Kurz für härteren EU-Flüchtlingskurs und mehr Hilfe vor Ort

Barack Obama hält seine Rede vor der UNO-Generalversammlung.
Ausnahmezustand in New York. Der Bürgerkrieg in Syrien stellt auch beim heurigen UNO-Weltgipfel alles andere in den Schatten.

New York seit Tagen im Ausnahmezustand: Vergangene Woche war in vielen Straßen Manhattans mit dem Auto kein Durchkommen mehr. Papst Franziskus lockte an die 100.000 New Yorker zum Papst-Schauen in den Central Park und in den Madison Square Garden, die Sicherheitsmaßnahmen legten die halbe Stadt lahm. Am Wochenende blieb für die New Yorker wenig Zeit zum Durchatmen. Die Polizei verlegte Straßensperren und Kontrollpunkte meist nur um ein paar Häuserblocks. In der Lower East Side des Big Apple sind rund um viele Hotels zwischen zwei Avenues oft ganze Seitenstraßen gesperrt oder nur nach Polizeikontrollen passierbar. Bis zu 170 Staatschefs haben sich heuer für die jährliche UN-Generalversammlung angesagt – ein Rekordzahl an Spitzenpolitikern.

Syrien: Obama will mit Moskau kooperieren

US-Präsident Barack Obama steigt zwar heuer erstmals nicht mehr im Waldorf Astoria ab. Es wurde kürzlich von Chinesen gekauft und gilt seither für die US-Administration nicht mehr als abhörsicher. Das legendäre Hotel an der Park Avenue ist dennoch nur nach einem Sicherheitscheck wie am Flughafen zu betreten. In der Luxusherberge logieren die chinesische und die indische Staatsführung – und Kremlchef Wladimir Putin, der nach zehn Jahren erstmals wieder vor der Generalversammlung sprechen wird.

Austrian-American-Day

Kurz für härteren EU-Flüchtlingskurs und mehr Hilfe vor Ort
Teilnaahme des Herrn Bundespräsidenten Heinz Fischer an der Eröffnung der 70. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York vom 26 09 bis 30 09 2015. Bilaterales Gespräch mit UN Generalsekretär Ban Ki-moon.

Außenminister Sebastian Kurz ist deshalb in der Stadt, Umweltminister Andrä Rupprechter und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek in Ressortagenden kurz da. Für Bundespräsident Heinz Fischer ist es die zehnte UNO-Generalversammlung, das rot-weiß-rote Rahmenprogramm seit Jahren gut eingespielt: Zum Einstand ein Get-together beim Austrian-American-Day im österreichischen Generalkonsulat in der Upper Eastside, ein Lunch mit Ex-US-Außenminister Henry Kissinger und ein Besuch im österreichischen Kulturforum, wo gerade eine Ausstellung von Erich Lessing läuft.

Heuer gibt es für Fischer und Kurz wegen der vielfältigen Agenda (von "Nachhaltiger Entwicklung " über Frauenfragen bis zur Terrorbekämpfung) gleich mehrere Redner-Auftritte vor den UN-Delegierten. Dazu kommen am Rande des UN-Treffens mehr als ein Dutzend Vier-Augen-Gespräche, von Chiles Präsidentin Michelle Bachelet bis zum jordanischen König Abdullah.

Der übliche UN-Konferenzreigen also – viele gute Vorsätze, aber nur wenig greifbare Substanz? Das getrauen sich heuer nicht einmal die übelmeinende UN-Kritiker zu behaupten. Das New Yorker Treffen, das sich heuer zum 70. Mal jährt, steht unter einem hohem Erwartungsdruck und birgt die Chance auf historische Momente.

Die ellenlange offizielle Tagesordnung wird von zwei Megathemen total überlagert. Nr. 1.: Der Bürgerkrieg in Syrien, über dessen mögliche Eindämmung haben Montagnacht US-Präsident Obama und Kremlherr Putin unter vier Augen nach zwei Jahren Eiszeit über die mögliche Rolle von Syriens Präsident Assad bei der Lösung des Konflikts Tacheles geredet (siehe Bericht hier). Das Flüchtlingsdrama steht unmittelbar damit in Verbindung: 7,6 Millionen Syrer haben als Binnenflüchtlinge im eigenen Land Schutz vor Assads Fassbomben und dem Terror des IS gesucht. Rund vier Millionen hat der Krieg ganz aus dem Land vertrieben. Sie haben vorläufig in Jordanien, dem Libanon und der Türkei Zuflucht gefunden. Hunderttausende unter ihnen wollen sich angesichts der Aussichtslosigkeit auf ein neues Leben in der Region nun Richtung Europa aufmachen.

Schutz der Grenzen

Das Thema beherrschte auch die bilateralen Gespräche, die Sebastian Kurz hier führt. Der Außenminister fühlt sich in seinem Kurs bestätigt, den er intern schon lange und zunehmend auch öffentlich offensiv vertritt: Humanität ja, aber Europa und damit auch Österreich darf die Einhaltung seiner Regeln nicht aufgeben. Kurz plädiert so für einen verstärkten Schutz der EU-Außengrenzen samt Registrierung und Kontrolle jener, die nach Europa wollen, und gleichzeitig mehr Hilfe für die Flüchtlinge vor Ort.

Denn auch die Nachbarländern Syriens sehen sich überfordert. In New Yorker UN-Konferenzkreisen macht eine Einschätzung des libanesischen Außenministers die Runde: Auch im Libanon habe es mit ein paar Tausend Schutzsuchenden begonnen, bald waren es viele Zehntausend und nun mehr als eine Million. Die Bilder von den vergleichsweise paradiesischen Zustände in Europa würden vor Ort nicht ohne Wirkung bleiben. Jedes Handy-Foto eines neu geschaffenen Quartiers für Flüchtlinge würde zwei weitere ermutigen, auch hierher zu kommen.

40.000 Flüchtlinge sind nach übereinstimmenden Berichten derzeit unterwegs. 8000 versuchen derzeit täglich noch die günstige Witterung zu nutzen, um auf dem Seeweg von der Türkei auf EU-Boden in Griechenland überzusetzen.

Mittwochabend kommt am Rande des UN-Treffens die internationale Flüchtlingskrise informell auf die Agenda. Auf der Rednerliste stehen die wichtigsten Player: vom türkischen Premier Ahmet Davutoglu über den ungarischen Regierungschef Viktor Orban bis zu Deutschlands Außenminister Steinmeier. Was immer am Ende dieser UN-Gipfelnacht steht – das Ergebnis wird Geschichte machen.

Am Rande der UN-Versammlung in New York besuchte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz einen Österreicher mit türkischen Wurzeln, der seit 2010 eines der größten US-Unternehmen führt. Hikmet Ersek, 55, ist CEO von Western Union, dem Weltmarktführer bei Geldtransfers: Mit einer Million Mitarbeiter und 500.000 Geschäftsstellen wickelt das Unternehmen mit Ausnahme Irans und Nordkoreas weltweit jährlich Transaktionen im Werte von 85 Milliarden Euro ab.

Trotz der Größe ist Western Union vor allem die Bank der kleinen Beträge und der kleinen Leute, aktuell auch der Hunderttausenden Flüchtlinge. An den Geldtransaktionen kann Ersek messen, wohin in Europa sich gerade der Flüchtlingsstrom aus dem Nahen Osten und aus Afrika bewegt.
Maximal 300 Euro machen die Überweisungen im Durchschnitt aus; viele vermeiden so, auf dem langen Weg ihres Bargeldes verlustig zu gehen.

Gemeinsame Projekte

Ersek und Kurz verbinden schon länger gemeinsame Projekte: Der Österreicher mit türkischen Wurzeln ist einer prominentesten „Integrationsbotschafter“, die als „role models “ in österreichischen Schulen auftreten. Der Western-Union-Chef unterstützt auch andere Projekte des Kurz-Ministeriums.

Der Spitzenmanager hält die derzeitige Flüchtlingswelle von vorwiegend jungen Menschen in Europa für alles andere als eine Katastrophe: „Europa hat ein Problem der Überalterung, das entweder mit mehr Kindern oder mit mehr Migration lösbar ist.“

Solidarität zeigen

An seiner neuen Wahlheimat USA übt Ersek im Umgang mit der aktuellen Flüchtlingskrise heftige Kritik. US-Präsident Barack Obama hatte angesichts des Unmuts in Europa über das passive Verhalten der Vereinigten Staaten jüngst angekündigt, 10.000 zusätzliche syrische Flüchtlinge aufzunehmen. „Nur 10.000 Menschen, das ist lächerlich. Auch die USA müssen jetzt Solidarität zeigen.“ Auf eine Zahl will sich der Unternehmer nicht festlegen, schließlich, so sagt Hikmet Ersek, „bin ich kein Politiker“.

Der Spitzenmanager betont, so scharf nur als Privatmann zu argumentieren. Als Western Union-Chef bevorzugt er lieber die Goodwill-Tour, greift zum Telefonhörer und ruft befreundete Konzernchefs an. Ergebnis: Die Chefs von Coca-Cola und des größten US-Joghurtherstellers, Chobani, spendeten nach Erseks Anruf siebenstellige Dollar-Beträge für die Flüchtlingshilfe.

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