Klitschkos Titelkampf
Klitschko, Jazenjuk, Tjahnybok“ schreit einer auf der Bühne im Protestlager in Kiew und richtet die Frage an die Masse: „Wer soll regieren nach Janukowitsch?“ Die Menschenmenge antwortet mit Schweigen.
Arseni Jazenjuk könnte man als Nachlassverwalter der inhaftierten Julia Timoschenko bezeichnen, er führt heute ihre Partei; Oleh Tjahnibok ist Chef der weit, weit rechts stehenden Partei Swoboda und als solcher durchaus umstritten. Und Witali Klitschko? Der hat zwar einen Prominentenbonus, und seine Partei ist mit 13 Prozent die drittstärkste Kraft im Parlament, aber wofür er steht und was er vor hat, weiß niemand so recht.
Misstrauensvotum
Vor Demonstranten kündigte Klitschko am Montag ein Misstrauensvotum gegen Präsident Janukowitsch an. Am Dienstag wird im Parlament über Regierungschef Nikolai Asarow abgestimmt. „Eure große Zahl und eure Stimmung geben uns Entschlossenheit – wir werden nicht innehalten“, sagte er und rief die Menschen dazu auf, die Blockade von Regierungsgebäuden fortzusetzen. Derzeit scheint es die Opposition vor allem darauf abgesehen zu haben, die dünne Parlamentsmehrheit der Regierung zu brechen, um so die Absetzung Janukowitschs zu erreichen. Dieser hatte einem Assoziierungsabkommen mit der EU die Unterzeichnung verweigert – Auslöser der jetzigen Krise.
„Ich habe ihn nicht gesehen“, berichtet ein Demonstrant in Kiew und meint Klitschko. Und der Aktivist betont ebenso wie viele andere: „Es ist auch egal.“ Die politischen Krisen der vergangenen Jahre haben das Vertrauen in die politische Elite ruiniert.
Petition
Und die Krise weitet sich aus. Während die Opposition Unterstützung aus dem Westen des Landes erhält, sind es Lokalparlamente im Osten, die sich jetzt ausdrücklich hinter die Regierung stellen. In einer Petition stellten sie sich hinter den harten Polizeieinsatz und fordern Berichten zufolge sogar noch mehr: den Einsatz der Armee.
Panzereinheiten sollen bereits aus dem Westen des Landes in das Umland um Kiew verlegt worden sein. Das, nachdem sich anscheinend einige aus dem Westen stammende Abteilungen der Polizei-Sondereinheit Berkut einer Verlegung nach Kiew verweigerten und reguläre Polizisten in Kiew zum Teil offen Oppositionellen geholfen haben.
In all dem riefen die drei einflussreichsten Kirchen der Ukraine nun zu Gewaltlosigkeit auf. Und ebenso sind die Führer der Opposition darum bemüht, die Demonstrierenden nach der Eskalation der letzten Tage mit mindestens 150 Verletzten auf Mäßigung einzuschwören – eine große Herausforderung, denn auch die Gegenseite mobilisiert: Am Montag wurde in Kiew ein Demonstrationszug für Janukowitsch gesichtet.
Angesichts der Proteste in der Ukraine hat der polnische Staatspräsident Komorowski am Montag den „Nationalen Sicherheitsrat“ einberufen, was eigentlich nur bei innerer oder äußerer Gefährdung des Staates geschieht. „Wir sollten derzeit gemeinsam verteidigen, was wir in der Ukraine bisher erreicht haben“, so Komorowski nach den Beratungen. Gemeint ist die bisherige West -Annäherung Kiews auf Warschauer Betreiben. Polen war und ist die treibende Kraft, die sich für ein EU-Freihandelsabkommen der Ukraine einsetzt.
Premier Donald Tusk wies darauf hin, dass seine Minister in ständigem Kontakt mit den Mitarbeitern von Präsident Janukowitsch seien. Tusk begrüßte die pro-europäischen Ziele der Demonstranten, verurteilte jedoch deren Gewalt. Auch hinter den Kulissen sollen polnische Diplomaten mit Kiew verhandeln,
Um die Lage zu beruhigen, will der polnische Staatspräsident Bronislaw Komorowski das Gespräch mit Janukowitsch suchen.
Schon während der „Orangenen Revolution“ war Polens Rolle entscheidend. Vor neun Jahren vermittelte der damalige Staatspräsident Polens, Aleksander Kwasniewski, zwischen Juschtschenko und Viktor Janukowitsch, um eine Wiederholung der gefälschten Präsidentschaftswahlen. Der charmante Linksliberale, der exzellent Russisch spricht, verhinderte somit wahrscheinlich ein Blutbad.
Die polnische Regierung hält sich mit offiziellen Statements derzeit zurück, was ihr von der Opposition und teils auch von den polnischen Medien vorgeworfen wird. Dort hat man mittlerweile Angst vor den Folgen von ausufernder Gewalt und setzt auf Deeskalation. Lukasz Wenerski, Osteuropa-Experte des proeuropäischen Warschauer „Instituts für öffentliche Angelegenheiten“, glaubt, dass sich vor allem die polnische Bevölkerung mit den Protestierenden solidarisieren sollte. Janukowitsch werde so schnell nicht aufgeben.
Als 2004 Hunderttausende das Stadtzentrum Kiews blockierten, um eine Wiederholung der Präsidentenwahl zu fordern, ausharrten und letztlich gewannen, floss kein Tropfen Blut. Der damals aus dem Amt scheidende Präsident Leonid Kutschma hatte verstanden, dass es sich für ihn nicht rechnet. 2013: Im Amt ist der, der damals Kutschma beerben hätte sollen und scheiterte; Viktor Janukowitsch, ein hölzern wirkender Nicht-Politiker mit mächtigen Hintermännern im ukrainischen Unternehmertum. Und die Prügelorgien der Sondereinheit Berkut der vergangenen Tage haben bewiesen, dass er anders denkt als Kutschma 2004. Die Frage ist jetzt: Wie weit ist er gewillt zu gehen? Die Frage ist aber auch: Wie lange schafft es die politische Führung der Opposition angesichts von Schlagstock- und Tränengaseinsatz Hunderttausende auf Gewaltlosigkeit einzuschwören?
Seit 2004 hat sich in der politischen Landschaft der Ukraine viel getan. Im gemäßigten, westlich gesinnten, demokratischen Lager hat sich Frust breitgemacht in der Folge des Scheiterns der Orangen Revolution. Es herrscht große Skepsis gegenüber allen politischen Eliten des Landes. In diesem Vakuum haben sich im Westen des Landes Ultranationalisten eine starke Basis erarbeitet – jedoch nur dort. Der jetzige Aufstand ist aber keine politische Bewegung – sondern viel eher ein Aufstand der Empörung.
Empörung gegenüber einem Präsidenten, der kaum Lenker des Landes ist. Das ist eher ein kleiner Kreis an milliardenschweren Unternehmern, die Interesse an guten, jetzt aber wegen des abgesagten Assoziierungsabkommens faktisch eingefrorenen, Beziehungen zur EU haben. Und so sehr dieser Kreis gerne schalten und walten möchte, so sehr bedrohen Unruhen seine Geschäfte. Im Augenblick steht die Ukraine am Scheideweg: Entweder es gibt eine Lösung oder eine Eskalation, die sehr heftig werden könnte.
Kommentare