Wahlbeben in Dänemark: Europas rote Ikone verblasst
122 Jahre, das ist sogar noch länger, als Wien schon rot regiert wird. Seit 1903 galt in Dänemark das ungeschriebene Gesetz, dass Kopenhagen eine sozialdemokratische Stadt ist.
Damit ist es nun vorbei: Am Dienstag fuhr die stolze dänische Arbeiterpartei bei den Regionalwahlen eine historische Niederlage ein. Die Landeshauptstadt wird künftig von der Grün-Linken regiert, die Sozialdemokraten landeten mit etwas mehr als 12 Prozent sogar abgeschlagen auf Platz drei.
Für viele Europäer ist Frederiksen eine Ikone
Zu tun hat diese Schlappe nicht nur mit kommunalpolitischen Problemen. Zwar haben die Kopenhagener Roten sich selbst einiges zuzuschreiben, 2020 etwa musste der damalige Bürgermeister wegen Sexismus-Vorwürfen den Hut nehmen und auch die nachgerückte Parteikollegin war nicht gerade beliebt.
Im Wahlkampf der letzten Monate hatte aber die Bundespolitik die Hauptrolle gespielt. Die Sozialdemokraten lenken nämlich seit 2019 auch die Geschicke des Landes, und das mit ordentlich Strahlkraft: Premierministerin Mette Frederiksen gilt bei Europas Roten gleichsam als Ikone, weil sie neben Spaniens Roten die einzige Genossin ist, die sich in den letzten Jahren im Amt halten konnte. Mehr noch: Während viele andere Sozialdemokraten in Europa spektakulär abgewählt und von Rechtspopulisten verdrängt wurden, konnte die 48-Jährige mit ihrem harten Migrationskurs die dänischen Rechten kleinhalten.
Die neue Oberbürgermeisterin Sisse Marie Welling (Mitte) von der Grün-Linken mit der Zweitplatzierten Line Barfod von der Einheitsliste und Karoline Lindgaard (l) von der Alternative.
Linksrutsch durch explodierende Wohnkosten
Die Nebenwirkungen dieser Politik bekam die Arbeiterpartei nun aber auf dem Stimmzettel präsentiert. Kopenhagen, das die Sozialdemokraten einst von einer Arbeiter-dominierten Hafenstadt zu einer liberalen Wirtschaftsmetropole umformten, wählte nämlich deutlich linker als bisher; nach der künftig regierenden Grün-Links-Partei schaffte es die dunkelrote Einheitsliste auf Platz zwei.
Beide Parteien hatten zum Thema gemacht, was Frederiksen mit dem Fokus auf Migration vernachlässigte, etwa klassisch linke Kampfgebiete wie massiv steigende Wohnkosten. Die durchschnittlichen Quadratmeterpreise in Kopenhagen sind nämlich um 20 Prozent gestiegen – und das nur im letzten Jahr.
Freunderlwirtschaft
Angestammte sozialdemokratische Wähler könnten sich so das Leben in ihrer eigenen Stadt nicht mehr leisten, warnten politische Kommentatoren schon vor der Wahl. Danach warfen sie Frederiksen darum Fehleinschätzungen und eine gewisse Abgehobenheit vor: Sie hatte mit Pernille Rosenkrantz-Theil nämlich nicht nur eine persönliche Freundin, mit der sie sich ein Sommerhaus teilte, ins Rennen geschickt, was ihr als Freunderlwirtschaft ausgelegt worden war. Rosenkrantz-Theil war bis 2024 auch Ministerin für Wohnbau – und hatte schon während ihrer Amtszeit keine Ideen gegen die Wohnungskrise gehabt.
Entfremdung als Problem
Dass sie im Wahlkampf dann plötzlich ihr Herz für Autofahrer für sich entdeckte und den Bau neuer Parkplätze versprach, demonstrierte die Entfremdung der Partei von ihrer Basis wie selten zuvor. Es sei ein „sozialdemokratisches Recht“, ein Auto zu haben und damit auch einen Parkplatz, argumentierte sie – gegen allen Widerstand.
Für Frederiksen könnte das zum gravierenden Problem werden. Im kommenden Jahr wird auch das Parlament, das Folketing, neu gewählt, und sie steckt mit ihrem rechten Kurs in einem Dilemma: Initiativen wie das Ghettogesetz, das die Absiedelung „nicht-westlicher“ Familien aus mehrheitlich von Zuwanderern bewohnten Vierteln vorsieht, verschrecken in urbanen Regionen mehr und mehr Wähler. In ruralen Gebieten hatte sie damit zwar Erfolg, doch auch der ist nicht mehr sicher: In Jütland konnten die rechtspopulistischen Dänemarkdemokraten bei der Wahl am Dienstag deutliche Gewinne einfahren; die Partei hat nun mehr Sitze als Kandidaten.
Gut möglich, dass Frederiksen kommendes Jahr die Wähler nach links und rechts weglaufen. Sie selbst sagte, sie „übernehme als Parteichefin Verantwortung“ für den Misserfolg. Für das einflussreiche Blatt Politiken ist es damit nicht getan: Dort fragt man sich, ob die einst beliebteste Politikerin des Landes mittlerweile selbst „zum Problem für ihre Partei“ geworden sei – und ob das nicht der Anfang vom Ende ihrer Karriere ist.
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