Die Skandalnacht wird zum Stresstest für Deutschland

Demonstranten vor dem Kölner Dom
Die Vorfälle in Köln stellen Merkels Flüchtlingspolitik auf die Probe – Bürger greifen zur Selbsthilfe.

Eigentlich ist Angela Merkel bekannt dafür, erstmal abzuwarten. Nach der Skandalnacht in Köln reagierte sie allerdings nicht nur schnell, sondern auch ungewohnt drastisch: "Widerwärtig" sei das, was geschehen sei, der Staat werde "das nicht hinnehmen", sagte sie da. Und, dass sich "Fragen stellen, die über Köln hinausgehen".

Wen diese Fragen betreffen, daran lässt der gesamte politische Diskurs derzeit keine Zweifel: Merkel selbst – ihre Flüchtlingspolitik, die deutsche Willkommenskultur, wird durch Köln auf die Probe gestellt. Und das nicht nur, weil die Täter Migranten, vielleicht auch Flüchtlinge gewesen sein dürften, sondern auch, weil die Polizei diesen Umstand nicht kommuniziert hat (mehr dazu hier).

Vorwärtsverteidigung

Merkel ist deshalb gleich selbst vorgeprescht. Sie ließ einen Entwurf präsentieren, der eine weitere Verschärfung des Asylrechts vorsieht – Flüchtlingen und Asylwerbern soll ihr Status umgehend aberkannt werden, wenn sie zu einer Strafe ohne Bewährung verurteilt werden. CDU-Innenminister Thomas de Maizière dachte parallel dazu laut darüber nach, die Abschiebeverbote nach Syrien und in den Irak aufzuheben.

Und auch die SPD stimmte in den Chor der harten Töne mit ein: "Warum sollen deutsche Steuerzahler ausländischen Kriminellen die Haftzeit bezahlen?", fragte sich Vizekanzler Sigmar Gabriel in der Bildzeitung – Asylwerbern müsse damit gedroht werden, nach einer Straftat in ein Gefängnis in ihrem Heimatland zu kommen, so der SPD-Chef.

Es hat den Anschein, als habe sich durch Köln etwas Grundlegendes verschoben. Im politischen Betrieb hört man plötzlich Töne, die noch vor einigen Monaten undenkbar gewesen wären – Gabriels Forderung, die Schleierfahndung deutschlandweit einzuführen, etwa: Als die CSU im Frühsommer darauf drängte, die anlasslosen Personenkontrollen auszuweiten, hatte sich die SPD noch mit aller Kraft dagegengestemmt.

Grüne Ordnungsrufe

Jetzt, nach den Vorfällen von Köln, kommt der Ruf nach Sicherheit und Ordnung selbst von linken Parteien. Plötzlich fordern die Grünen eine Aufstockung der Exekutive und ein Vorgehen mit der "vollen Härte des Gesetzes". Versehen wird dies aber auch mit dem Hinweis darauf, dass in der ganzen Debatte eines vergessen wird – die Opfer. "So zu tun, als wären die Vorfälle aus der Silvesternacht die ersten Ausbrüche sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft, ist falsch", sagte Claudia Roth, die ehemalige Bundesvorsitzende der Partei, in einem Interview mit der Welt. Die Konzentration auf die Herkunft der Täter führe im Internet nur zu einer "Jagd auf nicht weiße Menschen".

Tatsächlich finden sich im Netz vielfach Meinungen, die jenseits des strafrechtlichen Rahmens liegen. Befeuert wird diese in die Schieflage geratene Debatte aber auch von der Politik selbst – vor allem aus den Reihen der AfD, die schon vor Köln von "Angsträumen für blonde Frauen" fabulierte. Jetzt verglich Parteichefin Frauke Petry die Vorfälle in Köln mit dem Jahr 1945: "Massenhafter Missbrauch in Köln erinnert an rechtlose Zustände zum Kriegsende", schrieb sie.

Bürger-Patrouillen

Die Verschärfung der Wortwahl in der Regierung mag eine Reaktion genau darauf sein. Man will sich das Wasser nicht von rechts abgraben lassen; zugleich versucht die Politik, die Angst der Bürger aufzufangen. Denn vielerorts wird zur Selbsthilfe aufgerufen: In Düsseldorf hat sich eine Bürgerwehr gebildet, die am heutigen Samstag das erste Mal zusammentreffen will – mehr als 9000 Mitglieder zählt die Facebook-Gruppe "Düsseldorf passt auf", die laut eigener Auskunft die Stadt "für unsere Damen" sicherer machen will. Die Polizei blickt mit Sorge darauf – ebenso wie auf die massiv angestiegenen Verkäufe von Pfeffersprays. Sogar den Verband der Waffenhändler lässt diese Entwicklung sorgenvoll zurück – denn in Deutschland ist der Einsatz der Sprays nur bei Tieren zugelassen.

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