Kiew macht Zugeständnisse
Eingeständnis um Eingeständnis lässt die Führung in Moskau nun tröpfeln: Nachdem Russlands Staatschef Wladimir Putin bei seiner TV-Fragestunde am Donnerstag eingestanden hatte, dass bei der Annexion der Krim russische Soldaten im Einsatz waren, bestätigte sein Sprecher am Samstag nun eine Verstärkung russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine.
Seit Wochen ist in Kiew und bei der NATO von einer bedrohlichen Bündelung russischer Einheiten die Rede. Laut NATO handelt es sich um rund 40.000 Mann, die bewegungslos und kampfbereit hinter der Grenze verharren – Russland hatte das bisher wiederholt als unwahr zurückgewiesen. Jetzt heißt es als Erklärung für die Verstärkung: In der Ukraine habe es einen Militärputsch gegeben, die Verlegung von Einheiten diene dem eigenen Schutz.
Wirkungslose Einigung
In Kiew fürchtet man dagegen einen breiten militärischen Einmarsch – angesichts der Unruhen vor allem in der Region Donbass im Osten der Ukraine. Dort hielten bestens ausgerüstete Kämpfer auch am Samstag weiter Regierungsgebäude, Polizeistationen und ganze Städte wie Slowjansk oder Kramatorsk besetzt. Laut russischer Darstellung handelt es sich um lokale Aktivisten. Ausrüstung und Organisationsgrad dieser Aktivisten aber lassen zumindest auf Unterstützung anderer schließen. Kiew vermutete hinter den Kämpfern russische Spezialeinheiten.
Bei einem Treffen der Außenminister der Ukraine und Russlands im Beisein der USA und der EU in Genf am Donnerstag war eine Entwaffnung dieser Milizen und eine Freigabe besetzter Gebäude vereinbart worden. Diese Vereinbarung zeigte aber auch am Samstag keine Wirkung. Sprecher der Sezessionsbewegung forderten erst die Entwaffnung radikaler Gruppen, die den Sturz von Ex-Präsident Janukowitsch mitbetrieben hatten. Etwa des Rechten Sektors. Danach war davon die Rede, dass auch die jetzige Regierung in Kiew zurücktreten und alle von ihr im Zuge der Revolution "besetzten" Gebäude räumen müsse.
Tatsächlich scheint der Rückhalt der Separatisten in der Ostukraine jedoch gering zu sein. Laut einer Studie des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie befürworteten im Donbass, der absoluten Hochburg der Separatisten, lediglich 27,5 Prozent einen Anschluss an Russland. 52,2 Prozent waren eindeutig dagegen. In der gesamten Südostukraine waren ganze 69,7 Prozent der Befragten klar gegen sezessionistische Bestrebungen und nur 15,4 Prozent dafür.
Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine lässt auch aus einem anderen Grund in den EU-Hauptstädten die Alarmglocken schrillen. Denn Europa ist massiv von Gas aus Russland abhängig.
Den Grünen liegt ein brisantes Papier des EU-Parlaments aus der "Generaldirektion für externe Politikbereiche", dem wichtigsten Think Tank des Parlaments, vor. Thema: erhöhte Dringlichkeit der Energieversorgungssicherheit im Rahmen der Krim-Krise.
Wie groß das Problem ist, wird schnell ersichtlich: "In dem unwahrscheinlichen Katastrophenszenario von steigenden geopolitischen Spannungen und gegenseitigen Vergeltungsmaßnahmen, bei dem alle Gaslieferungen aus Russland auf dem Spiel stehen, müsste theoretisch die beeindruckende Menge von 130 Milliarden Kubikmeter Gas kompensiert werden", steht am Anfang des 36-seitigen Dokuments. Nur zum Vergleich: Österreich hat eine Gas-Speicherkapazität von gerade einmal 7,5 Milliarden m³ (die Speicher sind derzeit halb voll).
Die Experten rechnen dann zwei Szenarien im Falle von Lieferstopps von Erdgas aus Russland vor:
Kurzfristig müsste Gas vor allem in Form des teuren Flüssiggases (LNG) aus Nordafrika und Asien und aus der einzig sicheren Quelle Norwegen importiert werden. Weiters müsste die Produktion des größten EU-Gasfelds in der EU im niederländischen Groningen deutlich gesteigert werden, auch wenn, wie der Bericht zugibt, Anrainerproteste zu befürchten sind, da die Gasförderung dort "zunehmend kleine Erdbeben" auslöse.
Weiters müsse ein Wechsel von Gas zum schädlicheren Öl erfolgen. Der Rest, immerhin noch ein Viertel der benötigen Energiemenge, soll einerseits kompensiert werden, indem EU-Haushalte gezwungen ("forced") werden, die Heizungswärme zu reduzieren. Andererseits sollen energieintensive Industrien (Stahl, Chemie) die Produktion vorerst einstellen. Kosten der Maßnahmen: bis zu 20 Milliarden Euro.
Atomkraft
Langfristig empfiehlt die Studie einen breiten Ausbau von Nuklearkraftwerken, den Abbau von Schiefergas, mehr Erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz.
Im Juni 2014 soll ein Vorschlag der EU-Kommission zum künftigen Energiemix vorliegen. Für die Grünen ist das Dokument ein erster Hinweis, was sich Kommission als auch die großen Parteienfamilien in Europa (Sozialdemokraten, Konservative und Liberale) überlegen. Grünen-Chefin Eva Glawischnig: "Setzt sich diese Linie durch, bedeutet das nichts anderes als das Ende der Klimaschutzpolitik in Europa und eine Vervielfachung des Atomrisikos durch den Neubau von Atomkraftwerken."
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