Kissinger, der Pendeldiplomat

Former U.S. Secretary of State Henry Kissinger arrives with his wife Nancy for the state dinner hosted by U.S. President Barack Obama and first lady Michelle Obama for President of China Hu Jintao at the White House in Washington, January 19, 2011. REUTERS/Jonathan Ernst (UNITED STATES - Tags: POLITICS)
Der einst mächtigste Außenminister der Welt war der erste internationale Polit-Star.

Das Problem Europas hat er einmal so zusammengefasst: „Welche Telefonnummer hat Europa eigentlich?“ – soll heißen: ohne eine gemeinsame Politik und Stimme wird Europa immer kranken. An dieser Analyse hat sich bis heute wenig geändert.

Den ihm nachgesagten Hang zu schönen Frauen goss er, der in zweiter Ehe mit der einen Kopf größeren Nancy verheiratet ist, in zwei Sätze: „Das Schönste an den meisten Männern ist die Frau an ihrer Seite“ und „Macht ist das stärkste Aphrodisiakum“.

Und über den Kommunismus hat er ganze Traktate verfasst, mit dem Sukkus: „Kommunismus findet Zulauf nur dort, wo er nicht herrscht.“

Die Lust an der prägnanten Formulierung und Analyse hat Henry Kissinger, der Montag seinen 90er feiert und heute hoch bezahlte Vorträge hält, nicht verloren. Der Außenminister im Amerika der Siebzigerjahre unter Nixon und Ford war unbestritten der erste große Polit-Star auf dem internationalen Parkett. Und er war der wohl mächtigste Außenminister, den die Welt je hatte – obwohl nur dreieinhalb Jahre im Amt. Respektvoll anerkannt bei den einen, umstritten und verhasst bei seinen Kritikern.

Letztere werfen ihm unter anderem seine Schlüsselrolle bei der Bombardierung Kambodschas während des Vietnamkriegs vor, seine Rolle beim Militärputsch gegen Diktator Allende in Chile und seine „Täuschung“ beim Friedensabkommen mit Vietnam, das er als Sicherheitsberater Richard Nixons ausgehandelt hatte. Er erhielt dafür den Friedensnobelpreis (den sein Gegenspieler Le Duc Tho ablehnte), nur gab es keinen Frieden – zwei Jahre später eroberten die Kommunisten Saigon, die USA erlitten ihr Waterloo.

Deutsche Wurzeln

Aber das schmälert die Erfolge des Mannes mit der markant-sonoren Stimme nur marginal. Der Sohn deutsch-jüdischer Eltern, der im mittelfränkischen Fürth geboren wurde und 1938 in die USA emigrierte, machte nach seiner Rückkehr aus dem Weltkriegsdienst in Deutschland in Harvard eine rasante Karriere als Politikwissenschaftler und in der US-Administration.

Als Sicherheitsberater fädelte er 1971 mit zwei geheimen Reisen nach China Nixons Besuch in Peking und die Entspannung zwischen den beiden Staaten ein – das sollte zur Hochzeit des Kalten Krieges mit der Sowjetunion auch als Druckmittel gegen Moskau verstanden werden.

Mit Reisen dorthin bereitete er im selben Jahr das erste Abkommen zur Rüstungsbegrenzung zwischen den USA und der UdSSR vor – ein erster Versuch zur Entspannung zwischen den beiden Großmächten.

Und mit einer intensiven Reisediplomatie zwischen Israel, Ägypten und Syrien handelte er 1973/74 das Ende des Jom-Kippur-Krieges aus – das Wort „Pendeldiplomatie“ war geboren.

Macht und Affären

Kissinger galt stets als kühler Machtmensch, der nicht umsonst zu Metternich promoviert hatte. Dennoch war er, der sich 1977 aus dem politischen Leben weitgehend zurückzog, nicht nur wegen angeblicher Affären (mit Gina Lollobrigida oder Candice Bergen) ein Medienstar, der sich gerne im Blitzlicht bewegte. Und vergangenes Jahr seinem Fußballverein Fürth nach dem Wiederaufstieg in die erste Liga bei einem Heimspiel die Daumen drückte. Weil er seine deutschen Wurzeln nicht verleugnet, obwohl er sich durch und durch als Amerikaner bezeichnet. Was sich auch an einem weiteren Kissinger-Satz ermessen lässt: „Globalisierung ist nur ein anderes Wort für US-Herrschaft.“

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