Ersehnte Reisefreiheit, auf dem Papier

Sehnsuchtsort: Der Malecon in Havanna, 170 km bis Key West.
Ab Montag dürfen die Kubaner die Insel verlassen. Doch die wenigsten haben die Mittel dazu.

Am Malecon, der berühmten Uferstraße Havannas, auf der amerikanische Oldtimer und gelbe Motorradtaxis unentwegt Touristen kutschieren, kommen die Jugendlichen der kubanischen Hauptstadt jeden Tag zusammen. Der Kai ist der beliebteste Aufenthaltsort der Stadt, das zur Legende gewordene Postkartenobjekt.

Von hier sind es nur rund 170 km nach Key West, in die Freiheit. Doch Koffer packen und abreisen, dieser Traum war für die meisten Einwohner der sozialistischen Insel die längste Zeit unerreichbar. Das könnte sich nun ändern, zumindest in der Theorie.

Die kommunistische Regierung von Raul Castro hat im Oktober angekündigt, die ersehnte Reisefreiheit zu gewähren. Morgen, Montag, fallen die Sperren vor den Ausreiseschaltern, die verhasste Sondergenehmigung „Carta Blanca“ ist nicht mehr nötig, ebenso wenig wie eine Einladung aus dem Ausland.

„Raub der Talente“

Doch die Hürden, tatsächlich das Land zu verlassen, bleiben hoch: Bei einem durchschnittlichen Monatslohn von umgerechnet 15 Euro muss man erst einmal über das nötige Kleingeld verfügen – und einen Pass. Das begehrte Dokument bekommt aber nicht jeder. Ganz zu schweigen vom Visum aus dem Zielland, das von den meisten Staaten verlangt wird. Und die Behörden in Havanna haben sich von Beginn an Möglichkeiten gesichert, eine Ausreise zu verweigern: „Es werden Maßnahmen beibehalten, um das geistige Kapital, das von der Revolution geschaffen wurde, gegen den Raub der Talente durch die Mächtigen zu schützen“. Hoch qualifizierte können so von der Abreise abgehalten werden, damit Kuba die Kinder seiner Revolution nicht verliert.

Die neue Reisefreiheit gehört zu einer großen Migrationsreform, die die KP anstieß. Kuba will in Zukunft auch die Heimkehr von – großteils in Florida ansässigen – Flüchtlingen ermöglichen. Die früher als Vaterlandsverräter Verunglimpften wurden bisher enteignet und verbannt. Doch der Fachkräftemangel schmerzt die ruinierte Wirtschaft.

Seit dem Abgang von Fidel Castro und der Übergabe an Bruder Raul gab es etliche zaghafte Neuerungen, etwa das Arbeiten auf eigene Rechnung. Doch der bleierne Rahmen blieb: „Socialismo o muerte“ ist immer noch das Credo der Partei, wie die unabhängige Plattform Havana Times kommentiert: „Das Seil wurde gelockert, aber nur Millimeter für Millimeter, während die Gesellschaft nach frischer Luft schnappt.“

Auch Oppositionelle und Dissidenten machen sich keine große Hoffnungen. Aus „Gründen der Nationalen Sicherheit“ können auch sie auf der Insel fest gehalten werden. Die Bloggerin Yoani Sanchez, etwa. Seit Jahren kritisiert sie das repressive Regime. Mehrmals wurde sie verhaftet. Um ihre Beiträge zu veröffentlichen, tingelt sie von Hotel zu Hotel oder umgeht mit Tricks die Internetsperren. „In den letzten fünf Jahren wurde mir zwanzig Mal die Ausreise verweigert“, so die 37-Jährige. „Wird die Öffnung so offen sein?“

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