Es kracht zwischen Berlin und Ankara

Deutsche Kritik an "Autokrat" Erdogan wird lauter – mit Armenien-Resolution droht neues Ungemach.

Leicht wird der kommende Montag für Angela Merkel nicht. Wenn die deutsche Kanzlerin zum UN-Weltgipfel nach Istanbul reist, wird nicht nur über das eigentliche Thema – humanitäre Hilfe – gesprochen; auf der inoffiziellen Agenda stehen auch die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland. Ankara grollt, weil die deutsche Kritik an Erdogans Amtsführung immer lauter wird.

Schuld daran ist nicht nur die Causa Böhmermann. Schon in den Monaten zuvor hatten sich deutsche Diplomaten wegen Äußerungen zu Repressionen gegen Journalisten den Missmut des Präsidenten zugezogen; zuletzt bestellte das türkische Außenministerium sogar den EU-Botschafter in der Türkei ein – Hansjörg Haber, ein gebürtiger Deutscher, soll sich abfällig über die Türkei geäußert haben, heißt es. Dass all diese Vorgänge nun auch Politiker in Berlin zu offener Kritik veranlassen, macht es für Merkel nicht leichter: Bundestagspräsident Norbert Lammert, eigentlich ein Politiker der moderaten Sorte, unterstellte Erdogan in einem Interview mit der Süddeutschen "autokratische Ambitionen"; er sagte, die Türkei entferne sich immer weiter "von den Ansprüchen an eine Demokratie".

Bruchstellen

Dass derart harsche Kritik an Erdogan aus Merkels eigener Fraktion kommen, offenbart die vielen Bruchstellen, die der Flüchtlings-Deal mit Ankara hat. Nicht nur, dass der Plan nach wie vor nicht richtig funktioniert – erst 372 Migranten wurden bisher von Griechenland zurückge-führt –, er provoziert auch immer stärkeren Gegenwind. Die Opposition wirft Merkel ohnehin vor, sie habe sich von Ankara abhängig gemacht.

Aber auch die CSU wehrt sich gegen die geplante Visafreiheit für die Türkei. Die SPD hat sich ebenfalls von Merkel distanziert – und selbst in der CDU ist die Begeisterung enden wollend.

Völkermord-Streit

Dass sich zu diesen kritischen Stimmen eine weitere, lautstarke hinzugesellen wird, wird sich Kanzlerin Merkel am Montag auch anhören müssen. Der Bundestag plant, Anfang Juni eine Resolution zum Genozid an den Armeniern 1915 und 1916 (siehe unten) zu beschließen – für die Türkei ist das eine offene Provokation: Ein Sprecher von Präsident Erdogan empörte sich, dass die Einstufung als Völkermord "ohne historischen und juristischen Beweis nichts anderes als politischer Missbrauch" sei.

Diese Rhetorik ist bekannt – und die Folgen daraus auch. Vor fünf Jahren wurde der türkische Botschafter in Paris abberufen, weil man ein strafrechtliches Verbot der Leugnung des Völkermordes beschlossen hatte; auch in Österreich hat sich vergangenes Jahr Ähnliches zugetragen. Hier reichte bereits eine Erklärung der fünf Klubobleute, die Geschehnisse im Osmanischen Reich als Genozid anzuerkennen, für die Abberufung des Botschafters. Die Beziehungen seien "dauerhaft beschädigt", hieß es damals – fünf Monate dauerte dieser Zustand. In Berlin erwartet man zwar Proteste, mit einer Abberufung des Botschafters rechnet man aber nicht. Dafür seien Deutschland und die Türkei über die NATO zu stark verbunden, heißt es. Um das zu bekräftigen, wird Merkel kommende Woche viel Vorarbeit leisten müssen.

Die türkische Regierung in Ankara verwahrt sich bis heute kategorisch gegen den Vorwurf, es habe im Osmanischen Reich einen Völkermord an den Armeniern gegeben. Stattdessen spricht man von "tragischen Ereignissen oder bürgerkriegsähnlichen Zuständen".

Für den Zeitraum von April 1915 bis Ende 1916 geht man von 1,1 Millionen Todesopfern aus. 1908 ergriffen die Jungtürken, eine Oppositionsbewegung der jungen türkischen Bildungselite, die Macht und setzten eine Verfassung ein. Sie wollten das Osmanische Reich reformieren und den Vielvölkerstaat, in dem die Armenier seit Jahrhunderten gelebt hatten, zu einem Nationalstaat unter türkischer Führung umformen. Für ethnische und religiöse Minderheiten wie die Armenier war kein Platz vorgesehen. Die Spannungen nahmen in den folgenden Jahren stark zu. Forderugen nach Autonomie wurde unter den Armeniern laut.

Im Ersten Weltkrieg kämpfte das Osmanische Reich gegen Russland – die Jungtürken bezichtigten die Armenier kollektiv der Kollaboration mit den Russen. Als die Russen vorrückten, wurde ab April 1915 damit begonnen, die armenische Bevölkerung aus Ostanatolien zu deportieren. Die Zivilbevölkerung wurde auf Todesmärsche Richtung Aleppo in Syrien geschickt. Die Armenier starben zu Tausenden auf den Märschen oder in provisorischen Lagern an Hunger und Seuchen oder wurden von Soldaten und bei Angriffen durch kurdische Kämpfer ermordet.

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