Russische Luftangriffe: Selenskij fordert erneut Luftabwehrsysteme

Kiew
Laut Selenskij verfügt Moskau über genug Raketen, um mehrere größere Angriffe vorzunehmen. Russische Oligarchen klagen indes in Luxemburg. Und in Kiew fließt wieder Wasser.

Tag 297 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:

Russland hat am Freitag zahlreiche Regionen der Ukraine mit den schwersten Raketenangriffen seit Wochen überzogen. In weiten Teilen des Landes herrschte Luftalarm. Auch in der Hauptstadt Kiew gab es nach dem Einsatz der Flugabwehr Berichte über Explosionen. Am Abend konterte Kiew mit Attacken in den russisch kontrollierten Regionen Donezk und Luhansk. Laut ukrainischem Präsidenten Wolodymyr Selenskij verfügt Moskau über genug Raketen, um mehrere größere Angriffe vorzunehmen.

"Worauf auch immer die Raketen-Anbeter aus Moskau hoffen, das wird das Kräfteverhältnis in diesem Krieg nicht ändern", sagte in seiner abendlichen Videoansprache. Und er sagte weiter: "Wir aber haben genug Entschlossenheit und Selbstvertrauen, um nach diesen Schlägen unsere eigenen auszuteilen." Bei ukrainischem Artilleriebeschuss auf Luhansk im Osten kamen nach Angaben der örtlichen Behörden mindestens elf Menschen ums Leben. Weitere 20 Menschen seien bei dem Angriff auf die Ortschaft Lantratowka verletzt worden, das Schicksal von 20 weiteren Personen sei ungewiss, berichtete die russische Staatsagentur TASS unter Berufung auf regionale Behörden. Bei dem Angriff seien eine Schule sowie mehrere Wohnhäuser getroffen und schwer beschädigt worden. Das ukrainische Militär habe dabei Raketenartillerie vom US-amerikanischen Typ Himars eingesetzt. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig prüfen.

Im Laufe des Tages war auch die benachbarte Region Donezk unter ukrainischen Artilleriebeschuss geraten. Dabei kam ein Mensch ums Leben, fünf weitere Personen wurden verletzt.

Donezk und Luhansk

Die von Moskau unterstützten abtrünnigen Regionen Donezk und Luhansk im Donbass hatten sich vor Jahren für unabhängig von Kiew erklärt. Inzwischen hat Russland die Regionen zusammen mit den anderen besetzten Teilen der Ukraine völkerrechtswidrig in sein Staatsgebiet integriert. Die Ukraine will diese Gebiete - und die bereits 2014 von Moskau annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim - wieder befreien.

Forderung nach Luftabwehrsystemen

Angesichts des erneuten massiven Beschusses der Infrastruktur seines Landes verstärkt der ukrainische Präsident seine Forderung nach Lieferung von Luftabwehrsystemen. Der Westen müsse gegenüber Russland "den Druck erhöhen", sagte der Staatschef in der Nacht zum Samstag in seiner täglichen Videoansprache. Sein Land benötige dringend Luftabwehrraketen.

Kiew möchte vom Westen sehr gern das hoch entwickelte Patriot-Luftabwehrsystem für seine Armee. Diesem Wunsch stand die NATO lange sehr zögerlich gegenüber. Inzwischen wollen die USA laut Medienberichten aber doch eines dieser Raketensysteme an die ukrainischen Truppen liefern. Eine offizielle Bestätigung dafür steht aber noch aus.

Angriffe auf Infrastruktur

Russland greift seit Wochen regelmäßig die Energie-Infrastruktur der Ukraine an. Millionen Menschen sind deshalb bei Minusgraden ohne Strom und Heizung. Laut dem staatlichen Energieversorger Ukrenergo ist etwa die Hälfte des ukrainischen Stromnetzes schwer beschädigt.

 

Klitschko: Wasser läuft wieder in Kiew

Nach Russlands Raketenangriffen auf die Energie-Infrastruktur der Ukraine ist die Wasserversorgung für alle Einwohner der Hauptstadt Kiew nach Angaben von Bürgermeister Vitali Klitschko indes wiederhergestellt. Die Hälfte der Bürger habe auch wieder Heizung, teilte Klitschko am Samstag in seinem Kanal im Nachrichtendienst Telegram mit. „Wir arbeiten daran, die Heizung für alle Bürger der Stadt wiederherzustellen“, sagte er. Zwei Drittel der Bewohner hätten auch wieder Strom. Trotzdem gebe es weiter Notfallabschaltungen, weil das Stromdefizit bedeutend sei. Die Menschen wurden zudem zum Energiesparen aufgerufen.

Auch die Metro habe am Morgen ihren Betrieb wieder aufgenommen, teilte Klitschko weiter mit. Russland hatte am Freitag Kiew und viele andere Regionen der Ukraine mit neuen Raketenangriffen überzogen, die zu den schwersten seit Beginn dieser Attacken auf die Energieanlagen des Landes am 10. Oktober gehörten. Die ukrainische Luftverteidigung fing Dutzende Raketen ab. Um sich noch besser zu schützen, fordert Kiew allerdings noch modernere Flugabwehrsysteme vom Westen.

Neue EU-Sanktionen gegen Russland in Kraft

Das neunte EU-Paket mit Sanktionen gegen Russland wegen des Kriegs gegen die Ukraine ist indes in Kraft getreten. Wie aus den am Freitagabend im EU-Amtsblatt veröffentlichen Rechtstexten hervorgeht, belegt die EU weitere 141 Personen und 49 Einrichtungen mit Vermögenssperren und Einreiseverboten. Unter ihnen sind etwa mehrere stellvertretende russische Ministerpräsidenten, Minister sowie Unternehmen aus der Rüstungs- und Automobilindustrie.

Klagewelle der Oligarchen

Nach der Ankündigung verzeichnet der EU-Gerichtshof einem Medienbericht zufolge eine Klagewelle russischer und belarussischer Oligarchen und Unternehmen. Wie die deutsche Zeitung Bild (Samstag) berichtet, sind derzeit 61 Klagen von sanktionierten Personen und Unternehmen in Luxemburg anhängig. Die Kläger wehrten sich gegen den Vorwurf, Russlands Präsident Wladimir Putin und seinen Krieg gegen die Ukraine politisch oder finanziell zu unterstützen. Außerdem werfen sie dem Bericht zufolge der EU vor, mit dem Einfrieren von Vermögen und Einreisesperren unverhältnismäßig in ihre Grundrechte und ihr Eigentum eingegriffen zu haben.

Putin berät mit Militärkommandeuren über Ukraine

Der russische Präsident Wladimir Putin hat indes am Freitag von den Kommandeuren der Streitkräfte Vorschläge für das weitere Vorgehen in der Ukraine gefordert. Dies habe Putin am Freitag bei Beratungen im Hauptquartier der Einsatzführung der militärischen Spezialoperation, wie Russland den Krieg gegen die Ukraine bezeichnet, erklärt, melden die russischen Nachrichtenagenturen Tass und Interfax. Putin habe den gesamten Freitag in dem Hauptquartier verbracht, sagte sein Sprecher Dmitri Peskow zu Interfax. Weitere Einzelheiten über Putins Besuch dort wurden nicht bekanntgegeben.

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