Einzigartiges Ausländerrecht
Juristisch möglich macht den Wandel vom irregulären Migranten zum Arbeitnehmer der sogenannte „arraigo“, die „Verwurzelung“. Die juristische Figur ist Kernbestandteil des spanischen Ausländerrechts und europaweit einzigartig:
Wer irregulär in Spanien lebt, sich strafrechtlich nichts zuschulden kommen lässt, familiäre und soziale Verbindungen oder einen Arbeitsvertrag nachweisen kann, erhält nach Ablauf einer bestimmten Frist alle notwendigen Papiere.
Diese Regelung will die spanische Linkskoalition nun ausweiten. Dazu hat sie Durchführungsbestimmungen des Gesetzes geändert. Statt wie bisher drei Jahre Wartezeit sind demnach nur noch zwei notwendig. Als Beschäftigungsnachweis gilt künftig auch eine selbstständige Tätigkeit.
In den nächsten drei Jahren werde so der Arbeitsmarkt für 900.000 Migrantinnen und Migranten geöffnet. „In einem Europa, das sich zunehmend abschottet, setzen wir weiter auf Inklusion und Integration – über einen vereinfachten Zugang zum Arbeitsmarkt“, sagt Pilar Cancela, Staatssekretärin für Migration.
Dabei geht es auch um wirtschaftliche Überlegungen. Ob der Kellner aus Venezuela oder die Pflegerin aus Bolivien: Arbeitskräfte aus dem Ausland werden in vielen Branchen dringend gebraucht. Laut einer Studie der spanischen Bank wird der Bedarf in Zukunft steigen – trotz der vergleichsweise hohen Arbeitslosenquote von elf Prozent: Um das spanische Sozialsystem nicht zu gefährden, brauche das Land bis 2053 zehn Millionen Zuwanderer mehr.
Die Wirtschaftsdaten sprechen dafür. Denn Spanien, das in den letzten zwei Jahren eine Million Menschen aufgenommen hat, boomt. Um 3,4 Prozent ist die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorjahrsquartal gestiegen, mehr als in irgendeinem anderen europäischen Land. Neben der billigen Energie – Strom kostet im Vergleich zum restlichen Europa im Schnitt zwanzig Prozent weniger – und dem anhaltenden Tourismus-Boom sehen Experten einen Grund dafür in der Einwanderung.
Vom Transitland zur Zieldestination
Die Migration sei für die Hälfte des Wachstums verantwortlich, sagt Raymond Torres vom Thinktank Funcas: „Sie kurbeln als Verbraucher den Konsum an und sind gleichzeitig wichtige Produktivkräfte.“ Die guten ökonomischen Aussichten wiederum lockten weitere Menschen an. „Spanien hat sich in den letzten Jahren von einem reinen Transitland zu einer Zieldestination entwickelt“, so Staatssekretärin Cancela.
Dass es ohne Zuwanderung nicht geht, ist sogar der rechtsextremen Vox-Partei klar. Sie polemisiert gegen minderjährige Migranten aus Afrika, nimmt aber irreguläre Migranten aus Venezuela, Kolumbien, Bolivien von der Kritik meist aus: Mit diesen Ländern teile Spanien schließlich Sprache, Kultur und gemeinsame Geschichte.
Platz zum Leben
Also alles gut unter der spanischen Sonne? Raymond Torres bremst den Optimismus. Um das Wirtschaftswachstum langfristig zu sichern und für Arbeitskräfte attraktiv zu bleiben, müsse Spanien seine Wohnraumsituation in den Griff bekommen. „Wenn wir Arbeitskräfte anlocken wollen, müssen wir ihnen auch einen Platz zum Leben bieten – und in den öffentlichen Wohnungsbau investieren“, so der Wirtschaftswissenschaftler. Davon profitiere die ganze Gesellschaft, die Spanierinnen und Spanier ebenso wie die der Zuwanderer.
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