Moskaus Interesse am Nemzow-Tod

Trauer um Nemzow – er hatte Kontakt zu Soldaten.
Getöteter Oppositionelle wollte russische Beteiligung im Ukraine-Krieg beweisen. Verdächtige in Haft.

Eine Woche nach der Ermordung des Kremlkritikers Boris Nemzow hat die russische Polizei drei Verdächtige festgenommen. Die Information des Chefs des Inlandsgeheimdienstes FSB im Staatsfernsehen fiel denkbar knapp aus: Zwei der Verdächtigen seien Brüder aus dem Kaukasus - Ansor und Schagid G. hätten länger in Moskau gelebt; der dritte Verdächtige, Saur D., sei einige Zeit in Tschetschenien gewesen. Präsident Wladimir Putin sei informiert, es werde weiter ermittelt. Mehr sagte der FSB-Chef nicht.

Die Agentur Interfax berichtete unter Verweis auf Ermittlerkreise von „guten Hinweisen“, dass die Männer direkt in die Tat verwickelt gewesen seien. Das mutmaßliche Fluchtauto sei relativ schnell gefunden worden – und damit auch die Verdächtigen. Zudem hätten Überwachungskameras in der Nähe des Tatorts scharfe Fotos geliefert. Dennoch sei es zu früh, von einem Durchbruch in dem Mordfall zu sprechen, hieß es.

Eine kaukasische Spur?

Russland-Beobachter erinnert das an vergangene dubiose Gewalttaten, die vom Kreml Kaukasiern in die Schuhe geschoben worden waren.
Skepsis bei Nemzow-VertrautemWegbegleiter Nemzows reagierten daher zurückhaltend. „Wir hoffen, dass Menschen festgenommen wurden, die tatsächlich etwas mit dem Mord zu tun haben, dass dies kein Fehler ist, sondern das Ergebnis einer guten und qualitativen Arbeit der Sicherheitsorgane“, sagte Oppositionspolitiker Ilja Jashin. Sollte der Schütze unter den Verdächtigen sein, müssten aber auch die Hintermänner gefunden werden, forderte Jashin.

Nemzow ist nach Sergej Juschenkow 2003 der zweite Politiker von Rang, der in Putins Amtszeit getötet wurde. Es gibt eine Zeugin für die Tat, es gibt ein Video und es gibt Theorien über Theorien, wer hinter der Tat stecken könnte. Von Nationalisten war von staatlicher Seite die Rede, die Nemzows Haltung im Krieg in der Ukraine missbilligten, von einem islamistischen Hintergrund. Und im TV wurde die wildesten Theorien georgelt, von persönlichen Motiven basierend auf Affären bis hin zu einer Verschwörung: NATO oder „ukrainische Nationalisten“ hätten den liberalen Oppositionellen hinrichten lassen, um Präsident Putin zu schwächen.

Keine Rede war von russischer Seite davon, dass auch offizielle russische Stellen ein Interesse an Nemzows Ableben gehabt haben könnten – wie auch schon bei Juschenkow. Der hatte zu den Anschlägen von Moskau 1999 recherchiert, durch die letztlich Putin an die Macht gekommen war – und um die sich hartnäckig Gerüchte halten, der russische Geheimdienst FSB habe sie orchestriert.

Auch Nemzow war ein scharfer Kritiker Putins, vor allem von dessen Vorgehen im Krieg in der Ukraine. Und, wie sich in den Tagen nach seinem Tod immer mehr herauskristallisiert: Er scheint an einem Report gearbeitet zu haben. Titel: „Putin und der Krieg.“ Das sagte Ilja Jashin der Agentur Reuters. Und das bestätigte auch Olga Shorina, die mit Nemzow zusammengearbeitet hatte. Schon in „naher Zukunft“ hätte der Report über Russlands Beteiligung am Krieg in der Ukraine veröffentlicht werden sollen.

Fallschirmjäger als wichtige Zeugen

Am Tag vor seinem Tod soll sich Nemzow mit Shorina getroffen haben, um ihr schweigend auf einen Zettel zu schreiben: „Einige Fallschirmjäger aus Iwanowo haben sich mit mir in Verbindung gesetzt. 17 wurden getötet, sie haben ihnen nicht ihr Geld gegeben. Aber bisher haben sie Angst, zu reden.“ Er hatte Angst, abgehört zu werden, so Shorina.

In Iwanowo ist die 98. Fallschirmjäger-Division stationiert. Laut Jashin hat Nemozow die Soldaten, die ihn kontaktiert hatten, sowie die Familien Getöteter überreden wollen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Wäre ihm das gelungen, hätte er einen für den Krieg in der Ostukraine extrem wichtigen Beweis erbracht: Den, dass russische Armee-Einheiten an den Kampfhandlungen beteiligt sind. Moskau spricht in diesem Zusammenhang bisher bestenfalls von „Freiwilligen“ oder „Soldaten auf Urlaub“, die man nicht abhalten könne, in die Ukraine zu gehen. Der internationale Schaden für Putin bei einer solchen Gegendarstellung wäre enorm gewesen. Hinzu kommt, dass Nemzow bereits in der Vergangenheit dem Kreml mit bisher acht Recherche-Projekten auf die Zehen getreten war: Dabei ging es vor allem um Korruption und die Beteiligung Putin-naher Personenkreise daran.

Der Vize-Generalsekretär der NATO, Alexander Vershbow, ist überzeugt, dass der Tod Nemzows in der einen oder anderen Weise mit dem Ukraine-Krieg zusammenhängt.

Jene junge Frau, die Nemzow in der Mordnacht begleitet hatte, ist nicht mehr in Russland. Das 23-jährige ukrainische Model Anna Durizka, Nemzows Freundin, ist zurück bei ihren Eltern, nahe Kiew. Dort steht sie nach Morddrohungen unter Bewachung.

Mehr über den Kreml-Kritiker Boris Nemzow gibt es hier.

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