Millionen Ärzte und Patienten ausgespäht

ARCHIV - Ein Arzt untersucht am 18.01.2005 einen Patienten mit einem Stethoskop. Was tun, wenn ein Arzt eine Untersuchung anbietet, die man selbst zahlen muss? Die Krankenkassen versprechen verstärkt Aufklärung - auch zu umstrittenen Angeboten etwa zur Krebserkennung. Foto: Soeren Stache +++(c) dpa - Bildfunk+++
Laute Medienberichten haben Rechenzentren der Apotheken angeblich Patientendaten verkauft.

In Deutschland werden nach Informationen des Magazins Der Spiegel Millionen Ärzte und Patienten ausgespäht. Das süddeutsche Apothekenrechenzentrum VSA in München verkaufe Patientendaten in unzureichend verschlüsselter Form an Marktforschungsunternehmen wie den US-Konzern IMS Health, berichtete das Magazin am Sonntag im Voraus. Laut Spiegel verfolgt das Unternehmen nach eigenen Angaben die Krankheiten von über 300 Millionen Patienten - darunter auch "42 Millionen verschiedene gesetzlich Versicherte" in Deutschland.

"Viele Patientenkarrieren sind zurück bis 1992 verfolgbar", zitierte das Magazin aus einem internen Papier. Dem Spiegel liegt nach eigenen Angaben ein Angebot des in mehr als hundert Ländern aktiven IMS-Konzerns an den französischen Pharmakonzern Sanofi-Aventis vom April 2012 vor. Darin biete IMS die Informationen aus Insulinrezepten für 86.400 Euro an - "patientenindividuell" und mit "zwölf Monats-Updates".

Bei der Lieferung von Rezeptdaten an IMS werde die Identität der Patienten lediglich durch einen 64-stelligen Code verschleiert, berichtete das Magazin. Der Code lasse sich jedoch leicht zurückrechnen auf die tatsächliche Versichertennummer, wie vertrauliche Dokumente belegten. Zusätzlich würden auch Alter und Geschlecht der Patienten an die Marktforscher weitergegeben.

1,5 Cent pro Datensatz

Pro Rezeptdatensatz von deutschen Versicherten zahle der amerikanische IMS-Konzern teils unter 1,5 Cent an Apothekenrechenzentren, heißt es weiter in dem Bericht. Der Handel mit Rezeptinformationen sei "einer der größten Datenskandale der Nachkriegszeit", kritisierte der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein, Thilo Weichert. "Es wäre traurig, wenn die Dienstleister des Vertrauensberufs Apotheker erst durch Gerichtsprozesse zur Vertraulichkeit zu veranlassen wären."

Die deutsche Piratenpartei forderte einen wirksam Schutz der Patienten vor dem Handel mit Gesundheitsdaten. Die Bürger "müssen wissen, welche Daten wo und wie gespeichert und verarbeitet werden und selbst darüber bestimmen können", erklärte der Piraten-Generalsekretär Sven Schomacker in Berlin. Notwendig sei eine generelle Prüfung der Weitergabepraxis von Verschreibungsdaten an Dritte. Ohne belegbaren Nutzen für die Patienten sei eine solche Weitergabe nicht vertretbar.

Datenhandel auch in Österreich

Nicht nur in Deutschland sollen Patientendaten an Marktforschungsunternehmen verkauft worden sein. Eine Sprecherin der österreichischen Niederlassung der US-Firma IMS Health Inc. bestätigte am Montag im Ö1-Mittagsjournal, dass österreichische Ärzte Daten von Medikamentenverschreibungen an das Unternehmen verkaufen. 350 heimische Mediziner sollen demnach mit der Firma kooperieren. Die Ärztekammer kündigt Konsequenzen an.

Eine Sprecherin von IMS Österreich versicherte, dass die Daten durch ein Dritt-Unternehmen verschlüsselt würden und die Verschlüsselung anders als in Deutschland vorgenommen werde. Sie betonte auch, dass Rückschlüsse auf die einzelnen Patienten "absolut nicht" möglich wären. Gleichzeitig gestand sie aber auch zu, dass die Daten differenziert werden nach Altersgruppen und Geschlecht.

Ärztekammer-Vizepräsident Karl Forstner erklärte dazu, wenn die Daten verschlüsselt und nicht gänzlich anonymisiert weitergegeben werden, sei das "nicht rechtskonform". Persönlich hält der Kammer-Präsident die Vorgangsweise dieser Ärzte für "ethisch bedenklich". Für ihn ist diese Form der wirtschaftlichen Beeinflussung von Ärzten auch unzulässig. "Patienten sollen das bekommen, was sie brauchen, und nicht, was die Pharma-Industrie allenfalls sich wünscht." Die Ärztekammer wolle jedenfalls eruieren, welche Daten genau weitergegeben wurden und inwieweit das rechtskonform ist.

Die FPÖ forderte als Konsequenz aus dem Deutschen Vorfall Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) auf, das schon beschlossene und im Aufbau befindliche Projekt der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) sofort zu stoppen.

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