Krawalle verschieben Bilanz
Gerade war die unpopuläre Pensionsreform ohne abschließendes Votum durch das Parlament beschlossen worden, da wollte Macron eine neue Perspektive aufzeigen und gab seiner Regierung 100 Tage, um wichtige Themen anzugehen. "Der kommende 14. Juli wird uns erlauben, eine erste Bilanz zu ziehen", sagte er damals in Hinblick auf neue Projekte wie ein Einwanderungsgesetz und Vorstöße für eine "ökologische Planung". Die 100 Tage galten zugleich als Frist für Premierministerin Élisabeth Borne, die durch die umstrittene Umsetzung der Rentenreform per Dekret geschwächt war. Eine Regierungsumbildung um den 14. Juli herum erschien unausweichlich.
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Doch die Unruhen, die nach dem 27. Juni als Reaktion auf den Tod des 17-jährigen Nahel bei einer Polizeikontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre die französischen Städte erschütterten, brachten Macron zu einer Änderung seiner Prioritäten: Nun gilt es, die Abende des 13. und 14. Juli, an denen traditionell nicht nur Feuerwehrbälle im ganzen Land stattfinden, sondern es auch jedes Jahr zu Ausschreitungen kommt, möglichst ruhig zu überstehen. Der Verkauf und der Besitz von Feuerwerkskörpern an diesen Tagen wurde verboten, 130.000 Polizisten sind im Einsatz, Busse und Trams fahren ab 22 Uhr nicht mehr.
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Streit um Konsequenzen
Erkennbar groß ist die Furcht der Regierung vor einem Wiederaufflammen der Krawalle. Die Bilanz der fünf zerstörerischen Nächte ist dramatisch: 801 öffentliche Gebäude, darunter viele Schulen, Rathäuser und Polizei-Kommissariate, wurden teils schwer beschädigt, 282 durch Brandstiftung. Auch private Geschäfte und Fahrzeuge waren betroffen. Auf insgesamt 650 Millionen Euro schätzen die Versicherungsinstitute die Kosten für die Reparatur und den Wiederaufbau.
Das Innenministerium spricht von landesweit 5.000 bis 7.000 Personen, darunter viele Minderjährige, die für die Zerstörungen verantwortlich waren – nur ein geringer Bruchteil der sechs Millionen Menschen, die in sozial benachteiligten Vierteln in den Vororten leben. Dennoch verschärft sich der Ton in der politischen Debatte in Frankreich, angeheizt vor allem von den konservativen Republikanern.
Deren Parteichef Érioc Ciotti forderte strikte Maßnahmen: vom Entzug von Familienbeihilfen für die Eltern straffälliger Jugendlicher bis zur Senkung der Strafmündigkeit auf 16 Jahre. Teile der Linken fordern, die Strategie der Polizei bei Einsätzen vor allem in Problemvierteln zu hinterfragen.
Die angespannte Lage setzt Macron unter Druck. Auch wenn er in den kommenden Tagen eine ambitionierte Antwort formulieren dürfte – ihre konkrete Umsetzung entscheidet darüber, wie sehr er die Krise nutzen kann, um grundlegende Probleme dauerhaft zu bewältigen.
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