Kriegsflüchtlinge aus dem Kaukasus

Offizielle Stellen in Tschetschenien dementieren jede Verbindung zu Attentätern

Die tschetschenischen Behörden waren äußerst bemüht, möglichst rasch eine Verbindung der mutmaßlichen Attentäter von Boston in die Kaukasusrepublik zurückzuweisen. „Die Personen, die in Boston des Verbrechens beschuldigt werden, haben zu Tschetschenien keinerlei Beziehung“, so Alwi Karimow, Sprecher des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow. Die beiden Brüder Tamerlan und Dschochar Zarnajew hätten die Region bereits im Kindesalter verlassen.

Der Direktor der „Schule Nr. 1“ in Machatkala in der benachbarten Region Dagestan sagte, die Familie sei 2002 ausgereist. An die beiden Brüder könne er sich noch erinnern. Seitens des dagestanischen Innenministeriums hieß es am Freitag, dass man keinerlei Aufzeichnungen über Straftaten der Familie habe.

Motive unbekannt

Daraus ergibt sich eine Familiengeschichte, wie es Tausende gibt in der kriegsgeschüttelten Region: Erst die Flucht vor den Kriegswirren nach Dagestan, danach die Ausreise in die zentralasiatische Republik Kasachstan, wo viele von Stalin deportierte Tschetschenen bis Ende der 80er-Jahre gelebt hatten. Dann die Ausreise in die USA.

Die Motive der beiden mutmaßlichen Attentäter scheinen unbekannt, auch wenn ein islamistischer Hintergrund vermutet wird. Ebenso, ob es Hintermänner gab. Auch, ob das Duo mit einer tschetschenischen oder nicht tschetschenischen Organisation zusammengearbeitet hat.

Klar ist: Auch wenn der Krieg in der Kaukasusrepublik Tschetschenien faktisch beendet ist, Untergrundbewegungen sind nach wie vor in der Region aktiv – vermehrt jedoch in den Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien. Und sie verfolgen eine zunehmend radikal islamische Agenda, die sich am internationalen dschihaddistischen Mainstream orientiert und eine zunehmend pan-kaukasische Ausrichtung gegen Russland verfolgt. Stichwort: Das Kaukasische Emirat Doku Umarows, eine Organisation, der Verbindungen zu El Kaida nachgesagt wird. Zugleich existiert aber auch der nationalistische Flügel in der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung, der aber kaum noch militärisch aktiv ist. Nicht zuletzt, da seine Anführer zu einem großen Teil ins Ausland geflohen sind.

Klar ist aber auch: Was die Wahl ihrer Ziele anging, so hatten kaukasische Extremisten mit Verbindungen zu islamistischen Untergrundgruppen wie dem Kaukasischen Emirat eigentlich ausschließlich Russland im Visier. Wobei sie dabei nie zimperlich waren.

Aktivitäten tschetschenischer Extremisten im Ausland sind zwar dokumentiert, jedoch eher selten. Und wenn es um Attentate oder Pläne dafür ging, so handelte es sich erwiesenermaßen um Einzeltäter oder Individuen, die sich Organisationen angeschlossen hatten, die mit der tschetschenischen Sache an sich nichts am Hut hatten.

Einsätze in Syrien

Nur zuletzt wurde eine Beteiligung tschetschenischer Kämpfer im Bürgerkrieg in Syrien bemerkt. Zuvor gab es immer wieder sporadische Meldungen über Tschetschenen, die in Afghanistan oder in Somalia kämpften.

Was das Brüderpaar von Boston angeht, so kann man schon aus der Familiengeschichte schließen, dass sie wohl kaum schon im Kaukasus radikalisiert worden waren. Dass sie, wie berichtet, die Internetseiten kaukasischer Islamistengruppen verfolgten, ist zudem ein nur äußerst magerer Hinweis auf ihr Motiv. Und nur, dass es sich um Tschetschenen handelt, kann wohl kaum ein ausreichender Hinweis darauf sein, was im Kopf dieser jungen Männer vorgegangen ist.

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