Jetzt könnte Putins Geld an Kiew fließen

300 Milliarden Euro aus Russland hat der Westen in der Hand. Ein Teil davon könnte  nun tatsächlich an die Ukraine gehen.
300 Milliarden Euro aus Russland wurden 2022 beschlagnahmt. Die Hälfte davon soll nun an die Ukraine gehen – Kiews Militär wäre so auf Jahre durchfinanziert, Putins angeknackste Wirtschaft würde leiden.

300 Milliarden Dollar, das ist eine Zahl mit elf Nullen. Das ist mehr als der ganze Coca-Cola-Konzern wert ist, in etwa das Bruttoinlandsprodukt Finnlands. Und vor allem ist es dreimal so viel wie die gesamte bisherige Unterstützung der USA für die Ukraine.

Genau diese Summe lagert seit Februar 2022 eingefroren auf amerikanischen und europäischen Konten. Die Staaten des Westens hatten damals akkordiert das Auslandsvermögen der russischen Zentralbank beschlagnahmt – mit dem Ziel, das Geld der Ukraine für Wiederaufbau und Verteidigung zu geben.

Buchungstrick

Geklappt hat das bekanntlich nicht. Bekommen hat Kiew nur die Zinsen aus Moskaus Vermögen, und selbst das war ein Kraftakt; denn in fast allen Hauptstädten grassierte die Angst vor einem Präzedenzfall. Enteignet die Politik Russland, könnte sie das mit jedem Anleger machen, so der Gedanke – der Schaden für den Finanzplatz Europa wäre enorm. In Berlin fürchtete man zudem analoge Reparationsklagen für Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg, dazu kam die Sorge vor einer Klagewelle aus Russland. Nichts macht Moskau lieber, als die Europäer zur Einhaltung von Regeln und Gesetzen zu zwingen, die es selbst bricht.

Unter dem Druck der USA, die die Hilfe für die Ukraine beinahe eingestellt haben, hat die EU nun eine Lösung gefunden. Man bedient sich eines Buchungstricks: Die EU-Kommission will mit den russischen Milliarden, die eingefroren beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear lagern, zinslose Anleihen aus EU-Staaten kaufen. Simpel ausgedrückt: Man leiht sich das russische Geld, um es der Ukraine als Kredit zur Verfügung zu stellen. 140 Milliarden Euro könnten so Richtung Kiew fließen, Moskau könnte nichts dagegen tun – Russlands Zentralbank wäre formal weiter Eigentümer, die EU-Staaten stünden nur theoretisch in der Haftung.

Auch Deutschland dafür

Gelingt der Plan, hinter den sich nun auch der deutsche Kanzler Friedrich Merz gestellt hat, wäre das nicht nur eine massive Entlastung für Kiew, sondern überlebenssichernd. Das aktuelle Verteidigungsbudget der Ukraine liegt bei 63 Milliarden Dollar, frisst den Großteil des gesamten Haushalts. Seit US-Präsident Donald Trump sich finanziell von Kiew abgewendet hat, ist zudem die Waffenproduktion im Land eingebrochen; der Staat kann sich die Aufträge an die heimische Industrie nicht mehr leisten. Überweist die EU wie geplant regelmäßig zweistellige Milliardenbeträge, wären Militär und Industrie auf Jahre hinaus finanziert.

Für Moskau wäre es der schwerste Schlag, seit Europa und die USA das Land kurz nach der Invasion vom internationalen Finanzverkehr abschnitten. Zwar rechnete der Kreml selbst nicht damit, die eingefrorenen Milliarden je wieder zurückzubekommen, aber Moskau konnte immer auf die Angst der Europäer zählen. Das hat sich unter Trump geändert.

Russian President Putin meets with Belarusian President Lukashenko in Moscow

Der russische Präsident Wladimir Putin im Kreml.

Wirtschaft schwächelt

Dazu kommt, dass Russlands Wirtschaft massiv unter Druck steht. Weil Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Ölproduktion hochgefahren haben, verdient Russland bei Weitem nicht mehr so viel wie früher – bei Öl und Gas brachen die Gewinne diesen Monat sogar um ein Viertel ein. Überschüsse, die eigentlich in den Nationalen Wohlfahrtsfond hätten fließen sollen, gibt es keine – im Gegenteil: In dem zu Kriegsbeginn mit 113 Milliarden gefüllten Fonds lagern nur mehr etwa 35 Milliarden Dollar.

Der Kreml sah sich gezwungen, zum zweiten Mal in diesem Jahr die Steuern anzuheben. Nach der Einkommenssteuer wird auch die Mehrwertsteuer angehoben, von 20 auf 22 Prozent; dazu werden viele Freigrenzen gesenkt – das soll Geld in die Kriegskasse spülen, das der Energiesektor nicht mehr liefert.

Dabei hatte Putin selbst noch Anfang September bekräftigt, dass es bis 2030 keine Steuererhöhung mehr geben werde. Das sorgt selbst in kremlfreundlichen Medien für Kritik – mittlerweile hat darum auch Putins Sprecher eingestanden, dass es „gewisse finanzielle Spannungen“ gebe.

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