"Wir wissen, was Krieg ist"
In Tulin wehen grüne Fahnen. Das soll heißen: Hier ist das Gebiet der Amal. Im Nachbardorf sind es die gelben der Hisbollah. Im Grenzgebiet zu Israel im Süden und Syrien im Osten haben die beiden Schiitenfraktionen das Sagen. Milizen, bis an die Zähne bewaffnet – und mit dem Regime in Syrien wenn schon nicht in einer Liaison, so doch zumindest in einem Zweckbündnis. Sie dominieren dieses verarmte Hügelland, in dem es kaum Arbeitgibt und nur staatliche Subventionen die Farmer von der Abwanderung abhalten. Der Krieg in Syrien ist an dieser Region nicht spurlos vorüber gegangen. Zehntausende Flüchtlinge haben sich vor den Wirren des Krieges hierher gerettet, vor allem Sunniten. Sie kommen auseinem Grund in den Süden des Libanon: Hier ist das Leben bei Weitem billiger als im Norden oder gar in der Hauptstadt Beirut.
Hilfswerk vor Ort
„Wir wissen, was Krieg ist“, sagt Hussein Awela, Bürgermeister des Dorfes Tulin. „Die Syrer haben uns 2006 aufgenommen, als bei uns Krieg war, und jetzt nehmen wir sie auf.“ Probleme gebe es nicht. Auch nicht, wie er später erzählt, als die billigen syrischen Arbeitskräfte in der Region das Gehalt eines Tagelöhners von zuvor 25 Dollar auf 15 Dollar gedrückt haben. Und sein Dorf habe schon ohne die mehr als 400 Flüchtlinge (bei rund 3000 Einwohnern) genug Probleme. Es mangelt an Wasser, Strom, die Straßen sind miserabel, die Arbeitslosigkeit ist hoch und aus Beirut kommen keine Mittel, um schon diese Probleme anzupacken. Geschweige denn Hilfe, um mit der Flüchtlingssituation fertig zu werden. Die kam bisher auch nicht von internationalen Organisationen. Das Hilfswerk Austria sei die erste ausländische Organisation, die in die Region gekommen sei, sagt Hussein Awela.
In einer vor allem über libanesische Netzwerke und NGOs organisierten Aktion verteilte das Hilfswerk Austria vergangene Woche Matratzen und Decken in der Region – so wie auch schon zuvor in anderen LandesteilenSanitärpakete oder Winterjacken für Kinder ausgeteilt wurden.
Auf nacktem Beton
Dringend benötigte Hilfe, um zumindest über den Winter zu kommen und die Ausbreitung von Krankheiten zu vermeiden. Weitere Schritte sind in Planung. Wie etwa der Aufbau eines provisorischen Schulsystems für Tausende Kinder, die seit Monaten ohne Unterricht festsitzen. Ein 14-jähriges Mädchen erzählt, dass sie sich nichts mehr wünscht als eines: wieder in die Schule gehen zu können. Derzeit bleibe ihnen nichts, als daheim zu sitzen. Sie mieten Garagen, Häuser oder Hütten erzählt der Bürgermeister Tulins. Und bisher schliefen sie oft auf nacktem Beton – ohne Decken. „Die Kapazitäten sind erschöpft“, sagt er. Mehr gehe nicht.
Überschwappen
Was in den Dörfern noch funktioniert durch Nachbarschaftshilfe und enge zwischenmenschliche Beziehungen, bringt die Situation in den Städten mitunter zum überkochen. Berichte, syrische Sunniten hätten Anschläge auf das schiitische Aschura-Fest geplant, hatten in einigen Städten dazu geführt, dass syrischen Flüchtlingen am Tag des Festes Ende November der Ausgang verboten wurde. Menschenrechtsaktivisten berichten von offenen Feindseligkeiten zwischen den Konfessionen.
„So etwas sehen wir hier nicht“, sagt Hussein Awela, ein Politiker der konservativ-schiitischen Amal-Partei. „Wir leben hier alle in einem Haus – Schiiten, Sunniten, Christen“, fügt er hinzu.
Aber er ist sich durchaus bewusst, dass das, was in Syrien gerade passiert, tatsächlich nur sehr wenige Kilometer entfernt ist: Ob der Konflikt, der zunehmend einer zwischen Sunniten auf der einen und Schiiten, Drusen und Alawiten auf der anderen Seite wird, auf den Libanon übergreift? „Vielleicht“, sagt er. „Wenn man nicht geimpft ist, verbreitet sich die Krankheit weiter.“
Info:Spenden: PSK 90.001.002Hilfswerk Austria International, Kennwort: „Syrien“
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