Goodbye Kohle: Großbritanniens letztes Kohlekraftwerk wurde abgedreht
Stetiger, grau-weißer Rauch, der aus riesigen Trichtern wabert, sich mit den Wolken vermengt und in der Atmosphäre verschwindet. 57 Jahre lange haben die acht Kühltürme im nordenglischen Ratcliffe-on-Soar die Landschaft geprägt. Am Montag wurden die verbleibenden 170 Mitarbeiter (von einst 3.000) in die Kantine geladen. Im Live-Stream konnten sie verfolgen, wie die Generatoren ein allerletztes Mal abgedreht wurden.
Mit der Industrieanlage in Nottinghamshire wurde das letzte, noch aktive Kohlekraftwerk im ganzen Land abgedreht. Seit 2013 waren die letzten zwölf Kraftwerke sukzessive stillgelegt worden.
„Die Kohle verschwindet langsam und wir wissen, dass keine mehr kommt“, meinte Elektroingenieur Richard Montgomery Montagnachmittag zur BBC. „Da steigen schon die Emotionen.“ Auch seine Kollegin Chris Smith, die das Umweltteam des Kraftwerks leitete, war mitgenommen: „Wir haben so hart daran gearbeitet, das Kraftwerk zum saubersten zu machen.“ Doch sie weiß, dass es der richtige Zeitpunkt war.
Amerika weiß Bescheid
Der Moment war nicht nur historisch für das Land, sagte Bryony Worthington, die den Clean-Energy Think-Tank Ember leitet und jenen Klimapakt mitgestaltet hat, der seit 2008 den Abbau der Kohleenergie vorantreibt. Im Gespräch mit Radio 4 ergänzt sie: „Diese Geschichte hat globale Auswirkungen.“ Sie sei gerade in Kalifornien und habe soeben den früheren Vizepräsident Al Gore getroffen. „Auch er wusste Bescheid.“
Denn Großbritannien, die Geburtsstätte der Industriellen Revolution, hat 1882 nicht nur als allererstes ein Kohlekraftwerk in Betrieb genommen, das Holborn Viadukt Kraftwerk von Erfinder Thomas Edison. Es ist nun die erste G7-Nation und die erste große Wirtschaftsmacht, die sich tatsächlich von dieser Energiequelle verabschiedet.
(Österreich hatte 2020 sein letztes Kohlekraftwerk in Mellach zwischenzeitlich stillgelegt. Vor zwei Jahren wurde es aufgrund der geopolitischen Lage wieder in Betrieb genommen.)
Pionier von Anfang bis Ende
Mit dem Rückzug, meint Bryony Worthington, nehme Großbritannien einmal mehr ein Pionierrolle ein.
Dennoch kann sich das Land nicht nur rühmen. Kohle gilt als schmutzigster fossiler Brennstoff, der bei der Verbrennung die meisten Treibhausgase erzeugt. In Rekordzeiten gab es 250 Kühltürme im Land, zwischen 1882 und 2024 hat das Vereinigte Königreich laut Klimaschutz-Plattform Carbon Brief 4,5 Milliarden Tonnen Kohle verbrannt und 10,4 Milliarden Kohlendioxid ausgestoßen. Wären die Kohlekraftwerke des Vereinigten Königreichs ein Land, rechnet die Plattform vor, hätten sie den 28. größten kumulierten Ausstoß an fossilen Brennstoffen in der Welt.
Nun möchte Großbritannien jedenfalls bis 2030 auf Treibhausgase im Energienetz komplett verzichten und den landesweiten Ausstoß um 68 Prozent reduzieren.
Labour forciert grüne Projekte
Die neue Regierung ist dazu auf einem guten Weg. Labour hat in den ersten zwei Monaten mehr grüne Maßnahmen ergriffen als Rishi Sunak in seiner gesamten Amtszeit. Den privaten Wasserfirmen wird strenger auf die Finger geschaut, Öl- und Gaslizenzen wurden gestoppt, On- und Offshore-Windfarmen erhielten grünes Licht und mit Great British Energy ein staatliches Unternehmen für erneuerbare Energien gegründet gegründet.
Und doch liegt vor Keir Starmer eine Mammutaufgabe. Das Klimawandel-Komitee CCC hat in seinem aktuellen Bericht herausgearbeitet, dass sich bis 2030 die Offshore-Windenergie verdreifachen, die Onshore-Windenergie verdoppeln, die Solaranlagen verfünffachen und die Verwendung von Wärmepumpen verzehnfachen muss.
In Ratcliffe-on-Soar werden die 170 Mitarbeiter unterdessen noch zwei Jahre lang beschäftigt. So lang wird es dauern, bis Englands letztes Kohlekraftwerk komplett stillgelegt ist.
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