KURIER-History: Erdbeben, die die Weltgeschichte veränderten

Das Erdbeben von Lissabon 1755
Erschütterungen, die Städte untergehen ließen und Inseln versenkten, begleiten die Menschheit seit Jahrtausenden – oft stehen sie am Anfang historischer Umbrüche

Der Zorn Gottes, nichts anderes konnte es sein, das die Schiffe im Hafen von Lissabon 1755 vor seinen Augen in der Tiefe begrub. Göttliches Gericht würde wohl über diese Seeleute gehalten, schreibt der Hamburger Kaufmann Johann Moritz in sein Tagebuch: „Geschleudert ins Unendliche“ würden „diese Verdammten, ob ihres Frevels“.

Aufzeichnungen wie diese, machen deutlich, wie die meisten Augenzeugen das Erdbeben in der Hauptstadt des portugiesischen Weltreichs erlebten.

Dass es gerade Lissabon traf, den Umschlagplatz gigantischer Reichtümer aus der Neuen Welt, in dem eine adelige Oberschicht täglich neue Spielarten des Luxus erfand: Das konnte nur die gerechte Strafe für diese Dekadenz sein.

Das erste Medienereignis

Dass das Erdbeben ausgerechnet zu Allerheiligen stattfand, verlieh dem Schrecken aus Flut und Feuer noch mehr höhere Gewalt.

Doch der Glauben an die göttliche Gerechtigkeit sollte dieser Katastrophe nicht standhalten. Wie konnte dieser Gott so viel Leid und Zerstörung zulassen, fragten sich Dichter und Denker in ganz Europa. Denn die Nachricht vom Untergang der Metropole verbreitete sich rasch. Als das erste Medienereignis gilt das Erdbeben von Lissabon heute. Journale in allen europäischen Hauptstädten berichteten.

Ungefähr um 1600 vor Christus brach ein Vulkan auf der Insel Thera (heute Santorin) aus, zahlreiche Erdbeben und Tsunamis folgten, die Verwüstungen in der gesamten Ägäis, aber auch auf Kreta, dem Zentrum der damals die Region dominierenden minoischen Kultur verursachten. Die Katastrophe gilt als ein Auslöser für das Ende dieser minoischen Kultur. Sie wurde von der vom griechischen Festland ausgehenden mykenischen Kultur abgelöst, dem Griechenland des Dichters Homer.

„Berge und Flüsse wurden versetzt…neue Hügel und Täler entstanden“, so beschreiben zeitgenössische Quellen das Beben in der chinesischen Provinz Shaanxi im Jahr 1556. Es gilt mit insgesamt rund 800.000 Todesopfer als das  verheerendste der Geschichte. Der Großteil der Menschen aber starb nach dem Beben, an Seuchen, oder an Hunger. Die meisten waren Höhlenbewohner, die unter den einstürzenden Bergen begraben wurden.

KURIER-History: Erdbeben, die die Weltgeschichte veränderten

Stärke 7,4 Todesopfer 90.000

Bis heute gelten Städte wie Syrakus, Catania oder Ragusa als einzigartige Schauplätze barocker Architektur, die auch auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes stehen.  Am Anfang dieses Baubooms aber steht das Erdbeben vom 11.Jänner 1693, das die nicht nur die davor existierenden mittelalterlichen Städte und viele Monumente der Antike zum Einsturz brachte, sondern auch fast zwei Drittel der Bevölkerung, etwa in Catania, tötete. Das Königreich Spanien, das damals über Sizilien herrschte, veranlasste den Wiederaufbau in einem großen Bauboom, der heute als die „finale Blütezeit barocker Baukunst“ gilt.

 

Nicht umsonst zeigt das Stadtwappen von San Francisco einen Phönix, der aus der Asche aufsteigt. Die Stadt wurde schon im Lauf des 19. Jahrhunderts mehrmals von Erdbeben und Großbränden erschüttert und erholte sich immer schnell davon. Das Erdbeben vom 18.April 1906 aber zerstörte die Stadt fast vollständig, auch weil sie danach sieben Tage lang brannte. Doch der Wiederaufbau und damit die Entstehung des neuen San Francisco dauerte auch diesmal nur wenige Jahre – schon 1915 empfing man die Länder der Welt zu einer Weltausstellung. Die Angst vor einem neuen verheerenden Beben in Kalifornien aber blieb.

Stärke 9,6 Todesopfer 6000

Das Erdbeben, das am 22.Mai 1960 den Süden Chiles erschütterte, gilt als das stärkste der Menschheitsgeschichte. Außergewöhnlich aber waren nicht die Zerstörungen in Chile selbst, sondern jene durch die Tsunamis, die das Beben auslöste. Wellen von bis zu 25 Meter Höhe prallten nicht nur auf die chilenische Küste, sondern überquerten den Pazifik über 10.000 Kilometer bis nach Hawaii, wo sie ganze Städte zerstörten und hunderte Todesopfer forderten. Sogar an den Küsten im Norden Japans wurden Häuser von den Wellen zerstört und Menschen getötet.

Wenn auch die Auflagen noch klein waren, Johann Wolfgang von Goethe, Immanuel Kant oder Voltaire waren informiert. So beginnt eine Debatte über das Ereignis, die bisher unerschütterliche Grundsätze infrage stellt. Der Geist der Aufklärung macht sich darin bemerkbar. Der Optimismus, der das barocke Europa bisher geprägt hatte, wird von einer tiefen Skepsis abgelöst. „Wenn dies die beste aller möglichen Welten ist, wie müssen dann erst die anderen sein?“, lässt Voltaire seinen „Candide“ fragen.

Goethe erinnert sich

Goethe erinnert sich in seiner Autobiografie an die Wirkung, die das Ereignis an ihn als Kind hatte: „Durch ein außerordentliches Weltereignis wurde jedoch die Gemütsruhe des Knaben zum ersten Mal im Tiefsten erschüttert.“

Immanuel Kant wiederum sieht das Ereignis schon deutlich nüchterner. War der Mensch dem Zorn Gottes hilflos ausgeliefert, oder konnte man mit einem analytischen Blick auf die Katastrophe zukünftigen Ereignissen besser begegnen? Kants bestechend pragmatische Schlussfolgerung: „Wenn die Menschen ihre Häuser dort hin bauen, wo sie erschüttert werden, dann brauchen sie sich nicht wundern, wenn sie zusammenfallen. Sie sollen dann aber bitte nicht die Vorsehung dafür verantwortlich machen.“

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