Nachrichtendienst: Russen geht Präzisionsmunition aus, Friedensgespräche laufen weiter

Nachrichtendienst: Russen geht Präzisionsmunition aus, Friedensgespräche laufen weiter
London veröffentlicht regelmäßig Informationen seines militärischen Nachrichtendienstes zum Verlauf des Kriegs in der Ukraine. Indes wird in Russland der "Tag des Sieges" gegen Hitler-Deutschland gefeiert.

Tag 74 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:

Schon seit Monaten veröffentlicht die britische Regierung in ungewöhnlich offener Art und Weise regelmäßig Informationen des militärischen Nachrichtendienstes zum Verlauf des russischen Angriffskriegs.

Gestern etwa berichtete das Verteidigungsministerium darüber, dass Russland aufgrund hoher Verluste jetzt ranghohe Kommandanten im Kampf einsetzen müsse. Was Risiken birgt, weil überproportional hohe Verluste unter den Offizieren in Kauf genommen werden, ohne dass diese Strategie zu besserer Moral an der Front führen würde. 

Präzisionsmunition geht zur Neige

Heute tat der Militärnachrichtendienst kund, dass der russische Vorrat an Präzisionsmunition mit Fortdauer der Kämpfe immer mehr zu Neige gehe und vermutlich bald erschöpft sei.

Entsprechend müssten die russischen Kampfeinheiten dann auf ältere Munitionsbestände zurückgreifen, die aber wiederum weniger zuverlässig und weniger genau seien und noch dazu leichter abgefangen werden könnten.

Die aktuell eingesetzten Präzisionswaffen könnten von Russland nicht so leicht ersetzt werden. Generell wurde durch die russische Invasion in der Ukraine klar, dass Russland nicht im Stande ist, Präzisionsschläge in großem Umfang vorzunehmen. Stattdessen würden die russischen Kämpfer wahllos und intensiv bombardieren - ohne Rücksicht auf zivile Opfer.

Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.

Ende März ging aus US-Geheimdienstinformationen hervor, dass Russland massive Probleme mit seinen präzisionsgelenkten Raketen haben würde.

Die Waffen kämen auf Ausfallquoten von bis zu 60 Prozent, sagten drei US-Regierungsvertreter, was erklären könnte, warum Russland in der Ukraine nicht jene raschen militärischen Erfolge feiern konnte, wie es vor seiner Invasion im Nachbarland geglaubt hatte. 

Friedensgespräche laufen weiter

Die Friedensgespräche mit der Ukraine gehen nach russischer Darstellung weiter. Sie seien nicht beendet worden, sondern würden aus der Ferne fortgesetzt, sagt der russische Chefunterhändler Wladimir Medinsky der Nachrichtenagentur Interfax.

Die russische Regierung hat der Ukraine vorgeworfen, die Gespräche ins Stocken gebracht zu haben und Berichte über Gräueltaten russischer Soldaten zu nutzen, um die Beratungen zu untergraben.

Russland bestreitet, dass es bei seinem sogenannten militärischen Sondereinsatz in der Ukraine auf die Zivilbevölkerung abzielt.

Raketen auf Odessa

In der Region Odessa im Süden der Ukraine sind nach Angaben des ukrainischen Militärs vier weitere Raketen eingeschlagen.

Es handle sich um Hochpräzisionsraketen vom Typ Onyx, die von der von Russland annektierten Halbinsel Krim aus abgeschossen worden seien. Weitere Details werden nicht genannt.

Schon in den Tagen zuvor, wurden zahlreiche Wohnhäuser durch Raketen zerstört.

60 Tote nach Luftangriff auf Schule

Nach mehreren Tagen ohne nennenswerte Fortschritte haben die russischen Truppen bei ihren Angriffen im Donbass-Gebiet nach ukrainischen Angaben wieder Geländegewinne erzielt. "Nach einem russischen Luftangriff auf eine Schule im Gebiet Luhansk am Sonntag sprechen die ukrainischen Behörden von 60 Toten.

Selenskij erklärte, dass es sich bei den etwa 60 getöteten Menschen um Zivilisten handle, die dort Unterschlupf gesucht hätten. Gouverneur Serhij Hajdaj hatte schon am Sonntagnachmittag die Befürchtung geäußert, dass es 60 Tote gegeben haben könnte. In der Schule in Bilohoriwka hätten 90 Menschen Unterschlupf gesucht, hatte er erklärt.

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Nach dem Angriff sei dort ein Feuer ausgebrochen. Nach dem Löschen des Brandes habe man 30 Menschen aus den Trümmern rettet können, sieben davon verletzt. Der Luftangriff ereignete sich laut dem Gouverneur der Region bereits am Samstagnachmittag. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres verurteilte die Tat.

Bilohoriwka ist eine städtische Siedlung etwa zehn Kilometer westlich von Lyssytschansk. Die Ortschaft ist schwer umkämpft. Wie die ukrainische Regionalverwaltung von Luhansk mitteilte, wurden bei russischem Beschuss Produktionsanlagen in einer Ölraffinerie in Lyssytschansk beschädigt. Das russische Verteidigungsministeriums erklärte, sechs Raketen- und Artillerielager in den Gebieten Luhansk, Donezk und Charkiw seien zerstört worden. Auf einem Bahnhof der Stadt Soledar seien Waffen und Militärausrüstung zerstört worden, die die Ukraine von den USA und anderen westlichen Staaten erhalten habe.

Selenski: "Sind Teil der freien Welt"

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sieht eine große Symbolkraft in den Reisen internationaler Prominenz in sein Land zum Jahrestag des Weltkriegsendes in Europa. "Der heutige Tag in der Ukraine hat gezeigt, dass wir bereits ein vollwertiger Teil der freien Welt und eines vereinten Europas sind", betonte Selenskij in seiner täglichen Videoansprache am Sonntagabend.

"Dies ist ein offensichtlicher Kontrast zu Moskaus Einsamkeit in Bösem und Hass, die morgen jeder sehen wird", sagte er in Anspielung auf die Feierlichkeiten zum "Tag des Sieges" über Hitler-Deutschland in der russischen Hauptstadt am Montag.

Prominenter Besuch am Sonntag

Am Sonntag hatten unter anderen US-Präsidentengattin Jill Biden, der kanadische Regierungschef Justin Trudeau und die U2-Musiker Bono und The Edge die Ukraine besucht. Selenskij sprach auch in einer Videokonferenz mit den Regierungschefs der G-7-Industrienationen.

"Russland hat alles vergessen, was für die Sieger im Zweiten Weltkrieg wichtig war", sagte der ukrainische Präsident. In einer besonderen Beleidigung für Moskau zog er erneut eine Parallele zwischen den russischen Angreifern und Nazi-Deutschland: "Ich bin all unseren Verteidigern dankbar, die die Ukraine verteidigen und vor den modernen Nachkommen dieses alten Übels retten." Schon zuvor hatte er den russischen Truppen vorgeworfen, sie hätten in der Ukraine "eine blutige Neuauflage des Nazismus organisiert".

Moskau feiert "Tag des Sieges"

Der Krieg in der Ukraine - nur eine Verteidigung Russlands gegen einen Angriff aus dem Westen. Das war die zentrale Botschaft der Rede Putins auf dem Roten Platz in Moskau am Montag. Kurz nach neun Uhr mitteleuropäischer Zeit begann der russische Präsident seine große Rede zum "Tag des Sieges" über Hitlerdeutschland, während die Panzer und Atomraketen in Paradeformation an ihm vorbeirollten.

G-7-Staaten vereinbaren Ausstieg aus russischem Öl

Die G-7-Staaten haben sich auf einen Ausstieg aus russischem Öl verständigt. Dies teilte das Weiße Haus am Sonntag in Washington mit. Demnach vereinbarten die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen in einer Videokonferenz weitere Sanktionen gegen den russischen Energiesektor. Der Gruppe gehören mit Deutschland, Frankreich und Italien auch drei führende EU-Staaten an.

Alles über die Entwicklungen im Kriegsgeschehen in der Ukraine, internationale Reaktionen und Sanktionen finden Sie in unserem Live-Ticker:

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