Menschenrechte in Weißrussland: "Was stimmt damit nicht?"
Die Gesichtszüge von Alexander Lukaschenko verrieten zunächst nichts darüber, was er von den Worten des Bundespräsidenten hielt. Egal, ob Alexander Van der Bellen seinen Gast aus Weißrussland beim gemeinsamen Auftritt in der Hofburg lobte oder tadelte, Lukaschenko verzog keine Miene.
Der Besuch von Lukaschenko in Wien war mit Spannung erwartet worden. Schließlich besuchte der autoritäre Staatschef am Dienstag erstmals seit 2016 offiziell ein EU-Land. Schon seit 1994 regiert Lukaschenko in Belarus, wie Weißrussland offiziell heißt, mit harter Hand. Damit ist der 65-Jährige der am längsten herrschende Staatschef einer ehemaligen Sowjetrepublik.
Einziges europäisches Land mit Todesstrafe
Seit 2015 bemüht sich Lukaschenko um bessere Beziehungen zum Westen. Damals hatte der Staatschef zum Beispiel sechs gefangene Oppositionspolitiker begnadigt und freigelassen.
Van der Bellen deponierte neben Lob für mehr Dialogbereitschaft und speziell für das Ukraine-Abkommen von Minsk, das auch ein Erfolg weißrussischer Diplomatie gewesen sei, erwartungsgemäß auch Kritik. "Auch unter befreundeten Nationen bestehen Meinungsunterschiede", sagte Van der Bellen etwa zur Todesstrafe, die in Weißrussland immer noch vollzogen wird. Weißrussland ist der letzte Staat Europas, der diese vollstreckt.
Auch die Art und Weise, wie die Todesstrafe durchgeführt wird, sorgt für internationale Kritik. Laut Medienberichten werden die Todeskandidaten nicht vorab über den Tag ihrer Hinrichtung informiert. Demnach werden die Verurteilten dann durch einen Schuss mit einer Pistole in den Nacken getötet. Auch heuer gab es laut deutschen Medien schon zwei Hinrichtungen.
Als Lukaschenko, wie schon früher, in Wien darauf verwies, dass die Todesstrafe in seinem Land 1996 durch ein Referendum eingeführt worden ist und nur durch ein solches abgeschafft werden könne, schlug Van der Bellen vor: "Vielleicht kann man über ein Moratorium nachdenken, sodass Todesurteile zumindest nicht vollstreckt werden."
Andere Definition von Menschenrechten
In Wien wurde Lukaschenko von Journalisten auch auf seine autokratische Führung, auf politische Gefangene und die eingeschränkte Meinungs- und Versammlungsfreiheit angesprochen. Der Präsident antwortete forsch: "Was stimmt damit nicht?" Dann zeichnete er ein Bild, wonach in seinem Land vieles besser sei als etwa in Österreich. So gebe es in Weißrussland ein "Recht auf Leben", ein "Recht auf Arbeit", kostenlose Bildung und ein kostenloses Gesundheitssystem.
Schon vor dem Besuch hatte Weißrusslands Außenminister Wladimir Makei, der Lukaschenko wie praktisch die halbe Regierung nach Wien begleitete, zur Kritik an eingeschränkten Menschenrechten gesagt: "Die EU denkt eher an die individuellen Rechte, wir immer schon an die sozialen Rechte wie das Recht auf Arbeit, auf eine Wohnung, auf Schulen und eine soziale Versorgung. Wir haben die alte sowjetische Denkweise, dass das am wichtigsten ist."
Lukaschenko: "Was den autoritären Stil betrifft, da haben Sie völlig Recht"
Der Politikwissenschaftler und stellvertretende Vorsitzende des Osteuropa-Zentrums in Berlin, Dmitri Stratievski, sagt zum KURIER: "Die Wahlen sind natürlich immer noch nicht fair und frei. Lukaschenko regiert autoritär. Er ist auch ein Sohn seiner Zeit."
Zugleich müsse man sehen, dass es Verbesserungen in Weißrussland gebe, etwa bei der Presse- und bei der Versammlungsfreiheit. Sogar Flugblätter, auf denen steht "Nieder mit Lukaschenko" könne man in Minsk heute verteilen, ohne festgenommen zu werden. "Vor wenigen Jahren war das noch undenkbar", sagt Stratievski.
Österreich zweitgrößter Investor
Von der Öffnung zur EU verspricht sich das verschuldete Weißrussland wirtschaftliche Vorteile. Die neue Linie lautet: gleich gute Beziehungen in alle Richtungen, dabei weiterhin natürlich besonders gute zu Russland. Österreich gilt mit seinem traditionell pragmatischen Zugang zu den östlichen Nachbarn als logischer Partner.
"Wir haben diesen Besuch natürlich mit unseren zuständigen Kollegen in Brüssel abgestimmt. Das ist keine Einzelinitiative ohne Rücksprache", betonte Van der Bellen gegen Ende der gemeinsamen Erklärung. Laut dem Bundespräsidenten ist Österreich bereits zweitgrößter Investor in dem 9,5-Millionen-Einwohner-Land, das geografisch einen Bindestrich zwischen Russland und der EU darstellt.
Zwar sei die Wirtschafts- und Militärmacht Russland der deutlich größere und stärkere Bruder als Weißrussland, sagt Politikwissenschaftler Stratievski. Allerdings brauche Wladimir Putin den kleineren Bruder als militärisch-politischen Vorposten an der Grenze zur EU. "Wenn Russland eines Tages Belarus als Verbündeten verlieren würde, dann hätte es an seinen westlichen Grenzen ganz schlechte Karten", erklärt Stratievski.
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