"Seeschlacht von Vallecas" in Madrid: Die Oma lacht die Opfer aus

Seeschlacht von Vallecas
Dass die Spanier für Proteste zur Wasserpistole greifen, haben zuletzt Touristen auf Mallorca und in Barcelona zu spüren bekommen. In Madrid wird ebenfalls gegen sie gespritzt.

Mit ihren Waffen treten die Vallecanos aus ihren Häusern, aus den Metrostationen, aus den Ramschläden. Sie laden sie an Trinkbrunnen oder in einer mit Wasser befüllten Mülltonne und dann ziehen sie in die Schlacht. Seit 1982 veranstalten die Bewohner des 18. Bezirks im Südosten von Madrid die „Seeschlacht von Vallecas“, an der mehrere Tausend Menschen teilnehmen. 

„Mojate“ heißt auf Spanisch nicht nur „mach dich nass“, sondern auch „setzt dich ein“ und dieses Jahr tun sie das für „würdiges Wohnen“. Mit gezückter Wasserpistole machen diese Madrilenen auf die prekäre Wohnsituation aufmerksam und zeigen dabei ihre Gemeinschaft.

Das Meer wird improvisiert

Was sie verbindet, ist das fehlende Meer. Deshalb schaffen sie sich eins. Aus „Puente de Vallecas“, der Brücke, wird „Puerto de Vallecas“, der Hafen. Aus der “Plaza Vieja” wird die “Playa Vieja”. Ein Piratenschiff fährt durch die Straßen und das Wasser klatscht laut dagegen. Nur kommt es nicht von unten. Die Anrainer schütten kübelweise davon aus den Fenstern. Zum Widerstandslied „Bella Ciao“ steuert die Crew an einem Haus vorbei, dessen Bewohner nun ausziehen müssen. Denn die Firma „Nuevas Inversiones S.L.“ – hat „neu investiert“. In Touristenwohnungen, wie die Nachbarschaft befürchtet. 

Was sie verbindet, ist auch ihr Vallecas. Das Viertel sieht sich historisch von der Hauptstadtverwaltung vernachlässigt. Deshalb hat sich über die Jahrzehnte ein starker sozialer Zusammenhalt entwickelt und eine Wählerschaft für die Linke und die sozialistische Partei. Aber die Vallecanos beschränken sich nicht aufs Wählen, sie leben ihre politische Überzeugung. Sie kümmern sich umeinander.

Seeschlacht von Vallecas

Kein Mensch, kein Auto bleibt bei der "Seeschlacht von Vallecas" trocken.

2024 haben sie es in die Schlagzeilen geschafft, weil sie gegen die Delogierung von Mariano mobil gemacht haben. Dem 56-Jährigen, der ein Herzleiden aber keine Einkünfte hat, war die Kündigung ausgesprochen worden. Da es sich bei der Vermieterin um eine Frau handelt, deren Familie mit dem ehemaligen Diktator Francisco Franco in Verbindung steht, haben sich die Gemüter extra erhitzt. 

Kaum sozialer Wohnbau

„Wir erfahren über unser Netzwerk von geplanten Räumungen und kommen dann hin, wir Nachbarn, um ein Zeichen zu setzen und die Betroffenen zu unterstützen, die leiden“, sagt Elena Ortega. Sie ist Integrationsbeauftragte an einer weiterführenden Schule und erzählt von Fällen, in denen Schüler plötzlich Verhaltensstörungen aufweisen, nervös und unkonzentriert sind. „Als ich es geschafft habe, einen Jungen zum Reden zu bringen, hat er erzählt, dass seine Familie schon seit einem Monat auf dem Boden schläft, umringt von gepackten Kisten, und darauf wartet, rausgeschmissen zu werden.“

Sozialer Wohnbau, wie Wien ihn hat, gibt es in Spanien kaum. Erfolgsgeschichten, wie sie die Berater von Wiener Wohnen erzählen, die angeblich über 800 Delogierungen verhindert haben, kennt man in Vallecas nicht. Hier sind es die Lehrer und Ärzte, die Probleme wahrnehmen und Betroffene an die Organisation PAH verweisen, die sich regelmäßig trifft und die Fälle bespricht. „Jeden Mittwoch kommen ein bis zwei neue dazu“, sagt Israel, der in Gesprächsrunden erklärt, was zu tun ist, wenn der Räumungsbescheid kommt. „Früher hat man Einkauftstrolleys auf der Straße gehört, heute sind es Reisekoffer“, sagt er traurig.

Seeschlacht von Vallecas

Seit 1982 veranstalten die Bewohner des 18. Bezirks im Südosten von Madrid die „Seeschlacht von Vallecas“.

Eine Gruppe Jugendlicher attackiert die Gäste auf der Terrasse eines Restaurants. Die ziehen ihre Pistolen unterm Tisch hervor und schießen zurück. Ein kleiner Junge zielt auf unbewaffnete Passanten. Seine Oma sitzt daneben und lacht die Opfer aus. Kein Mensch, kein Auto bleibt trocken. Am Tag der Seeschlacht werden die Sorgen aus den Gesichtern gespült. 

Kommentare