Warum Spanien jedes Jahr Hunderttausende Migranten legalisieren will

Dozens of migrants rescued near El Hierro
Die linke Minderheitsregierung will einer halben Mio. illegaler Migranten eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Selbst die konservative Opposition könnte das Vorhaben unterstützen.

Als Ana ihre Heimat Venezuela in Richtung Spanien verließ, hallten die Warnungen ihrer Landsleute noch in ihren Ohren nach. In der neuen Heimat werde sie so schnell nicht arbeiten dürfen, die Mühlen der spanischen Bürokratie würden langsam mahlen, mahnten sie. Also musste Ana, die eigentlich anders heißt, kreativ werden. Kaum in der spanischen Hauptstadt Madrid angekommen, kontaktierte sie Frauen auf Facebook – um ihnen die Nägel zu machen. Bis sie eine Arbeitserlaubnis erhielt.

Anas Geschichte ist beispielhaft für die Tausenden Migranten, die jedes Jahr illegal in Spanien landen. Die meisten von ihnen kommen aus Lateinamerika oder Nordafrika – ohne Arbeitsvisum oder der Absicht, wieder heimzukehren. Was Spanien vom Rest Europas unterscheidet: Das sollen sie auch nicht.

Wirtschaftsboom

Denn das Land profitiert enorm von Zuwanderern. Neben dem florierenden Tourismus und der billigen grünen Energie ist Migration der kräftigste Treiber des spanischen Wirtschaftsbooms. Im Vorjahr wuchs die Wirtschaft um satte 3,2 Prozent und damit fast viermal so stark wie der Durchschnitt der Eurozone. Heuer werden 2,5 Prozent Wachstum erwartet. Das Wirtschaftsblatt Economist adelte Spanien als „beste Wirtschaftsnation der Welt“. 

Das Problem: Hinter den beeindruckenden Wirtschaftsdaten verbirgt sich oft eine prekäre Realität. Neuankömmlinge arbeiten häufig jahrelang ohne gültige Papiere: als Haushaltshilfen, in der Gastronomie oder auf dem Bau. Oder – wie viele über den gefährlichen Seeweg geflüchtete Afrikaner – im Süden in der Landwirtschaft: ohne Arbeitnehmerrechte, Sozialversicherung oder Anspruch auf Mindestlohn. 

Es gab zwei Möglichkeiten, mit der Herausforderung umzugehen: Spanien bleibt ein geschlossenes, armes Land oder ein offenes, wohlhabendes.

von Elma Saiz

Spanische Integrationsinisterin

Einwanderungsreform in Kraft getreten

Spaniens linke Minderheitsregierung will ihre Situation nun verbessern – und in den nächsten drei Jahren knapp einer Million Menschen, die sich derzeit irregulär im Land aufhalten, eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erteilen. Eine diese Woche in Kraft getretene Einwanderungsreform lockert unter anderem die Visavergabe, verkürzt Fristen und erleichtert den Familiennachzug.

Man habe die Wahl gehabt: „Spanien kann ein verschlossenes, armes Land bleiben oder ein offenes, wohlhabendes“, sagt Migrationsministerin Elma Saiz. Wohl nicht unwesentlich: Der Staat soll dadurch Millionen Euro an Steuergeld aus der Schattenwirtschaft holen. Und mehr Arbeitnehmer, die ins Sozialversicherungs- und Pensionssystem einzahlen. 

Paradoxerweise führt die Reform jedoch für mehrere Hunderttausend Menschen zu einer deutlichen Verschlechterung. Nämlich für Asylwerber, die bereits legal in Spanien arbeiten. Laut dem neuen Regelwerk verlieren sie im  Falle eines negativen Asylbescheids die bisherige Arbeitserlaubnis und können erst nach einer längeren Frist eine neue beantragen. Sie rutschen damit für Jahre zurück in die Illegalität.

Press conference after Spanish Cabinet meeting in Madrid

Integrationsministerin Elma Saiz

"Außerordentliches Regulierungsverfahren"

NGOs und Rechtsexperten laufen dagegen Sturm. Aber auch Unternehmer, die fürchten, um die so dringend benötigten Arbeitskräfte zu kommen. Die Regierung wagt die Flucht nach vorne: Im Zuge eines „außerordentlichen Regulierungsverfahrens“ sollen zusätzlich fast 500.000 Menschen auf einen Schlag gültige Papiere erhalten, kündigt Premier Pedro Sánchez an. 

Konkret sollen (fast) alle Migranten, die vor dem 31. Dezember 2024 nach Spanien eingereist sind, bis zum Jahresende eine befristete Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis bekommen.

Mit Unterstützung der kleinen Linksparteien wollen die Sozialisten den Gesetzesentwurf im Eiltempo durch das Parlament bringen. Auch von rechts könnte ungewohnte Rückendeckung kommen: Die konservative Volkspartei (PP) könnte unter dem Druck von Kirche und Unternehmerverbänden ebenfalls zustimmen – oder sich zumindest der Stimme enthalten, um das Gesetz zu verabschieden. 

Mehr Zuzug erwartet

Spanien hat derzeit massiv mit  irregulärer Migration über das Mittelmeer und die Atlantikroute zu kämpfen. Mit Donald Trump im Weißen Haus werden künftig zudem noch Einwanderer aus Lateinamerika erwartet. 

Ana teilte für sie ihre Geschichte auf Social Media. Nägel muss sie heute keine mehr lackieren. Nach einem abgelehnten Asylantrag wurde ihr vor einem Jahr humanitäres Bleiberecht zuerkannt. Heute arbeitet sie als Verkäuferin in Madrid. Zu Hause in Venezuela betrieb sie ihren eigenen Laden. Vielleicht geht das auch in Spanien mal für sie in Erfüllung.      

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