KURIER-History: Erdbeben, die die Weltgeschichte veränderten

Das Erdbeben von Lissabon 1755  
Erschütterungen, die Städte untergehen ließen und Inseln versenkten, begleiten die Menschheit seit Jahrtausenden – oft stehen sie am Anfang historischer Umbrüche

Der Zorn Gottes, nichts anderes konnte es sein, das die Schiffe im Hafen von Lissabon 1755 vor seinen Augen in der Tiefe begrub. Göttliches Gericht würde wohl über diese Seeleute gehalten, schreibt der Hamburger Kaufmann Johann Moritz in sein Tagebuch: „Geschleudert ins Unendliche“ würden „diese Verdammten, ob ihres Frevels“.

Aufzeichnungen wie diese, machen deutlich, wie die meisten Augenzeugen das Erdbeben in der Hauptstadt des portugiesischen Weltreichs erlebten.

Dass es gerade Lissabon traf, den Umschlagplatz gigantischer Reichtümer aus der Neuen Welt, in dem eine adelige Oberschicht täglich neue Spielarten des Luxus erfand: Das konnte nur die gerechte Strafe für diese Dekadenz sein.

Das erste Medienereignis

Dass das Erdbeben ausgerechnet zu Allerheiligen stattfand, verlieh dem Schrecken aus Flut und Feuer noch mehr höhere Gewalt.

Doch der Glauben an die göttliche Gerechtigkeit sollte dieser Katastrophe nicht standhalten. Wie konnte dieser Gott so viel Leid und Zerstörung zulassen, fragten sich Dichter und Denker in ganz Europa. Denn die Nachricht vom Untergang der Metropole verbreitete sich rasch. Als das erste Medienereignis gilt das Erdbeben von Lissabon heute. Journale in allen europäischen Hauptstädten berichteten.

KURIER-History: Erdbeben, die die Weltgeschichte veränderten

Wenn auch die Auflagen noch klein waren, Johann Wolfgang von Goethe, Immanuel Kant oder Voltaire waren informiert. So beginnt eine Debatte über das Ereignis, die bisher unerschütterliche Grundsätze infrage stellt. Der Geist der Aufklärung macht sich darin bemerkbar. Der Optimismus, der das barocke Europa bisher geprägt hatte, wird von einer tiefen Skepsis abgelöst. „Wenn dies die beste aller möglichen Welten ist, wie müssen dann erst die anderen sein?“, lässt Voltaire seinen „Candide“ fragen.

Goethe erinnert sich

Goethe erinnert sich in seiner Autobiografie an die Wirkung, die das Ereignis an ihn als Kind hatte: „Durch ein außerordentliches Weltereignis wurde jedoch die Gemütsruhe des Knaben zum ersten Mal im Tiefsten erschüttert.“

Immanuel Kant wiederum sieht das Ereignis schon deutlich nüchterner. War der Mensch dem Zorn Gottes hilflos ausgeliefert, oder konnte man mit einem analytischen Blick auf die Katastrophe zukünftigen Ereignissen besser begegnen? Kants bestechend pragmatische Schlussfolgerung: „Wenn die Menschen ihre Häuser dort hin bauen, wo sie erschüttert werden, dann brauchen sie sich nicht wundern, wenn sie zusammenfallen. Sie sollen dann aber bitte nicht die Vorsehung dafür verantwortlich machen.“

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