Kiew stellt Demonstranten Ultimatum

Pro-russische Deomonstranten vor dem besetzten Verwaltungsgebäude im ostukrainischen Donezk
Die Eskalation im Osten des Landes schürt Ängste vor einem neuerlichen russischen Einschreiten.

Es sieht aus, wie ein und dasselbe Drehbuch – nur der Ort des Geschehens ist ein anderer. Oder ist es der zweite Akt eines Stückes, das längst nicht vorbei ist? Was auf der Krim vorexerziert worden war, zieht seine Kreise in der Festlandukraine: Besetzte Verwaltungsgebäude, die Ausrufung einer Republik, der Ruf nach Anschluss an Russland. Donezk, Lugansk und Charkiw sind jetzt die Schauplätze. In Charkiw wurde die Besetzung des Verwaltungsgebäudes vorerst beendet; in Donezk halten pro-russischen Demonstranten weiterhin das lokale Verwaltungsgebäude besetzt; und in Lugansk ist es das Hauptquartier des Geheimdienstes SBU, in dem sich Bewaffnete verschanzt haben.

Binnen 48 Stunden, so Innenminister Arsen Awakow werde der Konflikt in der Ostukraine gelöst sein. Sollten Gespräche scheitern, werde Gewalt eingesetzt. Militärtechnik und Einheiten wurden nach Lugansk verlegt.

Zumindest ein Entspannungssignal gibt es: 56 Personen, die in dem SBU-Gebäude in Lugansk festgehalten worden waren, wurden freigelassen. Von rund 60 Geiseln war zuvor die Rede gewesen. Ob, und wenn, wie viele Menschen sich noch in der Hand der Besetzer befinden, ist unklar. Laut Berichten von Freigelassenen sind die Besetzer in Besitz automatischer Waffen und haben das Gebäude vermint. Eine Lokalpolitikerin aus der Region, die nicht beim Namen genannt werden will, sagt über das, was sich in Lugansk anbahnt: "Wir werden sehen, ob das unser Franz-Ferdinand-Moment sein wird." Sie hegt die Befürchtung, dass eine Eskalation Moskau als Vorwand für eine militärische Intervention dienen könnte.

Lugansk liegt 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt im äußersten Osten der Ukraine. Die Region ist überwiegend von russophonen Ukrainern bewohnt, von denen viele den Machtwechsel in Kiew ablehnen.

In Kiew aber sieht man weniger unzufriedene Ukrainer als Quell der Probleme im Osten, als von Moskau orchestrierte Saboteure – eine Ansicht, die auch die USA unterstützen. US-Außenminister John Kerry forderte von Moskau zuletzt ein Ende der pro-russischen Agitation in der Ostukraine sowie einen Rückzug der Truppen von der Grenze. Hinter der Grenze stehen laut NATO zwischen 35.000 und 40.000 einsatzbereite russische Soldaten.

Kein Aufmarsch

Alles nur eine "antirussische Kampagne", heißt es seitens Russlands Außenministerium. Ein Aufmarsch finde nicht statt. Präsident Putin forderte die EU seinerseits auf, der Ukraine zu helfen. Die EU habe die neue Führung in Kiew anerkannt, ihr aber "nicht einen Dollar, nicht einen Euro" Hilfe geleistet. Die EU-Kommission beschloss am Mittwoch ihrerseits die Bildung einer Unterstützungsgruppe aus Experten, die Kiew bei der Umsetzung von Reformen helfen soll – diese würden den Weg frei machen für Finanzhilfen.

Moskau will der Ukraine – wieder mal – den Gashahn zudrehen. Außergewöhnliche Situationen würden außergewöhnliche Reaktionen verlangen, hieß es zur Begründung in einer Sondersitzung der russischen Regierung, die den Beschluss dazu gestern Abend im Beisein von Präsident Wladimir Putin fasste. Denn die Ukraine, die vor einem Staatsbankrott steht, schuldet Russland für bereits erfolgte Gaslieferungen über zwei Mrd. Dollar.

Die neue Führung in Kiew war schon vor der Krisensitzung in Moskau zum Angriff übergegangen. Energieminister Juri Prodan sagte nach einem Treffen mit EU-Energiekommissar Günter Oettinger, man werde erst zahlen, wenn Moskau zu neuen Preisverhandlungen bereit sei. Anderenfalls werde die Ukraine den Transit russischer Lieferungen für Europa aussetzen. So wie Anfang 2009: Auf dem Höhepunkt des Streits mit Moskau, das von der damals prowestlichen Führung der Ukraine Wucherpreise für russische Gaslieferungen verlangte, hatte Kiew für zwei Wochen die Durchleitung russischer Exporte Richtung Westen gestoppt.

Preise diktiert

Kiew stellt Demonstranten Ultimatum
Dann ließ sich die damalige Regierungschefin Julia Timoschenko von ihrem russischen Amtskollegen Wladimir Putin Preise diktieren, die zwar moderater, aber nach wie vor unverhältnismäßig hoch waren: 485 Dollar für tausend Kubikmeter. Als Viktor Janukowitsch 2010 Präsident wurde, handelte er mit Russland Freundschaftspreise aus: 268 Dollar pro 1000 Kubikmeter – als Gegenleistung für die Verlängerung der Verträge für die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim.Doch die sind nach dem Beitritt der Schwarzmeer-Halbinsel zur Russischen Föderation obsolet. Zumindest aus Sicht des Parlaments in Moskau, das damit dem Staatskonzern Gazprom die Vorlage für die einseitige Kündigung der Rabatte lieferte. Kiew soll nun erneut fast 500 Dollar für 1000 berappen. Europa kommt im Vergleich dazu viel günstiger weg.Gazprom begründete das Preisgefälle mit westlicher Beteiligung am Bau von Leitungen: etwa die Ostsee-Pipeline Nordstream. Seit sie 2011 ans Netz ging, hat sich die Abhängigkeit Europas vom Transit durch die Ukraine wesentlich verringert. Ungarn, Polen, die Slowakei, aber auch Österreich dagegen hängen nach wie vor am Kiewer Tropf. Und mit diesem Ass im Ärmel will die dortige Übergangsregierung pokern, wie man in Moskau befürchtet. Mit drohenden Lieferausfällen könnte Kiew massiv Druck auf Europa ausüben, auf eine härtere Gangart gegenüber Russland umzuschwenken.

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