"Jagd auf Migranten": Rechtsextreme Krawalle in Murcia spalten Spaniens Politik

Anti-migrant unrest following an attack on elderly man by unknown assailants, in Torre Pacheco
Im spanischen Murcia kam es an mehreren Tagen in Folge zu Ausschreitungen, nachdem rechtsextreme Gruppen zu Gewalt aufgerufen hatten. Die Politik schiebt sich gegenseitig die Verantwortung zu.

Am Dienstag herrschte in Torre Pacheco, einer 40.000-Einwohner-Stadt in der spanischen Region Murcia, gespenstische Stille. Die Straßen waren wie leer gefegt, Menschen verschanzten sich in ihren Wohnungen, Lokale blieben geschlossen. Für den Abend war eine rechtsextreme Kundgebung angekündigt. Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot an – und konnte die Lage entschärfen. Viele Bewohner atmeten erleichtert auf. „Heute bin ich zum ersten Mal wieder rausgegangen. Ich hatte große Angst“, erzählt eine Frau dem Sender RTVE.

Seit dem vergangenen Freitag ist Torre Pacheco, wo rund 30 Prozent der Bewohner Migrationshintergrund haben, ein Zentrum der Gewalt: Hunderte Vermummte zogen mehrere Nächte in Folge mit Stöcken und Macheten durch die Straßen. Videos zeigen, wie sie Flaschen und Molotowcocktails auf Polizei und Autos niederregnen lassen, Müllcontainer umwerfen – und gewaltsam auf die Anwohner des von Marokkanern geprägten Viertels San Antonio treffen.

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Große Polizeipräsenz nach Ausschreitungen in Torre Pacheco.

„Jagd auf Migranten“

Auslöser der rassistischen Ausschreitungen war ein Foto: Ein Pensionist hatte ein Selfie gepostet, nachdem er vergangenen Mittwoch brutal zusammengeschlagen worden war. Dass der 68-Jährige bei seiner Anzeige angegeben hatte, die Täter könnten Migrationshintergrund haben, nahmen rechtsextreme Gruppen zum Anlass, um auf Plattformen zur „Jagd auf Migranten“ aufzurufen.

Seitdem wurden 14 Personen festgenommen, darunter die drei Verdächtigen der Prügelattacke. Auch der mutmaßliche Anführer der rechtsextremen Plattform „Deport Them Now“ (DTN) wurde inzwischen gefasst. Er soll via Telegram fremdenfeindliche Hassnachrichten verbreitet und zur Gewalt angestachelt haben.

Den Behörden war seine Gruppierung bereits bekannt: Im Frühjahr hatte sie in Barcelona eine von der Rechtsaußen-Partei Vox organisierte Kundgebung „gegen die Islamisierung“ Spaniens unterstützt. Gemeinsam mit Vox-Parteichef Santiago Abascal fordert sie zudem die Schließung eines Erstaufnahmezentrums für Migranten. Im Mai haben einige DTN-Mitglieder dann an einem „Remigrationsgipfel“ in Italien teilgenommen – unter anderem mit dem österreichischen „Identitären“ Martin Sellner.

Massenabschiebungen

Die Forderung nach „Remigration“, also Massenabschiebungen, hat mittlerweile auch Vox offen übernommen. Anfang Juli verlangte die Abgeordnetet Rocío de Meer die Ausweisung von sieben Millionen Migranten und ihrer in Spanien geborenen Kinder.    

Mit ihrer radikalen Rhetorik gewinnt die Partei, die schon jetzt drittstärkste politische Kraft im Land ist,  zunehmend an Boden: Laut jüngsten Umfragen liegt Vox bei 18 Prozent – ein Rekordwert.  Die konservative Volkspartei (PP) hat nach einem Korruptionsskandal im Umfeld von Premier Pedro Sánchez die regierenden Sozialisten (PSOE) hinter sich gelassen.

Nach den Ausschreitungen in Torre Pacheco vermeiden Vox-Politiker eine klare Verurteilung der Gewalt. Stattdessen werfen sie der linken Minderheitsregierung „Untätigkeit“ vor, die die Bürger dazu zwinge, „das Recht selbst in die Hand zu nehmen“.  Die Staatsanwaltschaft in Murcia prüft indes, ob Aussagen des Regionalchefs José Ángel Antelo strafrechtlich relevant sind – er hatte öffentlich Migration mit Gewalt gleichgesetzt. 

Anti-migrant unrest following an attack on elderly man by unknown assailants, in Torre Pacheco

Kriminalität

Die linke Regierung hält dagegen. „Es gibt keine Daten, die den Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kriminalität belegen“, sagt PSOE-Sprecherin Pilar Alegría. Stattdessen unterstreicht man in Madrid die wirtschaftliche Bedeutung von Migration für das Land – besonders in Murcia, wo Erntehelfer aus Nordafrika inzwischen unerlässlich sind.

„Viele dieser Menschen leben seit über 20 Jahren hier, ihre Kinder sind hier geboren“, sagt auch Bürgermeister Pedro Angel Roca. Für seine PP ist die Situation in Torre Pacheco ein Drahtseilakt: Einerseits verurteilt man die Gewalt, andererseits sucht man die Nähe zu den Rechtspopulisten, auf deren Rückhalt man auf kommunaler Ebene – und im Falle von Neuwahlen – angewiesen ist. Am Mittwoch forderte Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo schließlich die „sofortige“ Abschiebung aller illegalen Einwanderer, die Straftaten begehen.

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