Flüchtlinge zweiter Klasse und Pfiffe gegen Syrer

Iranische Flüchtlinge, die nicht über die Grenze dürfen, nähten sich die Münder zu
An der griechisch-mazedonischen Grenze sind Hunderte Flüchtlinge gestrandet – sie protestieren.

Es war eine harte Nacht. Als sich der Nebel verzieht, hängen Schlafsäcke auf Baumästen, Decken über Zäunen. Junge Männer bringen nasse Holzstämme mit Mühe zum Glosen, um Sportschuhe, Hosen und Socken über offenem Feuer zu trocknen. Entlang der Bahngleise nach Norden harren sie aus – und kommen seit Tagen nicht weiter.

Denn dort, wo Griechenland endet und Mazedonien anfängt, bilden mazedonische Grenzschützer eine Menschenkette. Nur Syrer, Irakis und Afghanen werden seit zehn Tagen durchgelassen. Der Rest bleibt hängen. Es sind Menschen aus Bangladesch, aus ganz Afrika oder Pakistan. An die tausend, sagen Helfer vor Ort; 700 sagt die Polizei. Nach und nach aber treffen neue ein. Manche ziehen weiter, manche probieren, die Grenze illegal zu überqueren. Die Syrer unter ihnen werden auf einem improvisierten Übergang neben den Geleisen durchgelassen – unter den Pfiffen jener, die hier feststecken.

Plastikplane oder Autobahnhotel

Sie hausen in Behelfsunterkünften, unter Plastikplanen, die einem leichten Regen standhalten könnten – nicht aber einem Platzregen wie in dieser Nacht. Und so liegen viele, als die Sonne aufgeht, auf dem Bahndamm-Schotter, weil die Steine wenigstens trocken sind, wie eine Frau mit einem vielleicht gerade einmal vierjährigen Kind sagt. Sie ist von der Elfenbeinküste.

Wessen Finanzen noch nicht zur Gänze aufgebraucht sind, der verzog sich zumindest für eine Nacht in eines der nahen Autobahnhotels in der Gegend, die seit Wochen praktisch bis zum letzten Bett ausgelastet sind.

Im Grenzort Evzonoi hat man sich eingerichtet auf den Strom an Flüchtlingen, der seit Monaten hier durchzieht. Die Gästehäuser des Ortes sind auf Arabisch und Griechisch angeschrieben. Der kleine Markt am Hauptplatz hat seine Angebotspalette um Rucksäcke, Schirme, Regenüberwürfe und Schuhe erweitert. Und macht gutes Geschäft damit.

Dort will er nicht sein, dort stinkt es, dort sind die Afrikaner, sagt ein junger Marokkaner in dem kleinen Café am Hauptplatz. Dort, das ist der Übergang.

Tiefe Gräben

Zwischen Bangladeschis, Afrikanern, Pakistanis und Iranern haben sich tiefe Gräben aufgetan in diesen Tagen. Die Iraner, die überwiegend schweigend auf den Gleisen protestieren, beklagen sich über die Pakistanis, die bei jedem Schwung an Leuten, die passieren dürfen, laut "Öffnet die Grenze" brüllen.

Ein älterer Pakistani wiederum nennt die Iraner "pathetisch", weil sich einige von ihnen den Mund zugenäht haben. Nebeneinander und doch Welten voneinander entfernt, demonstrieren sie für Freiheit, wie sie sagen, für Würde und ein besseres Leben.

Und Subsahara-Afrikaner sagen, sie seien in den sechs Großzelten, die vor allem für Familien mit kleinen Kindern gedacht sind, schlicht und einfach nicht willkommen. Sie haben einen Wasser-durchtränkten Acker neben den Gleisen besiedelt.

"Die Stimmung ist zum Zerreißen", sagt ein Rotkreuz-Mitarbeiter. Er verstehe nicht, wieso die griechischen Behörden sich dazu entschieden hätten, die Syrer, Iraner und Afghanen ausgerechnet hierher zu bringen, um sie unter Polizeischutz an jenen vorbei an die Grenze zu schaffen, die eben nicht passieren könnten und ohnehin schon geladen seien von wochenlangen Reisen.

"Schuld ist die EU"

Das Ergebnis: An der griechisch-mazedonischen Grenze werden immer mehr Menschen mit gefälschten Pässen erwischt. Und ein UN-Diplomat, der nicht namentlich zitiert werden will, sagt: "Praktisch haben wir jetzt wieder eine Situation wie im Sommer, als den Menschen nichts anderes blieb, als sich in Kühl-Lkw sperren und über Grenzen schleusen zu lassen." Auslöser dessen, wie er sagt: die Uneinigkeit der EU, wie mit der Situation zu verfahren sei. Am Sonntag findet ein Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs mit der Türkei zum Thema Flüchtlinge statt. Zuletzt haben sich mehr und mehr Staaten für restriktivere Flüchtlings- und Asylpolitik ausgesprochen.

Donnerstagabend ziehen wieder Wolken auf, für die nächsten Tage ist Regen vorhergesagt. Eine Gruppe der "Clowns ohne Grenzen" aus Spanien macht sich auf den Weg ins Lager. Geplant ist eine Vorstellung für Kinder. "Das", so sagt eine Frau in buntem Kostüm, "ist, was wir dazu beitragen können, um das" – sie deutet auf die Zeltstadt, auf den Bahndamm – "für Kinder erträglicher zu machen."

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