MI5-Chef bricht sein Schweigen

Andrew Parker nennt islamistischen Terror und Russland als größte Bedrohungen derzeit.

Das hat Großbritannien noch nicht erlebt: Bis 1993 war selbst der Name des Mannes an der Spitze des britischen Geheimdienstes MI5 ein Geheimnis; nun gab der MI5-Chef, Andrew Parker, das erste Interview in der 107-jährigen Geschichte des britischen Geheimdienstes.

Zwölf Anschläge vereitelt

Diese Ehre wurde dem renommierten Guardian zuteil, obwohl er Edward Snowden die Bühne zur Aufdeckung westlicher Geheimdienstpraktiken geboten hat. Darüber ärgert sich zwar Andrew Parker noch immer, aber mithilfe des Guardian will er nun Bewusstsein für die Bedrohungsszenarien und für die Arbeit seines Agentennetzes schaffen. Denn nur Geheimdiensten wie dem MI5, betont der 54-jährige Parker, hätten es die Briten zu verdanken, dass sie nicht mehr Terrorangriffe erlebt haben. Konkret seien bereits zwölf dschihadistische Angriffe vereitelt worden. Aufatmen könne man aber nicht: "Es wird in diesem Land Terroranschläge geben. Der Grad der Bedrohung ist hoch und ernst zu nehmen."

Ein Ende der Gefahr durch den sich ausbreitenden internationalen islamistischen Terror ist laut Parker nicht in Sicht. Auch in Großbritannien selbst lebten etwa 3000 gewaltbereite islamistische Extremisten, die meisten davon seien Briten.

Moskaus Cyberkrieg

Als wachsende Bedrohung – man denke an die Krim, Syrien und Hackerangriffe – nennt Parker Russland. Russland nutze "die gesamte Bandbreite seiner staatlichen Organe, um seine Außenpolitik in zunehmend aggressiver Weise voranzutreiben". Diese Strategie beinhalte "Propaganda, Spionage, Umstürze sowie Cyberangriffe". Russland sei dabei überall in Europa und speziell auch in Großbritannien aktiv, und der MI5 wolle sich dem in den Weg stellen. Unzählige russische Agenten befinden sich laut dem MI5-Chef auf britischem Boden – nicht anders als zu Zeiten des Kalten Krieges. Doch im Unterschied zu damals gebe es heute das "Cyberkriegswesen". Ziele der Russen seien neben militärischen Geheimnissen alle Informationen rund um die Regierung, Außenpolitik, die Wirtschaft und Industrie.

Das Timing des Finanzministeriums in London war perfekt: Unmittelbar nach Erscheinen des Interviews am Dienstag kündigte es an, die Ausgaben zum Schutz vor Cyber-Attacken zu verdoppeln. In den kommenden fünf Jahren steigen Londons Investitionen zur Abwehr von Hacker-Angriffen auf umgerechnet 2,11 Milliarden Euro. Um britische Firmen und Bürger besser zu schützen, sollen automatische Abwehrsysteme entwickelt werden; die neue nationale Cyber-Sicherheitsstrategie sieht zudem auch die Schaffung eines Forschungsinstituts vor.

Kreml wehrt Vorwürfe ab

Der Kreml reagierte auf Parkers Vorwürfe ebenfalls umgehend: Diese seien "unbegründet", betonte Kreml-Sprecher Peskow. "Russland nutzt alle Möglichkeiten, die vom internationalen Recht gedeckt sind."

Der britische Außenminister Michael Fallon hat erst vor Kurzem den Vorstoß eines russischen Marine-Geschwaders über die Nordsee in Richtung Syrien kritisiert. Russland habe dabei "klar zum Ziel" gehabt, das Vereinigte Königreich und die übrigen NATO-Länder "zu testen". In der russischen Bevölkerung wird dies ebenfalls mit wachsender Sorge beobachtet (siehe rechts).

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