Interview: Das Kräftemessen der Kalten Krieger
Es ist unübersehbar: Die Konfrontation zwischen West und Ost spitzt sich zu. Die USA sorgen für Verunsicherung, indem sie in der Nuklearstrategie 2018 im Falle einer extremen, auch nicht-atomaren Bedrohung einen nuklearen Erstschlag nicht mehr ausschließen. Russland lässt aufhorchen, indem es wenig später martialisch verkündet, dass seine modernsten Raketen nicht abgefangen werden können.
In Syrien tobt ein Bürgerkrieg, der zugleich ein regionaler Stellvertreterkrieg ist und in dem Russland und die USA mitmischen.
China rüstet sich derweil für eine Auseinandersetzung im südchinesischen Meer, um den Einfluss der USA zurückzudrängen.
Und das mühsam errungene Nuklearabkommen mit dem Iran droht auf Drängen Washingtons und nach dem Rauswurf von US-Außenminister Rex Tillerson nun tatsächlich aufgekündigt zu werden.
Die Rüstungsspirale dreht sich: Weltweit ist Aufrüstung angesagt – laut dem Stockholmer Forschungsinstitut SIPRI sind die globalen Rüstungsausgaben seit 2013 um sagenhafte zehn Prozent gestiegen.
KURIER: Herr Brigadier, es geht die Angst vor einer Rückkehr des Kalten Krieges um. Zu Recht?
Walter Feichtinger: Dafür müssen wir uns die Ära von 1945 bis 1990 und die fünf wesentlichen Merkmale des Kalten Krieges ansehen, die da sind: ideologische Konkurrenz, bipolare Weltordnung, gegenseitige Eindämmungsstrategie, Stellvertreterkriege sowie Wettrüsten und atomare Abschreckung:
1. Die alles überragende Grundlage der Auseinandersetzung zwischen Ost und West war ideologischer Natur: Kommunismus gegen Kapitalismus, Planwirtschaft gegen Demokratie und freie Marktwirtschaft. Es entstanden zwei Machtblöcke mit den Zentren Moskau (Sowjetunion und Satellitenstaaten) und Washington („der Westen“).
2. Damit war das bipolare System geschaffen. Militärischen Niederschlag fand dieses in der erbitterten Konkurrenz zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt.
3. Beide Mächte wollten ihren Einflussbereich ausweiten und unter Anwendung der Eindämmungsstrategie den Gegner aus geopolitisch bedeutenden Regionen oder Staaten fernhalten oder zurückdrängen.
4. Deren logische Folge waren die zahlreichen Stellvertreterkriege, die auf allen Kontinenten ausgetragen wurden. Sie erstreckten sich von Asien ausgehend (Korea, Vietnam) auf den afrikanischen Kontinent (z. B. Angola, Mozambique) bis nach Südamerika (z. B. El Salvador). Die Kubakrise und der sowjetische Einmarsch in Afghanistan können als Höhepunkte der Konfrontation der Großmächte außerhalb Europas gewertet werden. Am stärksten zeigte sich die Gegnerschaft aber jedenfalls in der Teilung Deutschlands und dem Bau der Berliner Mauer 1961.
5. Begleitet wurde diese Entwicklung von einem massiven Wettrüsten im konventionellen wie atomaren Bereich. Das Gleichgewicht des Schreckens mit mehrfacher gegenseitiger Vernichtungskapazität war die Ultima Ratio, die einen atomaren Erstschlag einer Seite durch die eigene Zweitschlagfähigkeit verhindern sollte.
Wie kam man aus der Spirale wieder raus?
Ab 1968 kam Bewegung in die nukleare Rüstungskontrolle, in den 1980er-Jahren verständigte man sich in Europa auf Obergrenzen und den Abbau von Personal und Waffensystemen. Voraussetzung dafür war ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen – jenes Vertrauen, das in den letzten Jahren Russland und dem Westen abhandengekommen ist.
Und heute?
Heute erleben wir eine multipolare Welt mit den bedeutendsten Akteuren USA, China, Russland und Indien. Aus der ideologischen Konkurrenz von zwei Machtblöcken ist ein geopolitischer und ökonomischer Wettstreit von zumindest drei Mächten geworden. Dass dabei das liberale System der USA den autoritären Systemen Russlands und Chinas gegenübersteht spielt eher eine untergeordnete Rolle – es geht viel stärker um Macht als um Ideologie. Europa kommt hier trotz seiner ökonomischen Position keine besondere Bedeutung zu, viele fragen sich jedoch, ob die USA noch bereit sind, Europa wie zur Zeit des Kalten Krieges militärisch zu verteidigen.
Droht eine militärische Eskalation in großem Stil?
Diese Gefahr scheint geringer zu sein als während der 1960er- und 1970er-Jahre. Allerdings hat Russland in Georgien 2008 und in der Ukraine 2014 bewiesen, dass es vor militärischen Operationen kleineren Umfangs nicht zurückschreckt, wenn es seine strategischen Interessen gefährdet sieht. Der Kreml hat damit der Erweiterung von EU und NATO einen Riegel vorgeschoben – eine klassische Eindämmungsstrategie.
Neben seiner Entschlossenheit demonstrierte Präsident Putin dabei auch die erfolgreiche Reform seiner Streitkräfte und die Bereitschaft, völkerrechtliche Bestimmungen einseitig auszulegen. Verstärkend wirkten Elemente einer hybriden Kriegführung mit Cyber angriffen, politischer Einflussnahme über soziale Medien oder der Instrumentalisierung ethnischer Minderheiten.
Russland hat die Spirale in Gang gesetzt?
Man darf nicht vergessen, das Russland sich seit Längerem durch die Erweiterungspolitik von NATO und EU gefährdet sieht. Das entschlossene Vorgehen Moskaus führte im Westen wiederum zu Verunsicherung, Ängsten und tiefem Misstrauen – die „idealen“ Voraussetzungen für eine Aufrüstung. Europa und USA reagierten mit einer Verstärkung ihrer militärischen Kräfte an den Grenzen gegenüber Russland, um weiteren Vorstößen vorzubeugen – der Versuch einer Abhaltestrategie. All das erinnert in Verhalten und Rhetorik fatal an den Kalten Krieg. Zwischen Russland und dem Westen ist wieder eine Eiszeit ausgebrochen.
Stellvertreterkriege erleben wir ebenfalls ...
Der blutige Bürgerkrieg in Syrien kann mittlerweile so bezeichnet werden mit der Besonderheit, dass es sich auch um eine regionale Auseinandersetzung zwischen Saudi-Arabien und Iran handelt. Während Moskau Syriens Präsidenten Assad unterstützt engagiert sich Washington auf Seite der Kurden.
In der Ukraine wiederum hat Russland die Krim annektiert und stärkt den Rebellen im Donbass den Rücken, während die USA Kiew unterstützen und im Rahmen der NATO Flagge gegenüber Russland zeigt.
Wie sehen Sie die steigenden Rüstungskosten?
Das Misstrauen zwischen Moskau und dem Westen treibt die Rüstungsspirale an. Es fragt sich, wohin der aktuelle Anstieg an Rüstungsgütern führ – soll er nur demonstrativ Machtansprüche unterlegen oder weist er doch den Weg zu kleinen oder größeren militärischen Auseinandersetzungen, vielleicht gar zu umfangreichen Kriegen?
Die angestrebte Verfügbarkeit von taktischen nuklearen Systemen mit deutlich reduzierter Sprengkraft könnte zu mehr Abschreckungspotenzial führen. Aber sie würden auch die Unberechenbarkeit fördern und die Einsatzschwelle senken – eine riskante Entwicklung. Und im Gegensatz zu früher verfügen neben den offiziellen Atommächten auch Indien, Pakistan und Israel über Atomwaffen. Die jüngste, verarmte, isolierte und diktatorisch geführte Atommacht Nordkorea droht sogar, mit seinem kleinen, unbestätigten Arsenal von vielleicht zehn Nuklearsprengköpfen die Supermacht USA anzugreifen. Diese Eskalation erscheint unwahrscheinlich. Nordkoreas strategisches Kalkül ist laut den Erkenntnissen, als Atommacht wahrgenommen zu werden und dadurch externe militärische Interventionen zu verhindern.
Und China? Welche Rolle spielt Peking?
Mit China ist ein dritter Akteur hinzugekommen, der vielleicht in wenigen Jahren bereit und fähig ist, als globale Ordnungsmacht aufzutreten. Ob dann aus einem „Zweikampf“ ein Dreikampf“ wird, sei dahingestellt.
China hält sich eher bedeckt, strebt nach ökonomischer Vormacht und tritt als „soft-power“ global in Erscheinung. Aber zuletzt hat Präsident Xi „Chinas Feinden“ mit einem „blutigen Kampf“ gedroht und den Aufbau einer „Weltklasse-Armee“ angekündigt. In seinem Vorhof, im südchinesischen Meer, setzt Peking vermehrt auf militärische Stärke, baut systematisch Stützpunkte aus, will den US-Einfluss in der Region zurückdrängen und die Kontrolle übernehmen. China möchte 2050 auf Augenhöhe mit den USA sein. Militärische Konfrontationen sind dabei nicht ausgeschlossen, ein großer Krieg zeichnet sich aber auch hier nicht ab.
Befinden wir uns also im Kalten Krieg 2.0?
Wir befinden uns in einem Kalten Krieg „light“. Es würde viel Einsicht und Mühe erfordern, den Schritt in Richtung weiterer Eskalationen zu verhindern. Gerade im Verhältnis zwischen Russland und Europa wäre es dringend notwendig, wieder Gesprächskanäle und den Weg zur Entspannung zu finden. Beunruhigend ist auch, dass im geopolitischen Wettstreit der großen drei die Vereinten Nationen und internationale Organisationen ins Hintertreffen geraten. In einer multipolaren Welt wird mit bilateralen Abkommen wie zur Zeit des Kalten Krieges aber nicht mehr das Auslangen zu finden sein.
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