Soziologe Knaus: Krieg entscheidet auch über EU
Der Ukraine-Krieg entscheidet nach Auffassung des österreichischen Soziologen und Migrationsforschers Gerald Knaus über die Zukunft der Europäischen Union. Es gehe jetzt darum, ob Macht wieder Recht breche oder ob Demokratien in Europa friedlich und gleichberechtigt nebeneinander leben und Grenzen durch Vernetzung und Integration überflüssig machen könnten, sagte Knaus am Mittwochabend bei der Auftaktveranstaltung des Philosophiefestivals Phil.Cologne in Köln.
Die Zeitenwende bestehe darin, die Vision von 1990 - ein Europa der Demokratien auf der Grundlage der Menschenrechte - entschlossen zu verteidigen. Das Narrativ des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei, dass das nach 1990 geschaffene Europa keinen Bestand habe. In seiner Vorstellungswelt gebe es nur Großmächte und Einflusssphären. Ein Gebilde wie die Europäische Union, in dem kleine Staaten und große Staaten friedlich zusammenlebten, eingebunden in Strukturen ohne imperiales Zentrum, sei in Putins Augen eine Absurdität, eine Fata Morgana. Deshalb habe er es auf die Zerstörung der EU angelegt.
EU-Wunsch durch Polen und Rumänien
Knaus sagte, der Wunsch der Ukraine nach einem schnellen EU-Beitritt sei ganz wesentlich durch das leuchtende Beispiel der Nachbarländer Polen und Rumänien ausgelöst worden. In Polen und Rumänien habe der EU-Beitritt einen dramatischen Aufholprozess in Gang gebracht. "Auf einmal wurden Straßen gebaut, auf einmal kamen in Rumänien Bürgermeister und dann ein Premierminister wegen Korruption ins Gefängnis." Das habe vor allem bei jungen Ukrainern ohne Verbindung zur alten Sowjetunion den sehnlichen Wunsch ausgelöst, ebenfalls Mitglied der EU zu werden.
"Wir wissen nicht, wie der Krieg ausgeht", gab Knaus zu bedenken. "Vielleicht macht (der ukrainische) Präsident Selenskij in einigen Monaten einen Frieden, wo er sagt: "Wir können das Territorium im Osten nicht zurückerobern." Aber dann ist es umso wichtiger, dass Europa jetzt ein Signal gibt: Das Territorium, die ukrainische Demokratie, die wir hier haben, die wollen wir als europäischen Verbündeten dabei haben. Mit der Perspektive, dass irgendwann auch ein demokratisches Russland dazukommen kann."
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