EU erhöht den Druck auf Putin

Die EU setzt auf Angela Merkels Kontakt zu Wladimir Putin
Elf Milliarden an Hilfen sollen fließen. NATO "überprüft" Beziehungen zu Russland. Lawrow kritisiert Druck auf sein Land. Serbische Freischärler in Sewastopol.

Es ist Krise – wieder einmal – und in Brüssel starren alle auf Berlin. Krisenmanagerin Angela Merkel ist gefragt. Vor dem am Freitag in Brüssel stattfindenden EU-Sondergipfel zur Ukraine und der russischen Intervention auf der Krim dreht sich alles um die deutsche Bundeskanzlerin.

Bei ihr laufen alle Drähte zusammen, Merkel hängt mit den Großen dieser Welt pausenlos am Telefon, um den Konflikt mit Russland zu entschärfen. Mit Obama, Hollande, Cameron, Barroso und mit Putin redet die Russland-Kennerin Klartext. Das Risiko einer gefährlichen Eskalation ist noch nicht vom Tisch. Die Instrumente, die Merkel und viele ihrer Amtskollegen vorerst anwenden wollen, sind Dialog und Diplomatie.

Polen und die baltischen Staaten verlangen härtere Maßnahmen gegenüber Russland und Kreml-Chef Wladimir Putin. Aber auch Deutschland, Großbritannien und Frankreich sind der Meinung, dass Russland nicht sanktionsfrei wegen seines völkerrechtswidrigen Vorgehens auf der Krim bleiben dürfe. Wie der Strafkurs gegenüber Putin aussehen solle, darüber wird auf EU-Ebene noch gerungen.

Sollten die Machthaber in Moskau nicht einlenken und die Truppen auf der Krim abziehen, schließt die EU Sanktionen gegenüber Russland nicht aus: Die Konten reicher Russen könnten gesperrt werden, die Verhandlungen über Visa-Erleichterungen werden auf Eis gelegt, Einreiseverbote für russische Wirtschaftsmagnaten verhängt. Aber das sind Maßnahmen des "letzten Mittels" – aus mehreren Gründen: Russland ist der drittwichtigste Handelspartner der EU. 60 Prozent der Energieversorgung der EU kommen aus Russland, diese Importabhängigkeit von Öl und Gas ist ein Risikofaktor.

Zudem drohte Moskau am Mittwoch: Komme es zu Sanktionen, könnte Russland die Vermögen von westlichen Unternehmen im Land einfrieren.

Milliardenhilfe der EU

Einigkeit gibt es in der EU darüber, die neue Übergangsregierung in Kiew zu unterstützen. Die Einladung an den interimistischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk zum Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel ist mehr als nur Symbolik. Die EU-Kommission hat am Mittwoch elf Milliarden Euro aus diversen EU-Finanztöpfen freigegeben. Ein Fonds zur Unterstützung der Ukraine soll geschaffen werden. Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sagte bei der Präsentation des Pakets, dass es angesichts der Drohungen Russlands erstmals eine wirkliche Bedrohung für Frieden und Stabilität gebe.

Was Österreich vor Tagen bereits bilateral gemacht hat, nämlich die Konten von 18 ukrainischen Oligarchen einzufrieren, tut die EU jetzt auch. Premier Jazenjuk soll versichert werden, das Assoziationsabkommen mit der Ukraine gelte nach wie vor. "Wir wollen die Einheit der Ukraine erhalten. Die Krim ist kein Protektorat Russlands", sagt kämpferisch ein EU-Kommissar.

Treffen Kerry-Lawrow

Die Außenminister John Kerry (USA), William Hague (GB), Frank Walter Steinmeier (D) und Lawrow trafen sich am Mittwoch in Paris zu einer seit Längerem geplanten Libanon-Konferenz. Dabei kam auch zu einem Zweier-Treffen zwischen Kerry und Lawrow – einig wurden sie sich jedoch nur in einem: Die Krise müsse im Dialog gelöst werden.

Die NATO hat indessen beschlossen, ihre gesamten Beziehungen zu Russland zu "überprüfen", teilte gestern Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen mit. So wird der plante, erste gemeinsamen Militäreinsatz mit Russland abgesagt: Russland wird nicht an der Eskorte des US-Schiffes "Cape Ray" teilnehmen, auf dem syrische Chemiewaffen vernichtet werden. Zudem wird es vorerst keine zivilen oder militärischen Treffen und Konferenzen mit Russland geben.

Relative Ruhe kehrt nach turbulenten Tagen ein. Während auf der Krim ukrainische Armee-Basen nach wie vor von mutmaßlichen russischen Einheiten umzingelt sind, scheinen die ukrainischen Behörden im Osten des Landes nach und nach wieder Fuß zu fassen. Das von pro-russischen Aktivisten besetzte Regierungsgebäude im ostukrainischen Donezk wurde geräumt, dann aber wieder besetzt. Und aus der ostukrainischen Großstadt Charkiw berichteten Augenzeugen von einer Art Rückkehr zur Normalität.

Andrej Paruby, Chef des Nationalen Sicherheitsrates sagte gegenüber Journalisten in Kiew, die Loyalität der ukrainischen Soldaten auf der Krim habe das Land vor einem weiteren russischen Vordringen auch in andere Regionen der Ukraine bewahrt. Russlands Plan für einen "Blitzkrieg" in der Ukraine sei gescheitert, so Paruby.

In den vergangenen Tagen hatten Augenzeugen berichtet, dass in Charkiw und Donezk autobusweise Aktivisten aus Russland gekommen seien. Zugleich hatte Russlands Präsident Putin betont, dass Übergriffe auf Russen zum Anlass genommen werden könnten, militärisch aktiv zu werden.

Nach wie vor behauptet Moskau, keine Kontrolle über jene Kämpfer zu haben, die auf der Krim Regierungsgebäude besetzt und ukrainische Basen umstellt haben. Auch, wenn Fahrzeuge dieser Truppen mit Nummernschildern der russischen Schwarzmeerflotte unterwegs sind. Und auch, wenn einige der Kämpfer über soziale Netzwerke als Angehörige der russischen Armee identifiziert wurden. Scherzhaft wird jetzt von vielen Ukrainern die Frage gestellt: Wenn Russland keine Kontrolle über diese Leute habe, stehe doch die Gefolgschaft der gesamten russischen Schwarzmeerflotte infrage?

Im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) schickt Österreich zwei Offiziere des Bundesheeres auf die Krim. Es gelte festzustellen, "welche militärischen Aktivitäten von Russland auf der Halbinsel gesetzt werden", so Verteidigungsminister Gerald Klug.

Indes zementiert die neue ukrainische Führung ihre Position ein. Ein Gericht in Kiew entschied am Mittwoch, dass die Ernennung von Sergej Aksenow zum Premier der Krim und die Ausrufung eines Referendums über die Unabhängigkeit der Halbinsel nicht rechtmäßig sei.

In einer Botschaft an die Krimtataren ruft der Rechte Sektor, der radikale Block der Protestbewegung der vergangenen Monate, zum Aufstand auf. Sie sollten sich in einem Partisanenkrieg gegen Russlands Okkupation erheben.

Sie ist die erste TV-Journalistin des Kreml-nahen Auslandssenders Russia Today, die auch Putin-Gegner entzückt. Die Amerikanerin Abby Martin kritisierte in der Nacht auf Dienstag die militärische Invasion auf der Krim: "Was Russland tat, ist falsch." Zudem kritisierte sie eine Berichterstattung über die Ukraine "voller Fehlinformationen" – ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Arbeitgeber. Russia Today schlug der Journalistin, die von Amerika aus berichtet, daraufhin vor, sich die Lage auf der Krim selbst anzuschauen.

Der Sender steht für seinen Nachrichtenstil seit Längerem in der Kritik. "Neue Standards in abstoßender Propaganda", so jüngst die Wertung des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski. Auch der Nachrichtensender euronews wirft Russia Today Propaganda vor. So werden die Zuschauer des Senders unterrichtet, die Regierung in Kiew werde von "Neonazis" dominiert. Russische Offizielle verteidigen diese Form mit dem Verweis, die westlichen Medien würden auch nicht objektiv berichten.

Der 2005 gegründete Sender hat rein rechtlich einen gemeinnützigen Status und wird durch russische Staatsgelder finanziert, er strahlt in englischer, spanischer und arabischer Sprache aus. Das Auslands- Image von Russland habe sich auf "Schnee, Kommunismus und Armut" beschränkt und sollte erweitert werden, so Svetlana Mironjuk, die erste Chefredakteurin. Seit 2009 wird die Kurzform RT genutzt, um den Fokus von Russland abzulenken.

In den USA erfolgreich

Russia Today ist von seinem Einfluss her ein Erfolgsprojekt. Nach eigenen Angaben werden 669 Millionen Menschen erreicht und 28 Prozent aller Nutzer von Kabelfernsehen weltweit. In Amerika ist RT heute dank seiner ungewohnt USA-kritischen Berichterstattung der beliebteste ausländische Nachrichtensender.

Was nun mit der Kurzzeit-Dissidentin Abby Martin geschieht, ist unklar. Das Angebot, auf die Krim zu fliegen, hat sie via Twitter abgelehnt. "Ich habe meinen Job behalten", sagte sie in der nächsten Sendung. Und lobte zugleich ihren Arbeitgeber für seine Liberalität. Schließlich habe noch kein amerikanischer Nachrichtensender gewagt, eine amerikanische Invasion zu kritisieren.

In Sewastopol ist laut Belgrader Medienberichten eine Freischärler-Gruppe aus Serbien eingetroffen. Es würde sich um Angehörige einer sogenannten Tschetniks-Bewegung handeln, die sich in der Hafenstadt nach Angaben ihres Anführers auf Einladung von Kosaken aufhält.

Während der Kriege der neunziger Jahre hätten viele russische Freiwillige an der serbischen Seite gekämpft. Nun sei es die Pflicht der Serben, in der Ukraine zu sein, wurde Milutin Malisic, der Befehlshaber der Einheit, die sich selbst als "Wölfe" bezeichnet, zitiert.

Unter Berufung auf Itar-Tass berichtete der Belgrader staatliche TV-Sender RTS am Abend, dass fünf serbische Freischärler an einem Kontrollpunkt an der Stadteinfahrt engagiert sein würden.

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