Mord, Moneten, Müllentsorgung
Knapp 130 Milliarden Euro. Dieser Betrag wird nach jüngsten Schätzungen der Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft von 'Ndrangheta, Camorra, Cosa Nostra und Sacra Corona Unita jedes Jahr erwirtschaftet. Dies entspricht zwischen sieben bis acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts Italiens.
Die Mafia ist damit die größte Wirtschaftsmacht Italiens. Die italienische Wirtschaft könnte ohne sie nicht mehr existieren. Doch wie konnte es so weit kommen?
Der erste Mann im Staat
Wenn man über Andere schlecht denkt, begeht man eine Sünde, aber man trifft üblicherweise gut.
Dieser Satz stammt von Giulio Andreotti, seines Zeichens langjähriger Minister, Ministerpräsident und Staatspräsident Italiens. Am 17. November 2002 war er rechtskräftig zu 24 Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte, gemeinsam mit dem Mafiaboss Gaetano Badalamenti, einen Mord in Auftrag gegeben.
Zuvor hatte sich der Politiker ganze 28. Mal gegen die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität gewehrt - eine Erfolgsquote die selbst Italiens aktuellem Staatschef Silvio Berlusconi Bewunderung abringen dürfte.
Noch erfolgreicher verlief für Andreotti letztlich das "Ende" des Mordprozesses. Ein knappes Jahr nach seiner Verurteilung wurde in der (fast schon skurrilen) Berufungsverhandlung Mangels an Beweisen freigesprochen.
Nur wenige Monate später war dann auch der Vorwurf der "Verbindung zur Mafia" verjährt. Die Behauptungen Andreotti habe sich mit führenden Mafiamitgliedern, unter anderem dem berüchtigten Boss der sizilianischen Cosa Nostra, Salvatore "Totò" Riina, getroffen und auch zusammengearbeitet, verliefen sich "im Nirgendwo". Giulio Andreotti ist mittlerweile 93 Jahre alt.
Kreislauf des Geldes
Mit derart mächtigen "Verbündeten" ausgestattet, hat die Mafia ihre Arme heute bis in alle Bereiche des öffentlichen Lebens ausgestreckt und ihre Mitglieder, Günstlinge und Unterstützter in wichtigen Positionen platziert. Einem Großteil der illegalen Aktivitäten wurde damit Tür und Tor geöffnet.
In den letzten beiden Jahrzehnten unterlag die "Ausrichtung" der vier großen Mafia-Organisationen jedoch einem steten Wandel. Zwar spielt Drogenhandel immer noch eine, wenn nicht die, tragende Rolle und auch das "pizzo", das Schutzgeld, wird weiter fleißig eingetrieben, doch "saubere Geschäftsbereiche" übernehmen zusehends die Oberhand.
So werden legaler Geschäftsfelder wie Bauwirtschaft, Gastronomie, Bank- und Finanzwirtschaft unterwandert, sowie Subventionsbetrug unterstützt - so lässt sich auch das "schmutzige" Drogengeld besser waschen, die Börse in Mailand erfreut sich hierfür ebenfalls wachsender Beliebtheit.
Cosa Nostra, Camorra und Co. haben so ein fast autark funktionierendes System geschaffen, in welchem sie nicht nur die internen Geldflüsse kontrollieren können, sondern auch meist über etwaige Finanzströme von außen (nationale und internationale Förderungen) weitgehend eigenständig verfügen können.
Durch Engagement in sozialen Projekten wird gleichzeitig versucht die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu erkaufen, wenn man nicht bereits ohnehin einzig möglicher, lukrativer Arbeitgeber in der Region (wie in weiten Teilen des Mezzogiorno, also Italien südlich von Rom, der Fall) ist.
Wie das System funktioniert
Jüngstes Beispiel für das "System Mafia" war die abermalige Müllkrise in Kalabriens Hauptstadt Neapel. Während sich der Müll auf den Straßen türmte, verdiente die Mafia. Wurden von Regierungsseite bereits in Folge der vorletzten "Müllkrise" rasche Lösungen versprochen, konnte aus Rom keine Lösung präsentiert werden.
Eine Situation wie geschafften für die Mafia. So funktionierte der Deal: Die lokale Müllabfuhr ließ die Müllcontainer der Stadt unentleert. Teils weil die städtischen Deponien bereits aus allen Nähten platzen und die Verbrennungsanlagen keine Kapazitäten mehr hatten, teils wohl auch weil die Mafia - in diesem Fall die Camorra - eine "Nichtabfuhr" unterstützte.
So türmte sich rasch Unmengen an Müll in den Straßen Neapels. Die Stadt-Bevölkerung war aufgebracht, während gleichzeitig im Umland Stimmung gegen neue Deponien und Verbrennungsanlagen gemacht wurde. Eine Patt-Situation. Zwar versuchte die später entsandte Nationalgarde den Müll notdürftig zu entsorgen, doch alleine konnte dies nicht bewerkstelligt werden. Jetzt trat die Camorra auf den Plan. Mit Hilfe von privaten Strohunternehmen wurden die billigsten Angebote zur Entsorgung gelegt, die Stadt musste annehmen und die Mafia-Laster brachten den Müll auf nicht gekennzeichnete Deponien, vergruben ihn unter Feldern oder verbrannten ihn "im Nirgendwo". Allen Parteien waren so mehr oder minder ihre "Anliegen" erfüllt worden, doch nur einer hatte gewonnen - die Mafia.
Giovanni Falcone war für die Cosa Nostra eine derart große Gefahr, dass man "auf Nummer sicher" gehen wollte. Falcone hatte seit Beginn der 1980er im sizilianischen Palermo eine Sonderkommission zur Mafia-Bekämpfung organisiert. Ab 1986 waren unter seiner Regie mehr als 400 Mafiosi angeklagt und viele in einem Mammutprozess verurteilt worden. Hierfür war sogar eigens ein Raketen- und Bombensicherer Gerichtssaal erbaut worden. Knappe sechs Jahre später setzten mehr als 500 Kilogramm Sprengstoff Giovanni Falcones Bemühungen Italien vom "Geschwür" der Mafia zu befreien ein abruptes Ende.
Falcone war mit seiner Frau Francesca Morvillo, einer Richterin am Jugendgerichtshof, und drei Leibwächtern am Weg vom Flughafen Palermo in sein Wochenendhaus, als nahe dem Ort Capaci ein Stück der Autobahn A29 mitsamt den fünf Personen herausgesprengt wurde. Der Sprengstoff war in einem Drainagerohr platziert worden.
Italien war in Folge des Attentats geschockt, zumal Falcones Ankunft am Flughafen in Palermo eigentlich "Top Secret" war und somit jemand aus "höchsten Kreisen" der Mafia Informationen zugespielt haben musste. Erst 1996 wurde Mafioso Giovanni Brusca als vermeintlicher Drahtzieher zu lebenslanger Haft verurteilt - vermutlicher Auftraggeber war aber wohl, der zur Tatzeit untergetauchte "Boss der Bosse", Totò Riina.
Keine halben Sachen
Als wäre das Massaker von Capaci (siehe Hintergrund) nicht Drohung genug gewesen, demonstrierte die "Cosa Nostra" nur 57 Tage später erneut ihre Macht. Paolo Borsellino, engster Vertrauter und Mitstreiter Giovanni Falcones, wurde ebenfalls von einer Bombe getötet.
Nach dem Mittagessen hatte sich Borsellino auf den Weg in die Via Mariano D'Amelio - dort lebte seine Mutter - gemacht. Sekunden nach seiner Ankunft explodierte ein parkender Fiat 127 und riss Borsellino und weitere sechs Menschen in den Tod.
Vermächtnis
Mit den Morden an Falcone und Borsellino gingen Unmengen an Informationen im Kampf gegen die Mafia verloren. Beim Attentat an Borsellino ging unter anderem dessen "rote Agenda" - sie soll all seine Termine und die persönlichsten Notizen enthalten haben - verloren.
Rita Borsellino, Borsellinos Schwester, führt das Erbe ihres Bruders fort und ist heute eine führende Aktivistin im Kampf gegen die Mafia. Nach dem Tod der beiden Mafia-Jäger wurde der Flughafen von Palermo in Aeroporto Falcone Borsellino umbenannt.
MAFIA steht für einen streng hierarchischen Geheimbund, der seine Macht durch Erpressung, Gewalt und politische Einflussnahme zu festigen und auszubauen versucht und seine Wurzeln im Sizilien des 19. Jahrhunderts hat. Eigentlich kann nur die Mafia sizilianischer Herkunft, die auch Cosa Nostra genannt wird, diese Bezeichnung für sich beanspruchen. Mafia ist jedoch in der Umgangssprache zu einem allgemeinem Begriff für kriminelle Organisationen geworden.
In Süditalien stecken heute hinter dem Schlagwort Mafia eine Vielzahl krimineller Organisationen. Cosa Nostra, `Ndrangheta, Camorra und Sacra Corona Unita haben gemeinsam, dass sie mit Gewalt und in der Illegalität ihren Geschäften ausbauen. Ihre Strukturen und Traditionen sind aber sehr unterschiedlich. Die Sacra Corona Unita ist vor allem in der süditalienischen Region Apulien verankert, in der sich die Stadt Brindisi befindet. Hier kamen bei einem Anschlag am Samstag zwei Schülerinnen ums Leben, mindestens weitere zehn Personen wurden verletzt.
Die COSA NOSTRA ist historisch die älteste der italienischen Verbrecherorganisationen. Sie entstand auf Sizilien und hat eine weitgehend hierarchische Struktur mit einem sogenannten "militärischen" Flügel und einem wirtschaftlichen. Ihr Zusammenhalt stützt sich wesentlich auf einen internen Kodex mit strengen Verhaltensregeln. Allen "Ehrenmännern" gemeinsam ist die ablehnende Haltung gegenüber dem Staat. Diese Haltung ist in der Cosa Nostra so stark verwurzelt, dass ein "Ehrenmann", falls er selbst Opfer eines Verbrechens wird, niemals Anzeige erstattet. Die Hauptsitze der Cosa Nostra befinden sich auf Sizilien. Die Organisation zählt rund 5.500 Clan-Mitglieder und 180 Cosa-Nostra-Familien. Das Einflussgebiet der Cosa Nostra erstreckt sich in Italien auf Sizilien, Apulien sowie Mittel- und Norditalien.
Die `NDRANGHETA ist im 19. Jahrhundert in der süditalienischen Bergregion Kalabrien aus Briganten und Rebellen entstanden. Das Einkommen bestritt man vornehmlich aus Erpressungen und Entführungen. Die `Ndrangheta zählt aktuell vermutlich etwa 7.000 Mitglieder und umfasst etwa 90 Clans oder Cosche. Im Vergleich zur Cosa Nostra basiert die Mitgliedschaft in der `Ndrangheta weit stärker auf Blutsverwandtschaft. Die `Ndrangheta gilt als die bedeutendste Organisation im europäischen Kokain-Handel. Sie soll sich mittlerweile auch um die Koordination des Drogenhandels in den Produktionsländern in Südamerika kümmern. Weitere wesentliche Ertragsquellen sind Waffenhandel, Geldwäsche und Erpressungen. Das Zentrum der Organisation liegt nach wie vor in Kalabrien in den Provinzen Reggio Calabria und Crotone. Der Einflussbereich der `Ndrangheta erstreckt sich in Italien auf Kalabrien, Nord- und Mittelitalien sowie Apulien.
Bei der neapolitanischen CAMORRA gibt es im Gegensatz zur Cosa Nostra keine Führungspersonen oder Führungsgremien, die für die gesamte Organisation entscheiden. Die Clans operieren aufgrund von Abkommen unabhängig in ihren jeweiligen Bereichen. Laut den italienischen Justizbehörden umfasst die Camorra rund 100 Clans mit rund 6.000 Mitgliedern. Ihr Einflussbereich in Italien erstreckt sich auf die Stadt Neapel und das Umland in der Provinz Kampanien.
Die SACRA CORONA UNITA und andere apulische Verbrecherorganisationen sind der jüngste Spross der italienischen Mafia. Sie gehen auf traditionelle Schmugglerfamilien an der Küste Apuliens und andere kriminelle Gruppierungen zurück. 1983 wurde die Sacra Corona Unita von Häftlingen im Gefängnis von Bari gegründet. 1991 wurde sie erstmals vom Justizministerium offiziell als eigenständige kriminelle Vereinigung nach Art der Mafia erwähnt. Im Laufe der Jahre wurden weitere Gruppierungen gegründet. Die italienischen Strafverfolgungsbehörden gehen von rund 95 Clans mit etwa 1.800 Mitgliedern aus. Ihr Einflussbereich erstreckt sich in erster Linie auf die Region Apulien.
Innerhalb dieser kriminellen Gruppierungen kam es in der Vergangenheit immer wieder zu gewaltsam ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Clans, beispielsweise dem sogenannten "Camorra-Krieg" in Neapel, dem allein im Jahr 2006 mehr als 100 Personen zum Opfer fielen. Auch das Massaker von Duisburg im Jahr 2007, bei dem sechs Mitglieder der `Ndrangheta erschossen wurden, gilt als Folge einer Mafia-Fehde.
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