Künstliche Intelligenz: Der Wettlauf um die Superhirne

Künstliche Intelligenz: Der Wettlauf um die Superhirne
Der Handelsstreit zwischen China und den USA wird lauter. Aber entscheidend ist, wer die Zukunftstechnologie beherrschen und besser einsetzen wird.

Kai-Fu Lee betritt seinen Supermarkt. Hallo, Kai-Fu, begrüßt ihn der Einkaufswagen, kaum hat er ihn berührt. Eine kleine Kamera im Griff hat ihn sogleich erkannt, der eingebaute Computer weiß, was zuletzt nach Hause geliefert wurde und was er an Samstagen gerne kocht. Zielgenau wird er zu Regalen geführt, wo die Waren auf ihn warten.

Kai-Fu Lee ist die rechte Person im Bild ganz oben. Links symbolisieren wir das, was Lee seit vielen Jahren beschäftigt: Die Forschung über eine Intelligenz, die den Menschen schlagen oder sogar ersetzen kann.

Der 56-jähriger Lee wurde in Taiwan geboren, in den USA zum IT-Experten ausgebildet, war dann Google-Chef in Peking und gründet nun Unternehmen, die Forschungsergebnisse der Artificial Intelligence (AI) in Produkte umsetzen. Und Lee hat eben ein Buch geschrieben: „AI Superpowers: China, Silicon Valley and the New World Order.“

Maschinen-Intelligenz

Das Buch nimmt eine überraschende Wendung, ausgelöst durch die Krebserkrankung Lees vor fünf Jahren, aber dazu später. Vor allem geht es um Stand und Zukunft der Künstlichen Intelligenz, wie es auf deutsch heißt, kurz KI – und den Wettkampf, der nach seinem Befund nur zwischen den USA und China ausgetragen wird, wobei er die Chinesen klar im Vorteil sieht.

Das Beispiel mit dem Einkaufswagen, der alles weiß, ist für Lee die dritte Stufe der KI, wo diese über vernetzte Daten unser Verhalten wahrnehmen kann. Die wird bald erreicht sein. Die erste Stufe, die „KI im Internet“, begleitet uns schon lange. Da ist schon viel Wissen gespeichert und verfügbar. Die zweite - „Business AI“, bedeutet die Vernetzung von Daten, die von Unternehmen bereits massiv genutzt wird. Nach der Anwendung wie im Supermarkt – „Perception AI“ – kommt die „Autonomous AI“ – vernetzte Maschinen lernen voneinander und agieren miteinander, ganz ohne menschliche Eingriffe. Selbst fahrende Autos sind da nur der Anfang, künftig werden die Algorithmen für uns Entscheidungen treffen, weil sie uns und unsere Wünsche ohnehin besser kennen. Dass die Algorithmen unseren Horizont eher einschränken, wird auch noch ein Thema sein.

Wettstreit China – USA

Die Superpowers der KI sind also das Silicon Valley und China. Und da es bei Weltmächten immer um Rivalität geht, stellt sich die Frage: Wer wird der Sieger sein? Lee beschreibt in seinem Buch Chinas „Sputnik Moment“.

So wie die USA im Oktober 1957 aufgeschreckt wurden, als die Sowjetunion mit Sputnik den ersten Satelliten ins Weltall schossen, so erlebten viele Chinesen einen Schock, als im Mai 2017 erstmals ein Google-Computer den besten Spieler des Brettspiels Go schlug. Jetzt war vor allem der Führung in Peking klar, dass sie mehr in die Forschung der KI investieren müsse. Das Wichtigste an dem Experiment war, dass der Computer auf „deep learning“ beruht, also auf der Erzeugung von künstlichen neuronalen, dem menschlichen Gehirn gleichen Netzen.

Beforscht wurde dieses Gebiet seit den 1950er Jahren, aber es kam ja etwas Entscheidendes dazu: Die Verfügbarkeit von unendlich vielen Daten. Genau hier sieht Lee schon den ersten Vorteil für China. Daten sind nicht nur in viel größerer Zahl verfügbar, sie umfassen auch das tägliche Leben: Bezahlt wird fast nur mehr mit dem Handy, auch beim Straßenhändler, über die App WeChat wird nicht nur gesprochen und geschrieben, es werden auch Arzttermine vereinbart, die Steuern abgerechnet oder Fahrräder angemietet. Alle Daten werden permanent vernetzt. Datenschutz? Die Überwachung der Menschen ist bereits total.

China profitiert mehr

Die Verfügbarkeit der Daten bringt den Chinesen bereits einen Vorsprung, weil sie bei der Entwicklung von Apps bereits die Umsetzung im realen Leben und dazu passende Unternehmen planen.

Der Wirtschaftsprüfer PriceWaterhouseCoopers schätzt, dass die KI bis 2030 das globale Bruttosozialprodukt um 15,7 Billionen Dollar erhöhen wird. Die Hälfte davon werde nach China fließen, nur ein Viertel in die USA. Gleichzeitig werden in den USA mehr Jobs wegfallen als im noch nicht überall industrialisierten China.

Und was ist mit dem Rest der Welt? „Großbritannien, Frankreich oder Kanada verfügen über starke KI-Forschungsteams“, schreibt Lee, „aber es fehlen diesen Staaten die Risikokapital - Geldgeber und die große Zahl an Daten.“

Zukunftsmarkt Indien

An dieser Stelle ist die Erwähnung eines Gesprächs mit Hannes Androsch interessant. Der Miteigentümer des weltweit führenden Leiterplattenherstellers AT&S produziert sowohl in China als auch in Indien. Man dürfe Indien nicht vergessen, für Androsch „der Elefant im Schatten des Drachen.“

Die Zahl der Smartphone-Nutzer wird sich bis 2025 von 250 Millionen auf 800 erhöhen, Indien verfügt über unzählige, bestens ausgebildete IT-Experten und die Wirtschaft wächst ungebrochen, während in China vor der hohen Verschuldung gewarnt wird. Und: Indien ist eine Demokratie. Wie sich China mit dem sehr machtbewussten, auf unbeschränkte Zeit regierenden Xi Jinping politisch entwickeln wird, muss beobachtet werden.

Linz forscht auch mit

Und Europa? Ein Zukunftsforscher meinte kürzlich, der größte Killer in Krankenhäusern sei der Datenschutz. Die Gesundheitsdaten werden nicht so gut vernetzt, dass die Ärzte für die Patienten daraus lernen könnten.

Aber immerhin: In der Forschung an der Weltspitze dabei ist ein Professor aus Bayern, der in Linz das „Institut für Artificial Intelligence“ leitet. „Die Zeit“ hat Sepp Hochreiter gerade ein großes Porträt gewidmet. Hochreiter war einer der ersten, der an der Grundlagentechnologie für die Erkennung von Handschriften, Sprache oder Gesichtern gearbeitet hat. Sein Ziel: „Wir wollen, dass eine Intelligenz alles verstehen und jede Aufgabe lösen kann. Nicht der Mensch denkt sich ’was Neues aus, sondern das System. Der KI-Forscher wird durch ein neuronales Netz ersetzt.“

Der Weckruf Krebs

Das führt zurück zu Kai-Fu Lee. Der letzte Absatz seines Buches lautet: „Maschinen sollen Maschinen bleiben, und lassen wir Menschen Menschen bleiben. Entscheiden wir uns dafür, dass wir unsere Maschinen benutzen, und noch wichtiger, dass wir einander lieben.“

Das klingt nach einem Hollywood Ende, unterlegt von leise winselnden Geigen. Lees Betonung der Liebe, zu der auch der Beste aller menschgleichen Roboter nie fähig sein wird, hat sicher etwas mit seiner Erkrankung an Blutkrebs zu tun. „Ich habe aufgehört, mein Leben als Algorithmus zu sehen, das meinen Wirkungsbereich optimiert.“ Sein Leben, das er zwischen zwei Systemen verbracht hat, dürfte ihn dazu geführt haben, dass er KI als Chance sieht. Er will, dass China, die USA, aber auch andere Länder gemeinsam von der künstlichen Intelligenz profitieren. Und auch gemeinsam klären, wie ein Leben mit weniger Arbeit aussieht und finanzierbar ist.

Die politischen Zeichen sehen im Moment anders aus. Der britische Economist spricht von der „gefährlichen Rivalität“ zwischen China und USA. Aber vielleicht können Maschinen uns Menschen zeigen, wie wir besser miteinander auskommen. Dann könnte es ein gemeinsamer Wettlauf der Superhirnen um bessere Lebensbedingungen für alle werden.

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