, dass sich Erdogan öffentlich zu dem umstrittenen Entwurf äußerte. Laut Ministerpräsident und AKP-Chef Binali Yildirim werde der Entwurf nun zurück in die zuständige Kommission überwiesen. Zusammen mit der Opposition im Parlament und mit anderen gesellschaftlichen Gruppen solle der Entwurf weiterentwickelt werden.

Ohne "Gewalt, Drohung oder jegliche andere Form von Zwang"

Das Parlament hatte den Entwurf vergangene Woche bereits in erster Lesung gebilligt. Die Bedingung für die Straffreiheit lautet, dass die Tat ohne "Gewalt, Drohung oder jegliche andere Form von Zwang" erfolgt sein muss. Die Abstimmung in Parlament nach zweiter Lesung war für Dienstag geplant.

Die Regierung will mit dem Gesetz nach eigenen Angaben Kinder schützen, die in Ehen mit Minderjährigen geboren wurden. Die Opposition und Menschenrechtsorganisation kritisierten das geplante Gesetz dagegen scharf. Unter anderem erklärte das UN-Kinderhilfswerks UNICEF, der Gesetzentwurf bedeute "eine Art Amnestie" für jene, die sich des Missbrauchs von Kindern schuldig gemacht hätten.

Weitere Massenentlassungen

Indes setzte Erdogan seine umstrittene Entlassungspolitik nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli fort. Mit einem neuen Notstandsdekret hat der türkische Staatspräsident fast 10.000 weitere Angehörige der Sicherheitskräfte aus dem Dienst entlassen. Erneut sollen außerdem zahlreiche Organisationen geschlossen werden, darunter 375 Vereine, 18 Stiftungen und ein Gesundheitszentrum. Die Gründe sind stets angebliche Verbindungen zu Terrororganisationen.

In den Ministerien kam es ebenfalls zu weiteren Massenentlassungen. Auch gegen Medien geht die Regierung mit dem Dekret weiter vor: Sieben Regionalzeitungen und ein lokaler Radiosender müssen den Betrieb einstellen. Die entlassenen Staatsbediensteten werden in Anhängen zu dem neuen Dekret erneut namentlich benannt. Diese Praxis ist hoch umstritten, da die Betroffenen damit öffentlich an den Pranger gestellt werden, ohne jemals von einem Gericht verurteilt worden zu sein.

Nach Demos: Türkei will umstrittenes Sexualstraftäter-Gesetz überarbeiten
Turkish President Tayyip Erdogan speaks during a news conference in Ankara, Turkey, November 16, 2016. Kayhan Ozer/Presidential Palace/Handout via REUTERS ATTENTION EDITORS - THIS PICTURE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY. FOR EDITORIAL USE ONLY. NO RESALES. NO ARCHIVE.

Aufregung in Israel

Auch außenpolitisch sorgt Erdogan wieder einmal für Aufregung. In einem Interview mit dem israelischen Fernsehen vermied er eine Festlegung in der Frage, ob er die Taten Adolf Hitlers oder Israels barbarischer finde. "Ich billige nicht, was Hitler getan hat, und ich billige nicht, was Israel tat", sagte Erdogan in dem am Montag ausgestrahlten Interview.

"Wenn es um den Tod so vieler Menschen geht, ist es nicht angebracht zu fragen, wer nun barbarischer war." Erdogan beteuerte in dem Interview, er sei sich "sehr bewusst", wie heikel der Umgang mit dem Thema Hitler in Israel sei. Für ihn sei es aber "unmöglich, die hunderte, tausende Menschen zu vergessen, die starben, als Israel Gaza angegriffen hat".

Vor zwei Jahren hatte Erdogan mit einer Hitler-Äußerung in Israel für Entrüstung gesorgt. Er hatte damals gesagt, Israels militärisches Vorgehen gegen die Palästinenser im Gazastreifen übertreffe selbst Hitlers Barbarei.

Nach jahrelanger Eiszeit in den Beziehungen hatte die Türkei erst vor wenigen Tagen nach langer Unterbrechung wieder einen Botschafter für Israel ernannt. Trotz erheblicher politischer Differenzen planen beide Länder derzeit ein großes gemeinsames Pipelineprojekt.

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